Der Heilige Stuhl
ENZYKLIKA
FRATELLI TUTTI
DES HEILIGEN
VATERS
PAPST
FRANZISKUS
ÜBER DIE
GESCHWISTERLICHKEIT
UND DIE SOZIALE
FREUNDSCHAFT
1. »Fratelli tutti«[1]
schrieb der heilige Franz von Assisi und wandte sich damit an alle Brüder und
Schwestern, um ihnen eine
dem Evangelium gemäße Lebensweise darzulegen. Von seinen
Ratschlägen möchte ich den
einen herausgreifen, mit dem er zu einer Liebe einlädt, die alle
politischen und räumlichen
Grenzen übersteigt. Er nennt hier den Menschen selig, der den
anderen, »auch wenn er weit
von ihm entfernt ist, genauso liebt und achtet, wie wenn er mit ihm
zusammen wäre«.[2]
Mit diesen wenigen und einfachen Worten erklärte er das Wesentliche einer
freundschaftlichen
Offenheit, die es erlaubt, jeden Menschen jenseits des eigenen Umfeldes und
jenseits des Ortes in der
Welt, wo er geboren ist und wo er wohnt, anzuerkennen, wertzuschätzen
und zu lieben.
2. Dieser Heilige der
geschwisterlichen Liebe, der Einfachheit und Fröhlichkeit, der mich zur
Abfassung der Enzyklika
Laudato si’ anregte, motiviert mich abermals, diese neue Enzyklika der
Geschwisterlichkeit und der
sozialen Freundschaft zu widmen. In der Tat wusste sich der heilige
Franziskus, der sich als
Bruder der Sonne, des Meeres und des Windes verstand, noch viel tiefer
eins mit denen, die wie er
von menschlichem Fleisch waren. Er säte überall Frieden aus und ging
seinen Weg an der Seite der
Armen, der Verlassenen, der Kranken, der Ausgestoßenen und der
Geringsten.
Ohne Grenzen
3. Es gibt eine Begebenheit
in seinem Leben, die uns sein Herz ohne Grenzen zeigt, das fähig
war, den Graben der
Herkunft, der Nationalität, der Hautfarbe und der Religion zu überspringen.
Es handelt sich um seinen
Besuch bei Sultan Malik-al-Kamil in Ägypten. Dieser Besuch bedeutete
2
für ihn eine große
Anstrengung aufgrund seiner Armut, der wenigen zur Verfügung stehenden
Mittel, der Entfernung und
der Unterschiede in Sprache, Kultur und Religion. In jenem
historischen, von den
Kreuzzügen geprägten Moment zeigte diese Reise einmal mehr die Größe
und Weite der Liebe, die er
leben wollte im Verlangen, alle zu umarmen. Die Treue zu Gott,
seinem Herrn, entsprach
seiner Liebe zu den Brüdern und Schwestern. Franziskus ging zum
Sultan, ohne die
Schwierigkeiten und Gefahren einer solchen Begegnung zu verkennen. Er tat
dies in der Einstellung,
die er von seinen Jüngern verlangte, dass nämlich keiner seine Identität
verleugne, der »unter die
Sarazenen und andere Ungläubige gehen will, […] und dass sie weder
zanken noch streiten,
sondern um Gottes Willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind«.[3]
In
diesem Zusammenhang war das
eine ganz außergewöhnliche Aufforderung. Es berührt mich, wie
Franziskus vor achthundert
Jahren alle dazu einlud, jede Form von Aggression und Streit zu
vermeiden und auch eine
demütige und geschwisterliche „Unterwerfung“ zu üben, sogar denen
gegenüber, die ihren
Glauben nicht teilten.
4. Er führte keine
Wortgefechte, um seine Lehren aufzudrängen, sondern teilte die Liebe Gottes
mit. Er hatte verstanden:
»Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt
in ihm« (1 Joh 4,16).
Auf diese Weise wurde er zu einem liebevollen Vater, der den Traum einer
geschwisterlichen
Gemeinschaft verwirklichte; denn »nur der Mann, der es auf sich nimmt, auf
andere Menschen in ihrer
Bewegung zuzugehen, nicht um sie zu vereinnahmen, sondern um
ihnen zu helfen, mehr sie
selbst zu werden, wird tatsächlich zum Vater«.[4] In jener Welt voller
Wachtürme und
Verteidigungsmauern erlebten die Städte blutige Kriege zwischen mächtigen
Familien, während die
Elendsviertel der Ausgestoßenen an den Rändern wuchsen. Dort empfing
Franziskus innerlich den
wahren Frieden, er befreite sich von jedem Verlangen, andere zu
beherrschen, er wurde einer
der Geringsten und versuchte in Harmonie mit ihnen zu leben. Von
ihm kommt die Motivation
für diese Seiten.
5. Die mit der
Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft einhergehenden Fragestellungen
waren mir immer ein
Anliegen. In den letzten Jahren habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten
wiederholt darauf Bezug
genommen. In dieser Enzyklika habe ich viele von diesen Beiträgen
gesammelt und in einen
größeren Reflexionsrahmen gestellt. Wenn mir bei der Abfassung von
Laudato si’ eine Quelle der Inspiration durch meinen Bruder, den
orthodoxen Patriarchen
Bartholomaios, zuteilwurde,
der sich nachdrücklich für die Sorge um die Schöpfung eingesetzt hat,
so habe ich mich in diesem
Fall besonders vom Großimam Ahmad Al-Tayyeb anregen lassen,
dem ich in Abu Dhabi
begegnet bin. Dort haben wir daran erinnert, dass Gott »alle Menschen mit
gleichen Rechten, gleichen
Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als
Brüder und Schwestern
miteinander zusammenzuleben«.[5] Es handelte sich nicht um einen
einfachen diplomatischen
Akt, sondern um eine auf dem Dialog und einem gemeinsamen
Engagement aufbauende
Reflexion. Die vorliegende Enzyklika sammelt und entwickelt prinzipielle
Themen, die in jenem von
uns gemeinsam unterzeichneten Dokument aufgeführt sind. Hierbei
habe ich auch, mit meinen
Worten, zahlreiche Dokumente und Briefe aufgenommen, die ich von
vielen Menschen und Gruppen
aus aller Welt empfangen habe.
3
6. Die folgenden Seiten
erheben nicht den Anspruch, die Lehre über die geschwisterliche Liebe
umfassend darzustellen. Sie
verweilen vielmehr bei ihrer universalen Dimension, bei ihrer Öffnung
auf alle hin. Ich lege
diese Sozialenzyklika als demütigen Beitrag zum Nachdenken vor.
Angesichts gewisser
gegenwärtiger Praktiken, andere zu beseitigen oder zu übergehen, sind wir
in der Lage, darauf mit
einem neuen Traum der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft
zu antworten, der sich
nicht auf Worte beschränkt. So schrieb ich diese Enzyklika auf der
Grundlage meiner
christlichen Überzeugungen, die mich beseelen und nähren, und habe mich
zugleich bemüht, diese
Überlegungen für den Dialog mit allen Menschen guten Willens offen zu
halten.
7. Als ich dieses Schreiben
verfasste, brach unerwartet die Covid-19-Pandemie aus, die unsere
falschen Sicherheiten
offenlegte. Über die verschiedenen Antworten hinaus, die die
verschiedenen Länder
gegeben haben, kam klar die Unfähigkeit hinsichtlich eines gemeinsamen
Handelns zum Vorschein.
Trotz aller Vernetzung ist eine Zersplitterung eingetreten, die es
erheblich erschwert hat,
die Probleme, die alle betreffen, zu lösen. Wenn einer meint, dass es nur
um ein besseres
Funktionieren dessen geht, was wir schon gemacht haben, oder dass die einzige
Botschaft darin besteht,
die bereits vorhandenen Systeme und Regeln zu verbessern, dann ist er
auf dem Holzweg.
8. Ich habe den großen
Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die
Würde jedes Menschen
anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit
zum Leben erwecken. Bei
allen: »Dies ist ein schönes Geheimnis, das es ermöglicht, zu träumen
und das Leben zu einem
schönen Abenteuer zu machen. Niemand kann auf sich allein gestellt
das Leben meistern […]. Es
braucht eine Gemeinschaft, die uns unterstützt, die uns hilft und in
der wir uns gegenseitig
helfen, nach vorne zu schauen. Wie wichtig ist es, gemeinsam zu
träumen! […] Allein steht
man in der Gefahr der Illusion, die einen etwas sehen lässt, das gar nicht
da ist; zusammen jedoch
entwickelt man Träume«.[6] Träumen wir als eine einzige Menschheit,
als Weggefährten vom
gleichen menschlichen Fleisch, als Kinder der gleichen Erde, die uns alle
beherbergt, jeder mit dem
Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jeder mit
seiner eigenen Stimme,
alles Geschwister.
ERSTES
KAPITEL
DIE SCHATTEN EINER ABGESCHOTTETEN WELT
9. Ohne den Anspruch zu
erheben, eine erschöpfende Analyse zu leisten oder alle Aspekte der
Wirklichkeit, in der wir
leben, zu berücksichtigen, möchte ich die Aufmerksamkeit nur auf einige
4
Tendenzen der heutigen Welt
lenken, welche die Entwicklung einer Geschwisterlichkeit aller
Menschen behindern.
Träume, die platzen
10. Jahrzehntelang schien
es, dass die Welt aus so vielen Kriegen und Katastrophen gelernt hätte
und sich langsam auf
verschiedene Formen der Integration hinbewegen würde. So ist zum
Beispiel der Traum eines
geeinten Europas vorangeschritten, der fähig war, die gemeinsamen
Wurzeln anzuerkennen und
sich zugleich über die in ihm wohnende Verschiedenheit zu freuen.
Erinnern wir uns an »die
feste Überzeugung der Gründungsväter der europäischen Union […], die
sich eine Zukunft
wünschten, die auf der Fähigkeit basiert, gemeinsam zu arbeiten, um die
Teilungen zu überwinden und
den Frieden und die Gemeinschaft unter allen Völkern des
Kontinentes zu fördern«.[7]
Auch das Streben nach einer lateinamerikanischen Integration hat
Fahrt aufgenommen und
bereits einige Schritte gemacht. In anderen Ländern und Regionen gab
es Bemühungen um Befriedung
und Annäherung, die Früchte getragen haben; weitere schienen
vielversprechend zu sein.
11. Doch die Geschichte
liefert Indizien für einen Rückschritt. Unzeitgemäße Konflikte brechen
aus, die man überwunden glaubte.
Verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive
Nationalismen leben wieder
auf. In verschiedenen Ländern geht eine von gewissen Ideologien
durchdrungene Idee des
Volkes und der Nation mit neuen Formen des Egoismus und des
Verlusts des Sozialempfindens
einher, die hinter einer vermeintlichen Verteidigung der nationalen
Interessen versteckt
werden. Das erinnert uns daran, dass »jede Generation sich die Kämpfe und
die Errungenschaften der
früheren Generationen zu eigen machen und sie zu noch höheren
Zielen führen muss. Das ist
der Weg. Das Gute, ebenso wie die Liebe, die Gerechtigkeit und die
Solidarität erlangt man
nicht ein für alle Male; sie müssen jeden Tag neu errungen werden.
Unmöglich kann man sich mit
dem zufriedengeben, was man in der Vergangenheit erreicht hat,
und dabei verweilen, es zu
genießen, als würden wir nicht merken, dass viele unserer Brüder und
Schwestern unter
Situationen der Ungerechtigkeit leiden, die uns alle angehen«.[8]
12. „Offen sein zur Welt“
ist ein Ausdruck, den sich die Wirtschaft und die Finanzwelt zu eigen
gemacht haben. Er bezieht
sich ausschließlich auf die Öffnung gegenüber den ausländischen
Interessen oder auf die
Freiheit der Wirtschaftsmächte, ohne Hindernisse und Schwierigkeiten in
allen Ländern zu investieren.
Die örtlichen Konflikte und das Desinteresse für das Allgemeinwohl
werden von der globalen
Wirtschaft instrumentalisiert, um ein einziges kulturelles Modell
durchzusetzen. Eine solche
Kultur eint die Welt, trennt aber die Menschen und die Nationen, denn
»die zunehmend
globalisierte Gesellschaft macht uns zu Nachbarn, aber nicht zu
Geschwistern«.[9]
Wir sind einsamer denn je in dieser durch Vermassung gekennzeichneten Welt,
welche die Einzelinteressen
bevorzugt und die gemeinschaftliche Dimension der Existenz
schwächt. Es gibt vor allem
mehr Märkte, wo den Menschen die Rolle von Verbrauchern oder
Zuschauern zukommt. Das
Fortschreiten dieses Globalismus begünstigt normalerweise die
5
stärkeren Gebiete, die sich
selbst behaupten, sucht aber die schwächsten und ärmsten Regionen
zu beeinträchtigen, indem
es sie verwundbarer und abhängiger macht. Auf diese Weise wird die
Politik gegenüber den
multinationalen wirtschaftlichen Mächten, die das „Teile und herrsche“
anwenden, immer
zerbrechlicher.
Das Ende des Geschichtsbewusstseins
13. Aus dem gleichen Grund
wird ein Verlust des Geschichtsbewusstseins gefördert, das eine
weitere Auflösung
hervorruft. Man nimmt das Vordringen einer Art von „Dekonstruktivismus“ in der
Kultur wahr, bei dem die
menschliche Freiheit vorgibt, alles von Neuem aufzubauen. Aufrecht
bleibt nur das Bedürfnis,
grenzenlos zu konsumieren, und das Hervorkehren vieler Formen eines
inhaltslosen
Individualismus. In diesem Zusammenhang ist ein Rat angebracht, den ich einmal
Jugendlichen gegeben habe:
»Wenn jemand euch ein Angebot macht und euch sagt, ihr braucht
die Geschichte nicht zu
beachten, den Erfahrungsschatz der Alten nicht zu beherzigen und ihr
könnt all das missachten,
was Vergangenheit ist, und sollt nur auf die Zukunft schauen, die er
euch bietet, wäre dies
nicht eine einfache Art, euch mit seinem Angebot anzuziehen, um euch nur
das tun zu lassen, was er
euch sagt? Dieser Jemand benötigt euch leer, entwurzelt, gegenüber
allem misstrauisch, damit
ihr nur seinen Versprechen vertraut und euch seinen Plänen unterwerft.
So funktionieren die
Ideologien verschiedener Couleur, die all das zerstören – oder abbauen –,
was anders ist; auf diese
Weise können sie ohne Widerstände herrschen. Zu diesem Zweck
brauchen sie junge
Menschen, die die Geschichte verachten, die den geistlichen und
menschlichen Reichtum
ablehnen, der über die Generationen weitergegeben wurde, und die all
das nicht kennen, was ihnen
vorausgegangen ist«.[10]
14. Das sind die neuen
Formen einer kulturellen Kolonisation. Wir wollen nicht vergessen, dass
»die Völker, die ihre
eigene Tradition veräußern und aus einem Nachahmungswahn, einer
aufgezwungenen Gewalt,
einer unverzeihlichen Nachlässigkeit oder einer Apathie dulden, dass
ihnen die Seele entrissen
wird, neben ihrer geistlichen Physiognomie auch ihre moralische
Festigkeit und schließlich
ihre weltanschauliche, wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit
verlieren«.[11]
Eine wirksame Weise, das geschichtliche Bewusstsein, das kritische Denken, den
Einsatz für die
Gerechtigkeit und die Kurse zur Integration aufzulösen, sind die Sinnentleerung
oder die Änderung großer
Wörter. Was bedeuten heute einige dieser Begriffe wie Demokratie,
Freiheit, Gerechtigkeit,
Einheit? Sie sind manipuliert und verzerrt worden, um sie als
Herrschaftsinstrumente zu
benutzen, als sinnentleerte Aufschriften, die zur Rechtfertigung
jedweden Tuns dienen
können.
Ohne einen Plan für alle
15. Die beste Methode, zu
herrschen und uneingeschränkt voranzuschreiten, besteht darin,
Hoffnungslosigkeit
auszusäen und ständiges Misstrauen zu wecken, selbst wenn sie sich mit der
Verteidigung einiger Werte
tarnt. Heute verwendet man in vielen Ländern den politischen
6
Mechanismus des
Aufstachelns, Verhärtens und Polarisierens. Auf verschiedene Art und Weise
spricht man anderen das
Recht auf Existenz und eigenes Denken ab. Zu diesem Zweck bedient
man sich der Strategie des
Lächerlich-Machens, des Schürens von Verdächtigungen ihnen
gegenüber, des Einkreisens.
Man nimmt ihre Sicht der Wahrheit und ihre Werte nicht an. Auf
diese Weise verarmt die Gesellschaft
und reduziert sich auf die Selbstherrlichkeit des Stärksten.
Die Politik ist daher nicht
mehr eine gesunde Diskussion über langfristige Vorhaben für die
Entwicklung aller und zum
Gemeinwohl, sondern bietet nur noch flüchtige Rezepte der
Vermarktung, die in der
Zerstörung des anderen ihr wirkungsvollstes Mittel finden. In diesem
primitiven Spiel der
Abqualifizierungen wird die Debatte manipuliert, um die Menschen ständig
infrage zu stellen und auf
Konfrontation mit ihnen zu gehen.
16. Wie ist es bei einem
solchen Zusammenstoß der Interessen, der alle gegen alle aufbringt und
wo siegen zu einem Synonym
für zerstören wird, noch möglich, das Haupt zu erheben, um den
Nachbarn wahrzunehmen oder
jemandem beizustehen, der auf der Straße hingefallen ist? Ein
Plan mit großen Zielen für
die Entwicklung der Menschheit klingt heute wie eine Verrücktheit. Es
vergrößern sich die
Abstände zwischen uns, und der harte und schleppende Weg zu einer
geeinten und gerechteren
Welt erleidet einen neuen und drastischen Rückschlag.
17. Sorge tragen für die
Welt, die uns umgibt und uns erhält, bedeutet Sorge tragen für uns selbst.
Wir müssen uns aber
zusammenschließen in einem „Wir“, welches das gemeinsame Haus
bewohnt. Dieses Bemühen
interessiert die wirtschaftlichen Mächte nicht, die schnelle Erträge
brauchen. Oft werden die
Stimmen, die sich zur Verteidigung der Umwelt erheben, zum
Schweigen gebracht oder der
Lächerlichkeit preisgegeben und andererseits Partikularinteressen
mit dem Mantel der
Vernünftigkeit umhüllt. In dieser Kultur, die wir gerade aufbauen – leer, auf
das
Unmittelbare gerichtet und
ohne einen gemeinsamen Plan –, ist es »vorhersehbar, dass
angesichts der Erschöpfung
einiger Ressourcen eine Situation entsteht, die neue Kriege
begünstigt, die als eine
Geltendmachung edler Ansprüche getarnt werden«.[12]
Der Ausschuss der Welt
18. Teile der Menschheit
scheinen geopfert werden zu können zugunsten einer bevorzugten
Bevölkerungsgruppe, die für
würdig gehalten wird, ein Leben ohne Einschränkungen zu führen. Im
Grunde werden die Menschen
»nicht mehr als ein vorrangiger, zu respektierender und zu
schützender Wert empfunden,
besonders, wenn sie arm sind oder eine Behinderung haben, wenn
sie – wie die Ungeborenen –
„noch nicht nützlich sind“ oder – wie die Alten – „nicht mehr nützlich
sind“. Wir sind unsensibel
geworden gegenüber jeder Form von Verschwendung, angefangen bei
jener der Nahrungsmittel,
die zu den verwerflichsten gehört«.[13]
19. Der Geburtenrückgang,
der zu einer Alterung der Bevölkerung führt, und die Tatsache, dass
die älteren Menschen einer
schmerzlichen Einsamkeit überlassen werden, bringen implizit zum
Ausdruck, dass alles mit
uns vorbei sein wird, wo nur unsere individuellen Interessen zählen. So
7
»werden heute nicht nur
Nahrung und überflüssige Güter zu Abfall, sondern oft werden sogar die
Menschen „weggeworfen“«.[14]
Wir haben gesehen, was mit den älteren Menschen an einigen
Orten der Welt aufgrund des
Corona-Virus geschehen ist. Sie sollten nicht auf diese Weise
sterben. Tatsächlich aber
war etwas Ähnliches schon bei mancher Hitzewelle und unter anderen
Umständen vorgefallen: Sie
wurden brutal weggeworfen. Es wird uns bewusst, dass eine
Isolierung der älteren
Menschen und ihre Übergabe in die Obhut anderer ohne eine angemessene
und gefühlvolle familiäre
Begleitung die Familie selbst verstümmelt und ärmer macht. Im Übrigen
führt es dazu, dass den
jungen Menschen der nötige Kontakt mit ihren Wurzeln und mit einer
Weisheit, welche die Jugend
von sich aus nicht erreichen kann, vorenthalten wird.
20. Diese Aussonderung
zeigt sich auf vielfältige Weise, wie etwa in der Versessenheit, die
Kosten der Arbeit zu
reduzieren, ohne sich der schwerwiegenden Konsequenzen bewusst zu
werden, die eine solche
Maßnahme auslöst; denn die entstandene Arbeitslosigkeit führt direkt zu
einer zunehmenden
Verbreitung der Armut.[15] Die Aussonderung nimmt zudem abscheuliche
Formen an, die wir als
überwunden glaubten, wie etwa der Rassismus, der verborgen ist und
immer wieder neu zum
Vorschein kommt. Die verschiedenen Ausprägungen des Rassismus
erfüllen uns erneut mit
Scham, denn sie zeigen, dass die vermeintlichen Fortschritte der
Gesellschaft nicht so real
und ein für alle Mal abgesichert sind.
21. Es gibt wirtschaftliche
Regeln, die sich als wirksam für das Wachstum, aber nicht
gleicherweise für die
Gesamtentwicklung des Menschen erweisen.[16] Der Reichtum wächst, aber
auf ungleiche Weise, und so
»entstehen neue Formen der Armut«.[17] Wenn man sagt, dass die
moderne Welt die Armut
verringert habe, so misst man hier mit Maßstäben anderer Epochen, die
nicht mit der aktuellen
Wirklichkeit vergleichbar sind. In anderen Zeiten wurde zum Beispiel die
Tatsache, dass man keinen
Zugang zur elektrischen Energie hatte, nicht als Zeichen der Armut
betrachtet und gab keinen
Anlass zu Sorge. Man untersucht und man versteht die Armut immer
nur im Zusammenhang mit den
wirklichen Gegebenheiten eines bestimmten historischen
Moments.
Menschenrechte, die nicht universal genug sind
22. Oft stellt man fest,
dass tatsächlich die Menschenrechte nicht für alle gleich gelten. Die
Achtung dieser Rechte »ist
ja die Vorbedingung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung
eines Landes. Wenn die
Würde des Menschen geachtet wird und seine Rechte anerkannt und
gewährleistet werden,
erblühen auch Kreativität und Unternehmungsgeist, und die menschliche
Persönlichkeit kann ihre
vielfältigen Initiativen zugunsten des Gemeinwohls entfalten«.[18] Doch
»wenn man unsere
gegenwärtigen Gesellschaften aufmerksam beobachtet, entdeckt man in der
Tat zahlreiche
Widersprüche, aufgrund derer wir uns fragen, ob die Gleichheit an Würde aller
Menschen, die vor nunmehr 70
Jahren feierlich verkündet wurde, wirklich unter allen Umständen
anerkannt, geachtet,
geschützt und gefördert wird. Es gibt heute in der Welt weiterhin zahlreiche
Formen der Ungerechtigkeit,
genährt von verkürzten anthropologischen Sichtweisen sowie von
8
einem Wirtschaftsmodell,
das auf dem Profit gründet und nicht davor zurückscheut, den
Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten. Während ein Teil der Menschheit im
Überfluss lebt, sieht der
andere Teil die eigene Würde aberkannt, verachtet, mit Füßen getreten
und seine Grundrechte
ignoriert oder verletzt«.[19] Was sagt das über die Gleichheit der Rechte
aus, die in derselben
Menschenwürde begründet liegen?
23. Entsprechend sind die
Gesellschaften auf der ganzen Erde noch lange nicht so organisiert,
dass sie klar
widerspiegeln, dass die Frauen genau die gleiche Würde und die gleichen Rechte
haben wie die Männer. Mit
Worten behauptet man bestimmte Dinge, aber die Entscheidungen und
die Wirklichkeit schreien
eine andere Botschaft heraus. In der Tat, »doppelt arm sind die Frauen,
die Situationen der
Ausschließung, der Misshandlung und der Gewalt erleiden, denn oft haben sie
geringere Möglichkeiten,
ihre Rechte zu verteidigen«.[20]
24. Seien wir uns ebenso
folgender Tatsache bewusst: »Obwohl die internationale Gesellschaft
zahlreiche Abkommen
getroffen hat mit dem Ziel, der Sklaverei in all ihren Formen ein Ende zu
setzen, und verschiedene
Strategien eingeleitet hat, um dieses Phänomen zu bekämpfen, […]
werden noch heute Millionen
Menschen – Kinder, Männer und Frauen jeden Alters – ihrer Freiheit
beraubt und gezwungen,
unter Bedingungen zu leben, die denen der Sklaverei vergleichbar sind.
[…] Heute wie gestern liegt
an der Wurzel der Sklaverei ein Verständnis vom Menschen, das die
Möglichkeit zulässt, ihn
wie einen Gegenstand zu behandeln. […] Der Mensch, der als Abbild
Gottes und ihm ähnlich
erschaffen ist, wird mit Gewalt, mit List oder durch physischen bzw.
psychologischen Zwang
seiner Freiheit beraubt, kommerzialisiert und zum Eigentum eines
anderen herabgemindert; er
wird als Mittel und nicht als Zweck behandelt«. Die kriminellen Netze
»bedienen sich geschickt
der modernen Informationstechnologien, um junge und sehr junge
Menschen aus aller Welt
anzulocken«.[21] Die Verirrung kennt keine Grenzen, wenn man Frauen
versklavt, die dann zur
Abtreibung gezwungen werden. Es kommt sogar zu abscheulichen Taten
wie der Entführung von
Menschen, um ihre Organe zu verkaufen. All das macht den
Menschenhandel und andere
aktuelle Formen der Sklaverei zu einem weltweiten Problem, das
von der gesamten Menschheit
ernstgenommen werden muss, denn »wie die kriminellen
Organisationen sich
globaler Netze bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, so erfordert die Aktion
zur Überwindung dieses
Phänomens außerdem eine gemeinsame und ebenso globale
Anstrengung seitens der
verschiedenen Akteure, welche die Gesellschaft bilden«.[22]
Konflikt und Angst
25. Kriege, Attentate,
Verfolgungen aus rassistischen oder religiösen Motiven und so viele
Gewalttaten gegen die
Menschenwürde werden auf verschiedene Weise geahndet, je nachdem,
ob sie für bestimmte, im
Wesentlichen wirtschaftliche Interessen mehr oder weniger günstig sind.
Etwas ist wahr, solange es
einem Mächtigen genehm ist, und ist es dann nicht mehr, wenn es
seinen Nutzen für ihn
verliert. Solche Gewaltsituationen haben »sich in zahlreichen Regionen der
Welt so vervielfältigt,
dass sie die Züge dessen angenommen haben, was man einen „dritten
9
Weltkrieg in Abschnitten“
nennen könnte«.[23]
26. Das verwundert nicht,
wenn wir das Fehlen von Horizonten feststellen, die uns zur Einheit
zusammenführen, weil in
jedem Krieg letztlich »das Projekt der Brüderlichkeit selbst […], das der
Berufung der
Menschheitsfamilie eingeschrieben ist«, zerstört wird, denn »jede Bedrohung
nährt
das Misstrauen und fördert
den Rückzug auf die eigene Position«.[24] So schreitet unsere Welt in
einer sinnlosen Dichotomie
fort, mit dem Anspruch, »Stabilität und Frieden auf der Basis einer
falschen, von einer Logik
der Angst und des Misstrauens gestützten Sicherheit verteidigen und
sichern zu wollen«.[25]
27. Paradoxerweise gibt es
angestammte Ängste, die nicht vom technologischen Fortschritt
überwunden worden sind. Sie
haben sich vielmehr zu verbergen gewusst und vermochten sich
hinter neuen Technologien
zu potenzieren. Auch heute gibt es hinter den Mauern der alten Stadt
den Abgrund, das Land des
Unbekannten, die Wüste. Was von dort kommt, ist nicht
vertrauenswürdig, weil man
es nicht kennt, man nicht vertraut mit ihm ist, weil es nicht zum Dorf
gehört. Es ist das Gebiet
des „Barbarischen“, vor dem man sich verteidigen muss, koste es was
es wolle. Folglich werden
neue Schranken zum Selbstschutz aufgerichtet, sodass nicht mehr die
eine Welt existiert,
sondern nur noch die „meine“, bis zu dem Punkt, dass viele nicht mehr als
Menschen mit einer
unveräußerlichen Würde angesehen werden, sondern einfach zu „denen da“
werden. Von Neuem erscheint
»die Versuchung, eine Kultur der Mauern zu errichten, Mauern
hochzuziehen, Mauern im
Herzen, Mauern auf der Erde, um diese Begegnung mit anderen
Kulturen, mit anderen
Menschen zu verhindern. Und wer eine Mauer errichtet, wer eine Mauer
baut, wird am Ende zum
Sklaven innerhalb der Mauern, die er errichtet hat, ohne Horizonte. Weil
ihm dieses Anderssein
fehlt«.[26]
28. Die Einsamkeit, die
Angst und die Unsicherheit vieler Menschen, die sich vom System im Stich
gelassen fühlen, lassen
einen fruchtbaren Boden für die Mafia entstehen. Diese kann sich
durchsetzen, weil sie sich
als „Beschützerin“ der Vergessenen ausgibt, oft mittels verschiedener
Arten von Hilfe, während
sie ihre eigenen kriminellen Interessen verfolgt. Es gibt eine typisch
mafiöse Pädagogik, die in
einem falschen Gemeinschaftsgeist Bindungen der Abhängigkeit und
der Unterordnung schafft,
von denen man sich nur sehr schwer befreien kann.
Globalisierung und
Fortschritt ohne gemeinsamen Kurs
29. Mit dem Großimam Ahmad
Al-Tayyeb verkennen wir nicht die positiven Fortschritte in der
Wissenschaft, der
Technologie, der Medizin, der Industrie und in der Wohlfahrt, besonders in den
entwickelten Ländern.
Nichtsdestoweniger »betonen wir, dass mit diesen großen und geschätzten
historischen Fortschritten
auch ein Verfall der Ethik im internationalen Handeln sowie eine
Schwächung der geistlichen
Werte und des Verantwortungsbewusstseins einhergehen. All dies
trägt dazu bei, dass sich
ein allgemeines Gefühl von Frustration, Einsamkeit und Verzweiflung
ausbreitet. […] In
Spannungsherden werden Waffen und Munition angehäuft, und dies geschieht
10
in einer global von
Unsicherheit, Enttäuschung, Zukunftsangst und von kurzsichtigen
wirtschaftlichen Interessen
geprägten Weltlage. Wir bekräftigen weiter, dass die heftigen
politischen Krisen, die
Ungerechtigkeit und das Fehlen einer gerechten Verteilung der natürlichen
Ressourcen […] weitere
Opfer hervorrufen und tödliche Krisen verursachen, denen mehrere
Länder ausgesetzt sind,
obwohl sie auf natürlichen Reichtum und die Ressourcen der jungen
Generationen zählen können.
Das internationale Schweigen angesichts dieser Krisen, die dazu
führen, dass Millionen von
Kindern aufgrund von Armut und Unterernährung bis auf die Knochen
abmagern und an Hunger
sterben, ist inakzeptabel«.[27] Vor diesem Panorama finden wir, auch
wenn uns der Fortschritt
auf vielen Gebieten fasziniert, keinen wirklich menschlichen Kurs.
30. In der gegenwärtigen
Welt nimmt das Zugehörigkeitsgefühl zu der einen Menschheit ab,
während der Traum,
gemeinsam Gerechtigkeit und Frieden aufzubauen, wie eine Utopie anderer
Zeiten erscheint. Wir
erleben, wie eine bequeme, kalte und weit verbreitete Gleichgültigkeit
vorherrscht, Tochter einer
tiefen Ernüchterung, die sich hinter einer trügerischen Illusion verbirgt,
nämlich zu glauben, dass wir
allmächtig sind, und zu vergessen, dass wir alle im gleichen Boot
sitzen. Diese Enttäuschung,
welche die großen geschwisterlichen Tugenden hinter sich lässt, führt
»zu einer Art Zynismus. Das
ist die Versuchung, der wir ausgesetzt sind, wenn wir diesen Weg
der Ernüchterung oder
Enttäuschung einschlagen. […] Die Isolierung und das Verschlossensein in
sich selbst oder die
eigenen Interessen sind nie der Weg, um wieder Hoffnung zu geben und
Erneuerung zu bewirken,
wohl aber die Nähe, die Kultur der Begegnung. Isolierung: nein; Nähe:
ja. Kultur der
Konfrontation: nein; Kultur der Begegnung: ja«.[28]
31. In dieser Welt, die
keinen gemeinsamen Kurs erkennen lässt, atmet man eine Luft, in der »die
Distanz zwischen der
Obsession für das eigene Wohlergehen und dem geteilten Glück der
Menschheit zuzunehmen
scheint, so sehr, dass man vermuten könnte, dass mittlerweile ein
richtiggehendes „Schisma”
zwischen dem Einzelnen und der menschlichen Gemeinschaft im
Gange ist. […] Denn es ist
eine Sache, sich zum Zusammenleben gezwungen zu fühlen, und eine
andere Sache, den Reichtum
und die Schönheit der Samen des gemeinsamen Lebens
wertzuschätzen, die
gemeinsam gesucht und gepflegt werden müssen«.[29] Die Technologie
macht ständige
Fortschritte, doch »wie schön wäre es, wenn die Zunahme der Innovationen in
Wissenschaft und Technik
auch mit einer immer größeren Gleichheit und sozialen Inklusion
einhergehen würde! Wie
schön wäre es, wenn wir, so wie wir die Entdeckung neuer entfernter
Planeten gemacht haben, die
Bedürfnisse unseres Bruders und unserer Schwester
wiederentdecken würden, die
um uns kreisen«.[30]
Die Pandemien und andere
Geißeln der Geschichte
32. Eine globale Tragödie
wie die Covid-19-Pandemie hat für eine gewisse Zeit wirklich das
Bewusstsein geweckt, eine
weltweite Gemeinschaft in einem Boot zu sein, wo das Übel eines
Insassen allen zum Schaden
gereicht. Wir haben uns daran erinnert, dass keiner sich allein retten
kann, dass man nur Hilfe
erfährt, wo andere zugegen sind. Daher sagte ich: »Der Sturm legt
11
unsere Verwundbarkeit bloß
und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir
bei unseren Plänen,
Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. […] Mit dem Sturm
sind auch die stereotypen
Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um
unser eigenes Image
verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene segensreiche
gemeinsame Zugehörigkeit
offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle
Brüder und Schwestern
sind«.[31]
33. Die Welt bewegte sich
unerbittlich auf eine Wirtschaft zu, welche mit Hilfe des technologischen
Fortschritts die
„menschlichen Kosten“ zu verringern suchte, und mancher maßte sich an, uns
glauben zu machen, die
Freiheit des Marktes würde ausreichen, um alles zu gewährleisten. Doch
der harte und unerwartete
Schlag dieser außer Kontrolle geratenen Pandemie hat uns
notgedrungen dazu
gezwungen, wieder an die Menschen, an alle zu denken anstatt an den
Nutzen einiger. Heute sehen
wir ein, dass »wir uns mit Träumen von Pracht und Größe ernährt
und letztlich doch nur
Ablenkung, Verschlossenheit und Einsamkeit gegessen haben; wir haben
uns mit Connections
vollgestopft und darüber den Geschmack an der Geschwisterlichkeit
verloren. Wir haben
schnelle und sichere Ergebnisse gesucht und fühlen uns beklommen vor
Ungeduld und Unruhe. Als
Gefangene der Virtualität ist uns der Geschmack und das Aroma der
Realität abhandengekommen«.[32] Der
Schmerz, die Unsicherheit, die Furcht und das
Bewusstsein der eigenen
Grenzen, welche die Pandemie hervorgerufen haben, appellieren an
uns, unsere Lebensstile,
unsere Beziehungen, die Organisation unserer Gesellschaft und vor
allem den Sinn unserer
Existenz zu überdenken.
34. Wenn alles miteinander
verbunden ist, fällt es uns schwer zu glauben, dass diese weltweite
Katastrophe nicht in
Beziehung dazu steht, wie wir der Wirklichkeit gegenübertreten, wenn wir uns
anmaßen, die absoluten Herren
des eigenen Lebens und von allem, was existiert, zu sein. Ich
möchte hiermit nicht sagen,
dass es sich um eine Art göttlicher Strafe handelt. Ebenso wenig kann
man behaupten, dass der
Schaden an der Natur am Ende die Rechnung für unsere Übergriffe
fordert. Es ist die
Wirklichkeit selbst, die seufzt und sich auflehnt. Es kommen uns da die
berühmten Verse von Vergil
in Erinnerung, wo die Tränen der Dinge oder der Geschichte
heraufbeschworen werden.[33]
35. Wir vergessen aber
schnell die Lektionen der Geschichte, der »Lehrerin des Lebens«.[34] Ist
die Gesundheitskrise einmal
überstanden, wäre es die schlimmste Reaktion, noch mehr in einen
fieberhaften Konsumismus
und in neue Formen der egoistischen Selbsterhaltung zu verfallen.
Gott gebe es, dass es am
Ende nicht mehr „die Anderen“, sondern nur ein „Wir“ gibt. Dass es
nicht das x-te
schwerwiegende Ereignis der Geschichte gewesen ist, aus dem wir nicht zu lernen
vermocht haben. Dass wir
nicht die älteren Menschen vergessen, die gestorben sind, weil es
keine Beatmungsgeräte gab,
teilweise als Folge der von Jahr zu Jahr abgebauten
Gesundheitssysteme. Dass
ein so großer Schmerz nicht umsonst war, dass wir einen Sprung hin
zu einer neuen Lebensweise
machen und wir ein für alle Mal entdecken, dass wir einander
brauchen und in
gegenseitiger Schuld stehen. So wird die Menschheit mit all ihren Gesichtern,
all
12
ihren Händen und all ihren
Stimmen wiedererstehen, über die von uns geschaffenen Grenzen
hinaus.
36. Wenn es uns nicht
gelingt, diese gemeinsame Leidenschaft für eine zusammenstehende und
solidarische Gemeinschaft
wiederzuerlangen, der man Zeit, Einsatz und Güter widmet, wird die
weltweite Illusion, die uns
täuscht, verheerend zusammenbrechen und viele dem Überdruss und
der Leere überlassen. Im
Übrigen sollte man nicht naiv übersehen, dass »die Versessenheit auf
einen konsumorientierten
Lebensstil – vor allem, wenn nur einige wenige ihn pflegen können – nur
Gewalt und gegenseitige
Zerstörung auslösen kann«.[35] Das „Rette sich wer kann“ wird schnell
zu einem „Alle gegen alle“,
und das wird schlimmer als eine Pandemie sein.
Ohne menschliche Würde an
den Grenzen
37. Sowohl in einigen
populistischen politischen Regimen als auch in liberalen wirtschaftlichen
Kreisen vertritt man die
Ansicht, dass man die Ankunft von Migranten um jeden Preis vermeiden
müsse. Gleichzeitig wird
argumentiert, dass man die Hilfen für arme Länder beschränken soll,
damit diese den Tiefstand
erreichen und sich entschließen, Maßnahmen für effektive
Einsparungen zu ergreifen.
Man merkt aber nicht, dass solchen abstrakten, schwer
aufrechtzuerhaltenden
Behauptungen so viele zerstörte Existenzen gegenüberstehen. Viele
flüchten vor Krieg, vor
Verfolgungen und Naturkatastrophen. Andere sind mit vollem Recht auf der
Suche »nach Chancen für
sich und ihre Familien. Sie träumen von einer besseren Zukunft und
wollen die Voraussetzungen
dafür schaffen, damit diese wahr wird«.[36]
38. Leider werden manche
»von der Kultur des Westens angezogen und brechen mit teils
unrealistischen Erwartungen
auf, die schwer enttäuscht werden können. Skrupellose
Menschenhändler, die oft
mit Drogen- und Waffenkartellen in Verbindung stehen, nutzen die
Schwäche von Migranten aus,
die auf ihrem Weg immer wieder mit Gewalt, Menschenhandel,
psychischem und physischem
Missbrauch und unsagbarem Leid konfrontiert werden«.[37]
Diejenigen, die emigrieren,
»erleben die Trennung von ihrem ursprünglichen Umfeld und oft auch
eine kulturelle und
religiöse Entwurzelung. Der Bruch betrifft auch die Gemeinschaften am
Herkunftsort, die ihre
stärksten Mitglieder mit der größten Eigeninitiative verlieren, sowie die
Familien, insbesondere wenn
ein oder beide Elternteile emigrieren und ihre Kinder in ihrem
Herkunftsland
zurücklassen«.[38] Folglich muss auch »das Recht nicht
auszuwandern – das heißt,
in der Lage zu sein, im
eigenen Land zu bleiben – bekräftigt werden«.[39]
39. Obendrein »lösen in
einigen Ankunftsländern Migrationsphänomene Alarm und Ängste aus,
die oft für politische
Zwecke angeheizt und missbraucht werden. Auf diese Weise verbreitet sich
eine fremdenfeindliche
Mentalität, man verschließt sich und zieht sich in sich selbst
zurück«.[40] Die
Migranten werden als nicht würdig genug angesehen, um wie jeder andere am
sozialen Leben
teilzunehmen, und man vergisst, dass sie die gleiche innewohnende Würde
besitzen wie alle Menschen.
Daher müssen sie ihre eigene Rettung selbst in die Hand
13
nehmen.[41] Niemand
wird behaupten, dass sie keine Menschen sind, in der Praxis jedoch bringt
man mit den Entscheidungen
und der Art und Weise, wie man sie behandelt, zum Ausdruck, dass
man ihnen weniger Wert
beimisst, sie für weniger wichtig und weniger menschlich hält. Es ist nicht
hinnehmbar, dass Christen
diese Mentalität und diese Haltungen teilen, indem sie zuweilen
bestimmte politische
Präferenzen über fundamentalste Glaubensüberzeugungen stellen. Die
unveräußerliche Würde jedes
Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion ist
das höchste Gesetz der
geschwisterlichen Liebe.
40. »Die Migrationen werden
ein grundlegendes Element der Zukunft der Welt
darstellen«.[42] Heute
werden sie jedoch »mit dem Verlust jenes Sinns für brüderliche
Verantwortung, auf dem sich
jede Zivilgesellschaft gründet«,[43] konfrontiert. Europa
beispielsweise läuft
ernsthaft Gefahr, diesen Weg zu beschreiten. Immerhin besitzt es,
»unterstützt durch sein
großes kulturelles und religiöses Erbe, die Mittel […], um die Zentralität der
Person zu verteidigen und
um das rechte Gleichgewicht zu finden in seiner zweifachen
moralischen Pflicht,
einerseits die Rechte der eigenen Bürger zu schützen und andererseits die
Betreuung und die Aufnahme
der Migranten zu garantieren«.[44]
41. Ich kann
nachvollziehen, dass manche gegenüber den Migranten Zweifel hegen oder Furcht
verspüren. Ich verstehe das
als Teil des natürlichen Instinkts der Selbstverteidigung. Es ist jedoch
auch wahr, dass eine Person
und ein Volk nur dann fruchtbar sind, wenn sie es verstehen, die
Öffnung gegenüber den
anderen in sich selbst schöpferisch zu integrieren. Ich lade dazu ein, über
diese primären Reaktionen
hinauszugehen, denn »das Problem ist, dass diese unsere Denk- und
Handlungsweise so weit
konditionieren, dass sie uns intolerant, verschlossen und vielleicht sogar
– ohne dass wir es merken –
rassistisch machen. Und so beraubt uns die Angst des Wunsches
und der Fähigkeit, dem
anderen […] zu begegnen«.[45]
Die Täuschung der
Kommunikation
42. Während verschlossene
und intolerante Haltungen, die uns von den anderen abschotten,
zunehmen, verringert sich
oder verschwindet paradoxerweise die Distanz bis hin zur Aufgabe des
Rechts auf Privatsphäre.
Alles wird zu einer Art Schauspiel, das belauscht und überwacht werden
kann. Das Leben wird einer
ständigen Kontrolle ausgesetzt. In der digitalen Kommunikation will
man alles zeigen, und jeder
Einzelne wird zum Objekt von oftmals verborgenem Interesse, das ihn
bespitzelt, entblößt und in
die Öffentlichkeit zerrt. Die Achtung vor dem anderen bröckelt, und auf
diese Weise – gerade wenn
ich ihn verdränge, ihn nicht beachte und auf Distanz halte – kann ich
ohne irgendeine Scham bis
zum Äußersten in sein Leben eindringen.
43. Auf der anderen Seite
bilden die zerstörerischen Hassgruppen im Netz – wie manche uns
glauben machen möchten –
nicht eine geeignete Plattform gegenseitiger Hilfe, sondern sind reine
Vereinigungen gegen einen
Feind. Ja, »durch digitale Medien besteht die Gefahr, dass Nutzer
abhängig werden, sich
isolieren und immer stärker den Kontakt zur konkreten Wirklichkeit
14
verlieren, wodurch die
Entwicklung echter zwischenmenschlicher Beziehungen behindert
wird«.[46]
Es bedarf der körperlichen Gesten, des Mienenspiels, der Momente des
Schweigens,
der Körpersprache und sogar
des Geruchs, der zitternden Hände, des Errötens und des
Schwitzens, denn all dies
redet und gehört zur menschlichen Kommunikation. Die digitalen
Beziehungen, die von der
Mühe entbinden, eine Freundschaft, eine stabile Gegenseitigkeit und
auch ein mit der Zeit
reifendes Einvernehmen zu pflegen, geben sich nur den Anschein einer
Geselligkeit. Sie bilden
nicht wirklich ein „Wir“, sondern verbergen und verstärken gewöhnlich
jenen Individualismus, der
sich in der Fremdenfeindlichkeit und in der Geringschätzung der
Schwachen ausdrückt. Die
digitale Vernetzung genügt nicht, um Brücken zu bauen; sie ist nicht in
der Lage, die Menschheit zu
vereinen.
Aggressivität ohne Scham
44. Während die Menschen in
ihren behaglichen Konsumgewohnheiten verharren, gehen sie
gleichzeitig ständig
vereinnahmende Bindungen ein. Dies fördert das Aufwallen ungewöhnlicher
Formen von Aggressivität,
von Beschimpfungen, Misshandlungen, Beleidigungen, verbalen
Ohrfeigen bis hin zur
Ruinierung der Person des anderen. Dies geschieht mit einer
Hemmungslosigkeit, die bei
einem Zusammentreffen von Angesicht zu Angesicht nicht in der
gleichen Weise vorkommt,
weil wir uns sonst am Ende gegenseitig zerfleischen würden. Die
soziale Aggressivität
findet auf Mobilgeräten und Computern einen Raum von noch nie
dagewesener Verbreitung.
45. So wurde es möglich,
dass die Ideologien jede Scham fallenließen. Was bis vor wenigen
Jahren von niemandem gesagt
werden konnte, ohne dass man seinen Ruf vor der ganzen Welt
gefährdet hätte, das kann
heute in aller Grobheit auch von Politikern geäußert werden, ohne dafür
belangt zu werden. Man darf
nicht übersehen, »dass in der digitalen Welt gigantische
wirtschaftliche Interessen
am Werke sind, die ebenso subtil wie invasiv Kontrolle ausüben und
Mechanismen schaffen, mit
denen das Gewissen und demokratische Prozesse manipuliert
werden. Viele Plattformen
funktionieren so, dass sich im Endeffekt häufig nur Gleichgesinnte
begegnen und eine
Auseinandersetzung mit Andersartigem erschwert wird. Diese geschlossenen
Kreise erleichtern die
Verbreitung von falschen Informationen und Nachrichten und schüren
Vorurteile und Hass«.[47]
46. Wir müssen zugeben,
dass von solchem Fanatismus, der zur Zerstörung anderer führen kann,
auch religiöse Menschen –
Christen nicht ausgeschlossen – befallen sind, die »über das Internet
und die verschiedenen Foren
und Räume des digitalen Austausches Teil von Netzwerken verbaler
Gewalt werden [können].
Sogar in katholischen Medien können die Grenzen überschritten
werden; oft bürgern sich
Verleumdung und üble Nachrede ein, und jegliche Ethik und jeglicher
Respekt vor dem Ansehen
anderer scheinen außen vor zu bleiben«.[48] Was aber tragen sie so
zu der Geschwisterlichkeit
bei, die unser gemeinsamer Vater uns vor Augen stellt?
15
Information ohne Weisheit
47. Die wahre Weisheit
beinhaltet die Begegnung mit der Wirklichkeit. Heute jedoch kann man
alles herstellen, verbergen
und verändern. Das führt dazu, dass man die direkte Begegnung mit
den Grenzen der
Wirklichkeit nicht erträgt. Folglich führt man einen „Auswahl“-Mechanismus
durch und macht es sich zur
Gewohnheit, das, was einem gefällt, sofort von dem, was einem nicht
gefällt, das Attraktive vom
Unliebsamen, zu trennen. Nach der gleichen Logik wählt man die
Menschen aus, mit denen man
die Welt teilen will. So werden Menschen oder Situationen, die
unsere Empfindsamkeit
verletzt haben oder uns unangenehm waren, heute einfach in den
virtuellen Netzen
eliminiert. Auf diese Weise bilden wir einen virtuellen Kreis, der uns von der
Umgebung, in der wir leben,
isoliert.
48. Sich hinsetzen, um
einem anderen zuzuhören, ist charakteristisch für eine menschliche
Begegnung und stellt ein
Paradigma einer aufnahmebereiten Haltung dar. Damit überwindet ein
Mensch den Narzissmus; er
heißt den anderen willkommen, schenkt ihm Aufmerksamkeit und
nimmt ihn in der eigenen
Gruppe auf. Dennoch »ist die Welt von heute mehrheitlich eine taube
Welt […]. Manchmal hindert
uns die Geschwindigkeit der modernen Welt, die Hektik, daran, einem
anderen Menschen gut
zuzuhören. Wenn er in der Mitte seiner Wortmeldung ist, unterbrechen wir
ihn schon und wollen ihm
antworten, obwohl er noch nicht zu Ende gesprochen hat. Man darf die
Fähigkeit zuzuhören nicht
verlieren. [Der heilige Franziskus] hat der Stimme Gottes zugehört, er
hat der Stimme des Armen
zugehört, er hat der Stimme des Kranken zugehört, er hat die Stimme
der Natur vernommen. All
das verwandelt er in einen Lebensstil. Ich hoffe, dass der Samen des
heiligen Franziskus in
allem Herzen heranwachse«.[49]
49. Wenn es kein Schweigen
und Zuhören mehr gibt und alles in ein schnelles und ungeduldiges
Tippen und Senden von
Botschaften verwandelt wird, setzt man diese Grundstruktur einer weisen
menschlichen Kommunikation
aufs Spiel. Man schafft einen neuen Lebensstil, bei dem man das
herstellt, was man vor sich
haben will. Dabei schließt man alles aus, was man nicht flüchtig und
augenblicklich
kontrollieren oder erkennen kann. Diese Dynamik verhindert aufgrund ihrer
inneren
Logik ein ruhiges
Nachdenken, das uns zu einer menschlich vermittelbaren Weisheit führen
könnte.
50. Wir können gemeinsam
die Wahrheit im Dialog suchen, im ruhigen Gespräch oder in der
leidenschaftlichen
Diskussion. Das ist ein Weg, der Ausdauer braucht und auch vom Schweigen
und Leiden geprägt ist. Er
ist in der Lage, geduldig die umfangreiche Erfahrung der Menschen und
Völker zusammenzubringen.
Die erdrückende Fülle von Information, die uns überschwemmt,
bedeutet nicht mehr
Weisheit. Weisheit entsteht nicht durch ungeduldiges Nachforschen im
Internet und auch nicht
durch eine Ansammlung von Information, deren Wahrheitsgehalt nicht
erwiesen ist. Auf diese
Weise reift man nicht in der Begegnung mit der Wahrheit. Die Gespräche
kreisen am Ende nur um die
neuesten Daten und sind schlicht ein oberflächlicher Wortschwall.
Man schenkt aber dem
Eigentlichen des Lebens keine eingehende Aufmerksamkeit und dringt
16
nicht zu ihm vor, man
erkennt nicht, was das Wesentliche ist, um der Existenz Sinn zu verleihen.
So wird die Freiheit eine
Illusion, die uns verkauft wird und die mit der Freiheit, vor einem
Bildschirm zu surfen,
verwechselt wird. Das Problem besteht darin, dass ein Weg der
Geschwisterlichkeit, im
Kleinen wie im Großen, nur von freien Geistern beschritten werden kann,
die zu wirklichen
Begegnungen bereit sind.
Unterwerfung und
Selbstverachtung
51. Einige in wirtschaftlicher
Hinsicht erfolgreiche Länder werden als kulturelle Vorbilder für die
weniger entwickelten Länder
hingestellt, anstatt zu versuchen, dass jedes Land in dem ihm
eigenen Stil wachse und
seine Fähigkeiten zu einer Erneuerung nach den eigenen kulturellen
Werten entwickle. Diese
oberflächliche und betrübliche Vorstellung führt dazu, eher zu kopieren
und zu kaufen, als vielmehr
selbst schöpferisch tätig zu sein, und gibt Anlass für ein sehr niedriges
nationales
Selbstwertgefühl. In den wohlhabenderen Schichten vieler armer Länder und
manchmal bei denen, die es
geschafft haben, aus der Armut herauszukommen, stellt man eine
Unfähigkeit fest, ihre
eigene Situation und deren Entwicklung zu akzeptieren. So verfallen sie
einer Verachtung der
eigenen kulturellen Identität, als ob sie die Ursache aller Übel sei.
52. Das Selbstwertgefühl
einer Person zu zerstören ist ein einfacher Weg, um sie zu beherrschen.
Hinter diesen Tendenzen,
die auf eine Homogenisierung der Welt abzielen, treten
Machtinteressen hervor, die
von der geringen Selbstachtung profitieren, während gleichzeitig über
Medien und Netzwerke
versucht wird, eine neue Kultur im Dienst der Mächtigeren zu schaffen.
Dies wird von einer
skrupellosen Finanzspekulation und Ausbeutung ausgenutzt, wo die Armen
immer die Verlierer sind.
Andererseits bedeutet das Ignorieren der Kultur eines Volkes, dass viele
politische
Verantwortungsträger nicht mehr in der Lage sind, ein leistungsfähiges Projekt
durchzuführen, das frei
übernommen und über die Zeit hinweg aufrechterhalten werden kann.
53. Man vergisst, dass »es
keine schlimmere Entfremdung gibt als erfahren zu müssen, keine
Wurzeln zu haben und zu
niemanden zu gehören. Ein Land wird nur in dem Maß fruchtbar sein,
ein Volk wird nur in dem
Maß Früchte tragen und Zukunft schaffen können, wie es Beziehungen
der Zusammengehörigkeit
unter seinen Mitgliedern hervorbringt und Bindungen zur Integration
unter den Generationen und
seinen verschiedenen Gemeinschaften schafft; und wie es die
Spiralen durchbricht,
welche die Sinne trüben und so uns immer mehr voneinander
entfernen«.[50]
Hoffnung
54. Trotz dieser dunklen
Schatten, die nicht ignoriert werden dürfen, möchte ich auf den folgenden
Seiten den vielen Wegen der
Hoffnung eine Stimme geben. Gott fährt nämlich fort, unter die
Menschheit Samen des Guten
zu säen. Die jüngste Pandemie hat uns erlaubt, viele
Weggefährten und
-gefährtinnen wiederzufinden und wertzuschätzen, die in Situationen der Angst
17
mit der Hingabe ihres
Lebens reagiert haben. Wir können erkennen, dass unsere Leben
miteinander verwoben sind
und wir durch einfache Menschen Hilfestellung erfahren haben, die
aber zweifellos eine
bedeutende Seite unserer Geschichte geschrieben haben: Ärzte,
Krankenschwestern und
Pfleger, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte,
Transporteure,
Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, Priester, Ordensleute und viele, ja viele
andere, die verstanden
haben, dass niemand sich allein rettet.[51]
55. Ich lade zur Hoffnung
ein. »Sie spricht uns von einem Durst, einem Streben, einer Sehnsucht
nach Fülle, nach gelungenem
Leben; davon, nach Großem greifen zu wollen, nach dem, was das
Herz weitet und den Geist
zu erhabenen Dingen wie Wahrheit, Güte und Schönheit, Gerechtigkeit
und Liebe erhebt. […] Die
Hoffnung ist kühn. Sie weiß über die persönliche Bequemlichkeit, über
die kleinen Sicherheiten
und Kompensationen, die den Horizont verengen, hinauszuschauen, um
sich großen Idealen zu
öffnen, die das Leben schöner und würdiger machen«.[52] Schreiten wir
voller Hoffnung voran!
ZWEITES
KAPITEL
EIN FREMDER AUF DEM
WEG
56. Alles, was ich im
vorigen Kapitel angesprochen habe, ist mehr als eine abgehobene
Beschreibung der
Wirklichkeit, denn »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von
heute, besonders der Armen
und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer
und Angst der Jünger
Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen
seinen Widerhall fände«.[53]
In der Absicht, ein Licht inmitten der Geschehnisse, die wir gerade
durchleben, zu finden,
möchte ich, bevor ich einige Handlungsleitlinien entwerfe, einer
zweitausend Jahre alten
Erzählung Jesu ein Kapitel widmen. Auch wenn sich dieses Schreiben an
alle Menschen guten
Willens, jenseits ihrer religiösen Überzeugungen, richtet, so äußert sich das
Gleichnis doch in einer
Weise, dass jeder von uns sich von ihm ansprechen lassen kann.
»In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die
Probe zu stellen, und fragte ihn:
„Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Jesus
sagte zu ihm: „Was steht im
Gesetz geschrieben? Was liest du?“ Er antwortete: „Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben mit
deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen
Kraft und deinem ganzen
Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus sagte zu ihm:
„Du hast richtig geantwortet.
Handle danach und du wirst leben!“ Der Gesetzeslehrer wollte sich
rechtfertigen und sagte zu
Jesus: „Und wer ist mein Nächster?“ Darauf antwortete ihm Jesus:
„Ein Mann ging von Jerusalem
nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie
plünderten ihn aus und schlugen ihn
18
nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen.
Zufällig kam ein Priester denselben
Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit
zu der Stelle; er sah ihn und
ging vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu
ihm; er sah ihn und hatte Mitleid,
ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband
sie. Dann hob er ihn auf sein
eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für
ihn. Und am nächsten Tag holte er
zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und
wenn du mehr für ihn
brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von
diesen dreien meinst du, ist
dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?“
Der Gesetzeslehrer
antwortete: „Der barmherzig an ihm gehandelt hat.“ Da sagte Jesus
zu ihm: „Dann geh und handle
du genauso!“« (Lk 10,25-37).
Der Hintergrund
57. Dieses Gleichnis hat
einen uralten Hintergrund. Kurz nach der Erzählung von der Erschaffung
der Welt und des Menschen
zeigt die Bibel die Herausforderung unserer zwischenmenschlichen
Beziehungen. Kain beseitigt
seinen Bruder Abel, und da ertönt die Frage Gottes: »Wo ist Abel,
dein Bruder?« (Gen 4,9).
Die Antwort ist die gleiche, wie wir sie oft geben: »Bin ich der Hüter
meines Bruders?« (ebd.).
Mit seiner Nachfrage stellt Gott jede Art von Determinismus oder
Fatalismus infrage, die versuchen,
die Gleichgültigkeit als einzig mögliche Antwort zu
rechtfertigen. Der Herr
befähigt uns stattdessen, eine andere Kultur zu schaffen, die uns dahin
ausrichtet, die
Feindschaften zu überwinden und füreinander zu sorgen.
58. Das Buch Ijob nimmt die
Tatsache, dass wir einen gemeinsamen Schöpfer haben, als
Grundlage für einige
allgemeine Rechte: »Hat nicht er, der mich im Mutterleib gemacht hat, ihn
gemacht, hat nicht Einer
uns im Mutterschoß geformt?« (31,15). Viele Jahrhunderte später
drückte der heilige Irenäus
dies mit dem Bild der Melodie aus: »Wer die Wahrheit liebt, darf sich
durch die
Unterschiedlichkeit der einzelnen Töne nicht verleiten lassen und mehrere
Künstler und
Schöpfer annehmen, wobei
der eine die hohen Töne, ein anderer die tiefen und noch ein anderer
die mittleren beigetragen
hätte, sondern es war ein und derselbe, zur Demonstration des ganzen
Werks und der Weisheit, der
Gerechtigkeit, Güte und Gnade«.[54]
59. In der jüdischen
Tradition scheint sich der Imperativ, den anderen zu lieben und sich um ihn zu
kümmern, auf die
Beziehungen zwischen den Gliedern ein und desselben Volkes zu beschränken.
Das alte Gebot »Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Lev 19,18) verstand man für
gewöhnlich auf die
Landsleute bezogen. Doch besonders im Judentum, das sich außerhalb des
Landes Israel entwickelte,
begannen sich die Grenzen zu weiten. Es wurde deutlich, dass man
dem anderen nicht etwas
zufügen darf, von dem man nicht will, dass es einem selbst angetan wird
(vgl. Tob 4,15). Der Weise
Hillel (1. Jh. v. Chr.) sagte in diesem Zusammenhang: »Darin besteht
das Gesetz und die
Propheten, alles andere ist nur die Erläuterung«.[55] Der Wunsch, die
göttliche Haltung
nachzuahmen, führte zur Überwindung der Tendenz, sich nur auf die Nächsten
zu beschränken: »Das
Erbarmen eines Menschen gilt seinem Nächsten, das Erbarmen des Herrn
19
aber gilt allen Lebewesen«
(Sir 18,13).
60. Im Neuen Testament
findet das Gebot des Hillel einen positiven Ausdruck: »Alles, was ihr
wollt, dass euch die
Menschen tun, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die
Propheten« (Mt 7,12).
Dieser Aufruf ist universal, er strebt danach, alle zu umfassen, allein wegen
ihres Menschseins; denn der
Allmächtige, der himmlische Vater »lässt seine Sonne aufgehen
über Bösen und Guten« (Mt
5,45). Und folglich wird verlangt: »Seid barmherzig, wie auch euer
Vater barmherzig ist!« (Lk
6,36).
61. Die Motivation, das
Herz so weit zu machen, dass es den Fremden nicht ausschließt, ist schon
in den ältesten Texten der
Bibel zu finden. Sie lässt sich auf die beständige Erinnerung des
jüdischen Volkes
zurückführen, dass es als Fremder in Ägypten gelebt hat:
»Einen Fremden sollst du
nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid im Land Ägypten
Fremde gewesen« (Ex 22,20).
»Einen Fremden sollst du
nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist;
denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen« (Ex 23,9).
»Wenn bei dir ein Fremder
in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der
sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und
du sollst ihn lieben wie dich
selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen« (Lev
19,33-34).
»Wenn du in deinem Weinberg
die Trauben geerntet hast, sollst du keine Nachlese halten. Sie soll
den Fremden, Waisen und Witwen gehören. Denk daran: Du bist in
Ägypten Sklave gewesen«
(Dtn 24,21-22).
Im Neuen Testament ertönt
nachdrücklich der Aufruf zur brüderlichen bzw. geschwisterlichen
Liebe:
»Denn das ganze Gesetz ist
in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst!« (Gal 5,14).
»Wer seinen Bruder liebt,
bleibt im Licht und in ihm gibt es keinen Anstoß. Wer aber seinen
Bruder hasst, ist in der Finsternis« (1 Joh 2,10-11).
»Wir wissen, dass wir aus
dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder
lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod« (1 Joh 3,14).
»Wer seinen Bruder nicht
liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht« (1 Joh
4,20).
20
62. Auch diese Einladung
zur Liebe konnte falsch verstanden werden. Nicht von ungefähr
ermahnte der heilige Paulus
seine Jünger, angesichts der Versuchung der ersten Gemeinden,
geschlossene und isolierte
Gruppen zu bilden, Liebe zueinander »und zu allen« (1 Thess 3,12) zu
üben; und in der Gemeinde
des Johannes forderte man, die Brüder gut aufzunehmen, »sogar [die]
Fremden« (3 Joh 5).
Dieser Zusammenhang hilft, den Wert des Gleichnisses Jesu vom
barmherzigen Samariter zu
verstehen: Für die Liebe ist es unerheblich, ob der verletzte Bruder
von hier oder von dort
kommt. Denn es ist »die Liebe, die die Ketten sprengt, die uns isolieren und
trennen, indem sie Brücken
schlägt; Liebe, die es uns möglich macht, eine große Familie zu
bilden, in der wir uns alle
zu Hause fühlen […]; Liebe, die nach Mitgefühl und Würde
schmeckt«.[56]
Der Verlassene
63. Jesus erzählt, wie ein
verwundeter Mann am Wegesrand auf dem Boden lag, weil er
überfallen worden war.
Mehrere Menschen gingen an ihm vorbei und blieben nicht stehen. Es
waren Menschen mit
wichtigen Stellungen in der Gesellschaft, die aber die Liebe für das
Gemeinwohl nicht im Herzen
trugen. Sie waren nicht in der Lage, einige Minuten zu erübrigen, um
dem Verletzten zu helfen
oder zumindest Hilfe zu suchen. Einer blieb stehen, schenkte ihm seine
Nähe, pflegte ihn mit
eigenen Händen, zahlte aus eigener Tasche und kümmerte sich um ihn. Vor
allem hat er ihm etwas
gegeben, mit dem wir in diesen hektischen Zeiten sehr knausern: Er hat
ihm seine Zeit geschenkt.
Sicherlich hatte er sein Programm für jenen Tag, entsprechend seiner
Bedürfnisse, seiner
Aufgaben oder seiner Wünsche. Aber er ist fähig gewesen, angesichts dieses
Verletzten alles beiseite
zu legen, und ohne ihn zu kennen, hat er ihn für würdig befunden, ihm
seine Zeit zu schenken.
64. Mit wem identifizierst
du dich? Diese Frage ist hart, direkt und entscheidend. Welchem von
ihnen ähnelst du? Wir
müssen die uns umgebende Versuchung erkennen, die anderen nicht zu
beachten, besonders die
Schwächsten. Sagen wir es so, in vieler Hinsicht haben wir Fortschritte
gemacht, doch wir sind
Analphabeten, wenn es darum geht, die Gebrechlichsten und
Schwächsten unserer
entwickelten Gesellschaften zu begleiten, zu pflegen und zu unterstützen.
Wir haben uns angewöhnt
wegzuschauen, vorbeizugehen, die Situationen zu ignorieren, solange
uns diese nicht direkt
betreffen.
65. Eine Person wird auf
der Straße überfallen, und viele laufen weg, als hätten sie nichts
gesehen. Oft gibt es
Menschen, die jemanden mit dem Auto anfahren und fliehen. Es ist ihnen nur
daran gelegen, Probleme zu
vermeiden; es interessiert sie nicht, ob durch ihre Schuld ein Mensch
stirbt. Dies aber sind
Zeichen eines verbreiteten Lebensstils, der sich auf verschiedene, vielleicht
auch subtilere Weisen
zeigt. Da wir alle zudem sehr auf unsere eigenen Bedürfnisse bezogen
sind, ist es uns lästig,
jemanden leiden zu sehen; es stört uns, weil wir keine Zeit wegen der
Probleme anderer verlieren
wollen. Dies sind Symptome einer kranken Gesellschaft, die versucht,
in ihrem Leben dem Schmerz
den Rücken zuzukehren.
21
66. Besser ist es, nicht in
dieses Elend zu verfallen. Betrachten wir das Modell des barmherzigen
Samariters. Dieser Text
lädt uns ein, unsere Berufung als Bürger unseres Landes und der ganzen
Welt, als Erbauer einer
neuen sozialen Verbundenheit wieder aufleben zu lassen. Es ist ein immer
neuer Ruf, obwohl er als
grundlegendes Gesetz in unser Sein eingeschrieben ist: dass die
Gesellschaft sich aufmacht,
das Gemeinwohl zu erstreben, und von dieser Zielsetzung her ihre
politische und soziale
Ordnung, ihr Beziehungsnetz und ihren Plan für den Menschen immer
wieder neu gestaltet. Mit
seinen Gesten hat der barmherzige Samariter gezeigt, dass »die
Existenz eines jeden von
uns an die der anderen gebunden ist: das Leben ist keine
verstreichende Zeit,
sondern Zeit der Begegnung«.[57]
67. Dieses Gleichnis ist
ein aufschlussreiches Bild, das fähig ist, die grundlegende Option
hervorzuheben, die wir
wählen müssen, um diese Welt, an der wir leiden, zu erneuern. Angesichts
so großen Leids und so
vieler Wunden besteht der einzige Ausweg darin, so zu werden wie der
barmherzige Samariter. Jede
andere Entscheidung führt auf die Seite der Räuber oder derer, die
vorbeigehen, ohne Mitleid
zu haben mit den Schmerzen des Menschen, der verletzt auf der
Straße liegt. Das Gleichnis
zeigt uns, mit welchen Initiativen man eine Gemeinschaft erneuern
kann, ausgehend von Männern
und Frauen, die sich der Zerbrechlichkeit der anderen annehmen.
Sie lassen nicht zu, dass
eine von Exklusion geprägte Gesellschaft errichtet wird, sondern
kommen dem gefallenen
Menschen nahe, richten ihn auf und helfen ihm zu laufen, damit das
Gute allen zukommt.
Zugleich weist uns das Gleichnis auf bestimmte Verhaltensweisen von
Menschen hin, die nur auf
sich selbst schauen und sich nicht um die unabdingbaren Erfordernisse
der menschlichen Realität
kümmern.
68. Die Erzählung – sagen
wir es deutlich – liefert keine Lehre abstrakter Ideale und beschränkt
sich auch nicht auf die
Funktionalität einer sozialethischen Moral. Sie zeigt uns eine oft
vergessene wesentliche
Charakteristik des menschlichen Seins: Wir sind für die Fülle geschaffen,
die man nur in der Liebe
erlangt. Es ist keine mögliche Option, gleichgültig gegenüber dem
Schmerz zu leben; wir
können nicht zulassen, dass jemand „am Rand des Lebens“ bleibt. Es
muss uns so empören, dass
wir unsere Ruhe verlieren und von dem menschlichen Leiden
aufgewühlt werden. Das ist
Würde.
Eine Geschichte, die sich
wiederholt
69. Diese Geschichte ist
einfach und linear, enthält jedoch die ganze Dynamik des inneren
Kampfes, die mit der
Entfaltung unserer Identität einhergeht, in jeder Existenz auf dem Weg zur
Verwirklichung menschlicher
Geschwisterlichkeit. Einmal auf dem Weg, treffen wir unvermeidlich
auf verletzte Menschen.
Heute gibt es immer mehr verletzte Menschen. Die Inklusion oder die
Exklusion des am Wegesrand
leidenden Menschen bestimmt alle wirtschaftlichen, politischen,
sozialen oder religiösen
Vorhaben. Jeden Tag stehen wir vor der Wahl, barmherzige Samariter zu
sein oder gleichgültige
Passanten, die distanziert vorbeigehen. Und wenn wir den Blick auf die
Gesamtheit unserer
Geschichte und auf die ganze Welt ausweiten, sind wir oder waren wir wie
22
diese Gestalten: wir alle
haben etwas vom verletzten Menschen, etwas von den Räubern, etwas
von denen, die vorbeigehen,
und etwas vom barmherzigen Samariter.
70. Es ist interessant, wie
die Unterschiede zwischen den Gestalten der Erzählung vollständig
verwandelt werden
angesichts des qualvollen Ausdrucks des gefallenen und gedemütigten
Menschen. Es gibt keine
Unterscheidung mehr zwischen dem Bewohner von Judäa und dem von
Samaria, es gibt weder
Priester noch Händler; es gibt einfach zwei Arten von Menschen: jene, die
sich des Leidenden
annehmen, und jene, die um ihn einen weiten Bogen herum machen; jene, die
sich herunterbücken, wenn
sie den gefallenen Menschen bemerken, und jene, die den Blick
abwenden und den Schritt
beschleunigen. In der Tat fallen unsere vielfältigen Masken, unsere
Etikette, unsere
Verkleidungen: Es ist die Stunde der Wahrheit. Bücken wir uns, um die Wunden
der anderen zu berühren und
zu heilen? Bücken wir uns, um uns gegenseitig auf den Schultern zu
tragen? Dies ist die
aktuelle Herausforderung, vor der wir uns nicht fürchten dürfen. In den
Augenblicken der Krise
stehen wir sozusagen vor einer bedrängenden Alternative: Wer in diesem
Moment kein Räuber ist bzw.
distanziert vorbeigeht, ist entweder verletzt oder trägt auf seinen
Schultern einen Verletzten.
71. Die Geschichte des
barmherzigen Samariters wiederholt sich: Es wird immer deutlicher, dass
die soziale und politische
Unbekümmertheit viele Orte der Welt zu trostlosen Straßen macht, wo
innere und internationale
Auseinandersetzungen sowie Gelegenheitsplünderungen viele
Ausgestoßene am Straßenrand
liegen lassen. In seinem Gleichnis stellt Jesus keine
Alternativwege vor, wie zum
Beispiel: Was wäre aus diesem schwerverletzten Menschen oder
seinem Helfer geworden,
wenn Zorn oder Rachegelüste in ihren Herzen Raum gefunden hätten?
Jesus vertraut auf die
bessere Seite des menschlichen Geistes und ermutigt ihn mit dem
Gleichnis, sich an die
Liebe zu halten, den Leidenden wieder einzugliedern und eine Gesellschaft
zu aufzubauen, die dieses
Namens würdig ist.
Die Personen
72. Das Gleichnis beginnt
mit den Räubern. Der Ausgangspunkt, den Jesus wählt, ist ein schon
geschehener Überfall. Er
lässt uns nicht lange über das Vergangene klagen; er lenkt unseren
Blick nicht auf die Räuber.
Wir kennen sie. Wir haben in der Welt die dunklen Schatten der
Verwahrlosung, der
Gewaltanwendung aufgrund von schäbigen Machtinteressen, von Gier und
Konflikten anwachsen
gesehen. Die Frage könnte lauten: Lassen wir den Verletzten liegen, um
uns in Sicherheit zu
bringen oder um die Räuber zu verfolgen? Können wir angesichts des
Verletzten unsere
unversöhnlichen Spaltungen, unsere grausame Gleichgültigkeit, unsere
internen
Auseinandersetzungen noch rechtfertigen?
73. Weiter lässt uns das
Gleichnis eindeutig einen Blick auf die richten, die vorbeigehen. Diese
gefährliche
Gleichgültigkeit, nicht anzuhalten – mehr oder weniger unschuldig –, ist die
Frucht der
Geringschätzung oder einer
betrüblichen Zerstreutheit, und macht aus dem Priester und dem
23
Leviten nicht weniger
traurige Spiegelbilder jener Absonderung von der Wirklichkeit. Es gibt viele
Weisen des Vorbeigehens,
die einander ergänzen. Eine besteht darin, sich auf sich selbst
zurückzuziehen, sich nicht
für die anderen zu interessieren, gleichgültig zu sein. Eine andere
Weise wäre, nur woandershin
zu schauen. Was diese letzte Weise des Vorbeigehens betrifft, gibt
es in einigen Ländern oder
in bestimmten Bereichen davon eine Geringschätzung der Armen und
ihrer Kultur. Man schaut
auf andere Länder, als ob ein von dort importiertes Projekt ihre Stelle
einnehmen sollte. Dies kann
die Gleichgültigkeit einiger erklären, denn jene, die ihr Herz mit ihren
Bitten anrühren könnten,
existieren für sie einfach nicht. Sie befinden sich außerhalb ihres
Interessenhorizonts.
74. Bei jenen, die
vorbeigehen, gibt es eine Besonderheit, die wir nicht übersehen dürfen: Sie
waren religiöse Menschen.
Mehr noch, sie widmeten sich dem Gottesdienst: ein Priester und ein
Levit. Das ist eine
besondere Bemerkung wert: Es weist darauf hin, dass die Tatsache, an Gott zu
glauben und ihn anzubeten,
keine Garantie dafür ist, dass man auch lebt, wie es Gott gefällt. Ein
gläubiger Mensch mag nicht
in allem treu sein, was der Glaube selbst erfordert, kann sich aber
dennoch Gott nahe fühlen
und sich für würdiger als die anderen halten. Es gibt hingegen Weisen,
den Glauben so zu leben,
dass er zu einer Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen
führt, und dies ist Gewähr
für eine echte Öffnung gegenüber Gott. Der heilige Johannes
Chrysostomos hat diese
Herausforderung für die Christen mit großer Klarheit zum Ausdruck
gebracht: »Willst du den
Leib Christi ehren? Dann übersieh nicht, dass dieser Leib nackt ist. Ehre
den Herrn nicht im Haus der
Kirche mit seidenen Gewändern, während du ihn draußen übersiehst,
wo er unter Kälte und Blöße
leidet«.[58] Paradoxerweise können diejenigen, die sich für
ungläubig
halten, den Willen Gottes
manchmal besser erfüllen als die Glaubenden.
75. Die „Straßenräuber“
haben für gewöhnlich als geheime Verbündete jene, die „die Straße
entlanggehen und auf die
andere Seite schauen“. Es schließt sich der Kreis zwischen jenen,
welche die Gesellschaft
ausnutzen und hintergehen, um sie auszuplündern, und jenen, die
meinen, die Reinheit ihrer
entscheidenden Funktion bewahren zu können, aber zugleich von
diesem System und seinen
Ressourcen leben. Es ist eine traurige Heuchelei, wenn die
Straffreiheit von
Verbrechen, die Nutzung von Institutionen zum persönlichen oder
unternehmerischen Vorteil
und andere Übel, die wir nicht ausrotten können, mit einer
permanenten
Disqualifizierung von allem, mit dem ständigen Säen von Misstrauen und
Ratlosigkeit einhergehen.
Der Täuschung des „Alles geht schief“ entspricht ein „Keiner kann es
richten“ und ein „Was kann
ich schon machen?“ Auf diese Weise nährt man Desillusionierung und
Hoffnungslosigkeit, und
dies stärkt weder die Solidarität noch die Großzügigkeit. Wenn man ein
Volk mutlos macht, dann
schließt sich ein wahrer Teufelskreis: So funktioniert die unsichtbare
Diktatur der eigentlichen
verborgenen Interessen, welche die Ressourcen beherrschen wie auch
die Meinungsbildung und das
Denken bestimmen.
76. Schauen wir zum Schluss
auf den verletzten Menschen. Manchmal fühlen wir uns wie er,
schwer verletzt und am
Straßenrand auf der Erde liegend. Wir fühlen uns auch von unseren
24
heruntergekommenen,
schlecht ausgerüsteten Institutionen im Stich gelassen, die manchmal den
Interessen einiger weniger
von innen oder außen dienen. Denn »in der globalisierten Gesellschaft
gibt es einen eleganten
Stil, sich abzuwenden, der gegenwärtig praktiziert wird: Unter dem
Deckmantel der politischen
Korrektheit oder ideologischer Modeerscheinungen schaut man auf
den Leidenden, ohne ihn zu
berühren; er wird live im Fernsehen übertragen. Es wird sogar eine
scheinbar tolerante Sprache
voller Euphemismen benutzt«.[59]
Wieder neu Beginnen
77. Jeder Tag bietet uns
eine neue Gelegenheit, ist eine neue Etappe. Wir dürfen nicht alles von
denen erwarten, die uns
regieren; das wäre infantil. Wir haben Möglichkeiten der
Mitverantwortung, die es
uns erlauben, neue Prozesse und Veränderungen einzuleiten und zu
bewirken. Wir müssen aktiv
Anteil haben beim Wiederaufbau und bei der Unterstützung der
verwundeten Gesellschaft.
Heute haben wir die großartige Gelegenheit, unsere
Geschwisterlichkeit zum
Ausdruck zu bringen; zu zeigen, dass wir auch barmherzige Samariter
sind, die den Schmerz des
Versagens auf sich nehmen, anstatt Hass und Ressentiments zu
verstärken. Wie der
zufällig vorbeikommende Reisende unserer Geschichte müssen wir nur den
uneigennützigen Wunsch
haben, schlicht und einfach Volk zu sein und uns beständig und
unermüdlich dafür
einzusetzen, dass alle miteinbezogen und integriert werden und, wer gefallen
ist, wieder aufgerichtet
wird; auch wenn wir manchmal versagen und gezwungen sind, nach der
Logik der Gewalttätigen zu
handeln, die nur auf ihr eigenes Fortkommen bedacht sind sowie
Verwirrung und Lügen
verbreiten. Mögen andere weiter an die Politik oder an die Wirtschaft für
ihre Machtspiele denken.
Halten wir das am Leben, was gut ist, und stellen wir uns dem Guten zur
Verfügung.
78. Wir können von unten,
bei einer Sache beginnen und für das kämpfen, was ganz konkret und
naheliegend ist, und bis
zum letzten Winkel des eigenen Landes und der ganzen Welt
weitergehen – mit der
gleichen Sorgfalt, mit der sich der Reisende von Samaria jeder einzelnen
Wunde des verletzten
Menschen annahm. Suchen wir die anderen, und nehmen wir die uns
aufgetragene Wirklichkeit
in die Hand, ohne Angst vor Schmerz oder Unvermögen, denn dort liegt
all das Gute verborgen, das
Gott in das Herz des Menschen gesät hat. Übergroß erscheinende
Schwierigkeiten sind
Gelegenheiten zum Wachstum, und nicht Entschuldigung für eine lähmende
Traurigkeit, welche zum
Aufgeben verlockt. Aber arbeiten wir nicht allein und individuell. Der
Samariter suchte einen
Gastgeber, der sich um jenen Menschen kümmern konnte; genauso sind
auch wir gerufen, andere
einzuladen und uns in einem „Wir“ zu begegnen, das stärker ist als die
Summe der kleinen
Einzelpersonen. Erinnern wir uns daran, dass »das Ganze mehr ist als die
Teile und auch mehr ist als
ihre einfache Summe«.[60] Verzichten wir auf Engstirnigkeit, auf den
Unmut unfruchtbarer
Parteilichkeit und auf endlose Konfrontationen. Hören wir auf, den Schmerz
der Verluste zu verstecken
und nehmen wir unsere Vergehen auf uns, unsere Feigheit und unsere
Lügen. Die heilende
Versöhnung lässt uns auferstehen und die Angst vor uns selbst und vor
anderen vergessen.
25
79. Der Samariter ging
fort, ohne Anerkennung oder Dank zu erwarten. Seine dienende Hingabe
brachte ihm großen Frieden
mit Gott und sich selbst und war ihm deshalb eine innere
Verpflichtung. Wir alle
tragen eine Verantwortung gegenüber dem Verwundeten, das heißt
gegenüber dem eigenen Volk
und allen Völker der Erde. Tragen wir Sorge für die Zerbrechlichkeit
jedes Mannes, jeder Frau,
jedes Kindes und jedes älteren Menschen mit dieser solidarischen und
aufmerksamen Haltung der
Nähe des barmherzigen Samariters.
Der Nächste ohne Grenzen
80. Jesus wählte dieses
Gleichnis als Antwort auf die Frage: Wer ist mein Nächster? Das Wort
„Nächster“ pflegte in der
Gesellschaft zu Zeiten Jesu denjenigen zu bezeichnen, der einem sehr
nahe, ja, am nächsten war.
Man verstand darunter, dass die Hilfe sich vor allem an den richtete,
der der eigenen Gruppe, der
gleichen Ethnie angehörte. Ein Samariter war für einige Juden
damals als ein
verachtungswürdiger, unreiner Mensch anzusehen. Deshalb gehörte er nicht zu
den Nachbarn, denen man
Hilfe gewähren musste. Der Jude Jesus stellt diese Auffassung völlig
auf den Kopf: Er ruft uns
nicht auf, danach zu fragen, wer die sind, die uns nahe sind, sondern uns
selbst zu nähern, selbst
zum Nächsten zu werden.
81. Es geht darum, der
hilfsbedürftigen Person beizustehen, ohne darauf zu schauen, ob sie zu
meinen Kreisen gehört. Im
genannten Fall ist es der Samariter, der dem verletzten Juden der
Nächste geworden ist. Um sich ihm zu nähern und bei ihm zu sein,
hat er alle kulturellen und
geschichtlichen Schranken
überwunden. Die Folgerung Jesu ist eine Aufforderung: »Dann geh
und handle du genauso!« (Lk
10,37). Das heißt, er fordert uns auf, jeden Unterschied beiseite zu
lassen und jedem Menschen
angesichts des Leidens beizustehen. Ich sage also nicht mehr, dass
ich „Nächste“ habe, denen
ich helfen muss, sondern dass ich mich gerufen fühle, den anderen ein
Nächster zu werden.
82. Das Problem ist, dass
Jesus ausdrücklich hervorhebt, dass es sich beim Verletzten um einen
Juden – einen Bewohner von
Judäa – handelte, während jener, der anhielt und ihm half, ein
Samariter – ein Bewohner
von Samaria – war. Dieses Detail besitzt eine enorme Bedeutung, wenn
man über eine Liebe
nachdenkt, die sich allen öffnet. Die Samariter wohnten in einem Gebiet, wo
auch heidnische Riten
vorkamen. Das machte sie für die Juden unrein, verabscheuungswürdig,
gefährlich. In der Tat
bezeichnet ein antiker hebräischer Text, der verhasste Nationen erwähnt,
Samaria sogar als »kein
Volk« (Sir 50,25) und fügt hinzu: Es ist »das törichte Volk, das in Sichem
wohnt« (V. 26).
83. Das erklärt, warum eine
Samariterin, als Jesus sie um etwas zu trinken bittet, so heftig
antwortet: »Wie kannst du
als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten?« (Joh 4,9).
Für alle, die nach einem
Vorwand suchten, um Jesus in Misskredit zu bringen, bot sich hier eine
sehr gute Angriffsfläche,
da sie ihn als »von einem Dämon besessen« und als »Samariter« (Joh
8,48) bezeichnen konnten.
Deshalb ist diese barmherzige Begegnung zwischen einem Samariter
26
und einem Juden eine starke
Provokation, die jeder ideologischen Manipulation entgegentritt,
damit wir unseren Kreis
erweitern und unserer Liebesfähigkeit eine universale Dimension geben,
die in der Lage ist, alle
Vorurteile, historische und kulturelle Hindernisse sowie kleinliche
Interessen zu überwinden.
Der Aufruf des Fremden
84. Schließlich erinnere
ich daran, dass Jesus in einem anderen Abschnitt des Evangeliums sagt:
»Ich war fremd und ihr habt
mich aufgenommen« (Mt 25,35). Jesus konnte diese Worte sagen,
weil er ein offenes Herz
hatte, das sich die Bedrängnisse der anderen zu eigen machte. Der
heilige Paulus mahnte:
»Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!« (Röm
12,15). Wenn das Herz eine
solche Haltung annimmt, ist es fähig, sich mit dem anderen zu
identifizieren, ohne darauf
zu achten, wo einer geboren ist oder wo er herkommt. Wenn einer in
diese Dynamik eintritt,
macht er letztendlich die Erfahrung, dass die anderen „von demselben
Fleisch“ (vgl. Jes 58,7)
sind.
85. Für die Christen haben
die Worte Jesu noch eine andere, eine transzendente Dimension. Sie
haben zur Folge, Christus
selbst in jedem verlassenen und ausgeschlossenen Bruder und in jeder
verstoßenen oder
vereinsamten Schwester wiederzuerkennen (vgl. Mt 25,40.45). Tatsächlich
bietet der Glaube wichtige
Beweggründe für die Anerkennung des anderen; denn wer glaubt, kann
erkennen, dass Gott jeden
Menschen mit einer unendlichen Liebe liebt und dass er »ihm dadurch
unendliche Würde verleiht«.[61] Dazu
kommt, dass wir glauben, dass Christus sein Blut für alle
und für jeden Einzelnen
vergossen hat und für ihn keiner von seiner allumfassenden Liebe
ausgeschlossen bleibt. Wenn
wir zur letzten Quelle gehen, die das innerste Leben Gottes ist,
begegnen wir einer
Gemeinschaft von drei Personen, Ursprung und vollkommenes Modell jedes
Lebens in Gemeinschaft. Die
Theologie wird weiterhin durch das fortwährende Nachdenken über
diese große Wahrheit
bereichert.
86. Manchmal betrübt mich
die Tatsache, dass die Kirche trotz solcher Motivationen so lange
gebraucht hat, bis sie mit
Nachdruck die Sklaverei und verschiedene Formen der Gewalt
verurteilte. Durch die
Weiterentwicklung von Spiritualität und Theologie haben wir heute keine
Entschuldigung mehr.
Trotzdem gibt es immer noch jene, die meinen, ihr Glaube würde sie
ermutigen oder es ihnen
zumindest erlauben, verschiedene Formen von engstirnigen und
gewalttätigen Nationalismen
zu unterstützen, von fremdenfeindlichen Einstellungen, von
Verachtung und sogar Misshandlungen
von Menschen, die anders sind. Der Glaube muss
zusammen mit der ihm
innewohnenden Menschlichkeit ein kritisches Gespür gegenüber diesen
Tendenzen lebendig halten
und dazu beitragen, schnell zu reagieren, wenn sie sich einzunisten
beginnen. Daher ist es
wichtig, dass die Katechese und die Predigt auf direktere und klarere
Weise die soziale Bedeutung
der Existenz, die geschwisterliche Dimension der Spiritualität, die
Überzeugung der
unveräußerlichen Würde jedes Menschen und die Beweggründe, um alle zu
lieben und anzunehmen,
einbezieht.
27
DRITTES
KAPITEL
EINE OFFENE WELT DENKEN UND
SCHAFFEN
87. Ein Mensch kann sich
nur entwickeln, sich verwirklichen und Erfüllung finden in »der
aufrichtigen Hingabe seiner
selbst«.[62] Nur in der Begegnung mit dem anderen vermag
er seine
eigene Wahrheit vollständig
zu erkennen: »Ich kommuniziere nicht wirklich mit mir selbst, wenn
nicht in dem Maße, wie ich
mit dem anderen kommuniziere«.[63] Deshalb kann niemand ohne die
Liebe zu konkreten
Mitmenschen den Wert des Lebens erfahren. Hierin liegt ein Geheimnis echter
menschlicher Existenz, denn
»das Leben existiert dort, wo es Bande gibt, Gemeinschaft,
Brüderlichkeit; und es ist
ein Leben, das stärker ist als der Tod, wenn es auf wahren Beziehungen
und Banden der Treue
aufgebaut ist. Andererseits gibt es da kein Leben, wo man den Anspruch
stellt, nur sich selbst zu
gehören und als Inseln zu leben: in diesen Haltungen herrscht der Tod
vor«.[64]
Darüber hinaus
88. Vom Inneren eines jeden
Herzens her schafft die Liebe Verbindungen und weitet die Existenz,
wenn sie die Person aus
sich selbst heraus und zum anderen hin führt.[65] Wir sind für die
Liebe
geschaffen, und in jedem
von uns gibt es »das, was man das Gesetz der Ekstase nennen könnte
[…]: Der Liebende tritt
heraus aus seinem Selbst, um eine vollere Existenz in einem anderen zu
finden«.[66] Deshalb
»muss es der Mensch auf jeden Fall einmal selbst fertigbringen, von sich
selbst abzuspringen«.[67]
89. Andererseits kann sich
mein Leben nicht auf meine Beziehungen innerhalb einer kleinen
Gruppe oder meiner Familie
beschränken, denn ohne ein breiteres Beziehungsgeflecht ist es nicht
möglich, sich selbst zu
verstehen. Dabei geht es nicht nur um meine aktuellen Beziehungen,
sondern auch um das soziale
Gefüge, das schon vor mir da war und mich im Laufe meines
Lebens geprägt hat. Eine
Beziehung zu einer Person, die ich schätze, bedeutet nicht, dass diese
Person nur aufgrund ihrer
Beziehung zu mir lebt, und auch nicht, dass ich nur aufgrund meiner
Beziehung zu dieser Person
lebe. Gesunde und echte Beziehungen öffnen uns für andere, die
uns wachsen lassen und
bereichern. Leicht verschwindet heute die edelste soziale Gesinnung
hinter einer egoistisch
geprägten Vertrautheit, die nur den Anschein intensiver Beziehungen
erweckt. Echte Liebe, die
uns hilft zu wachsen, und die edelsten Formen der Freundschaft
wohnen jedoch in Herzen,
die sich vervollkommnen lassen. Partnerschaftliche oder
freundschaftliche
Beziehungen sind darauf ausgerichtet, das Herz für die Umgebung zu öffnen
und uns zu befähigen, aus
uns selbst herauszugehen, um alle anzunehmen. Exklusive Gruppen
28
und selbstbezogene Paare,
die sich als „Wir“ in Abgrenzung vom Rest der Welt definieren, sind in
der Regel veredelte Formen
des Egoismus und reiner Abschottung.
90. Es ist kein Zufall,
dass viele kleine Bevölkerungsgruppen, die in Wüstengebieten überlebt
haben, eine großzügige
Willkommenskultur für durchreisende Fremde entwickelt haben, und
damit ein beispielhaftes
Zeichen für die heilige Pflicht der Gastfreundschaft setzen. Diese Praxis
pflegten auch die
mittelalterlichen Klostergemeinschaften, wie man an der Regel des heiligen
Benedikt ablesen kann.
Obwohl das die Ordnung und das Schweigen in den Klöstern stören
konnte, forderte Benedikt,
dass die Armen und Fremden »mit Eifer und Sorge«[68] aufgenommen
werden sollten.
Gastfreundschaft ist ein konkreter Weg, auf diese Herausforderung und dieses
Geschenk nicht zu
verzichten, die eine Begegnung mit Menschen darstellt, die nicht dem eigenen
Umfeld angehören. Diese
gastfreundlichen Menschen erkannten, dass alle Werte, die sie pflegten,
notwendig mit dieser
Fähigkeit einhergingen, sich durch eine Offenheit anderen gegenüber selbst
zu transzendieren.
Der einzigartige Wert der Liebe
91. Menschen können
bestimmte Haltungen entwickeln, die moralische Werte darstellen:
Tapferkeit, Nüchternheit,
Fleiß und andere Tugenden. Aber um die praktischen Ausdrucksformen
der verschiedenen
moralischen Tugenden richtig zu lenken, ist auch zu bedenken, inwieweit sie
eine Dynamik der Offenheit
und der Einheit mit anderen Menschen bewirken. Eine solche
Dynamik ist die
Nächstenliebe, die Gott den Menschen eingießt. Andernfalls kann es sein, dass
wir als tugendhaft
erscheinen, ohne dass diese Tugenden in der Lage sind, ein
Gemeinschaftsleben
aufzubauen. Deshalb sagte der heilige Thomas von Aquin – wobei er den
heiligen Augustinus
zitierte –, dass die Maßhaltung der Geizhälse nicht tugendhaft sei.[69] Der
heilige Bonaventura
erklärte mit anderen Worten, dass die übrigen Tugenden ohne die
Nächstenliebe streng
genommen die Gebote nicht so erfüllen, »wie Gott das beabsichtigt«.[70]
92. Die geistliche Gestalt
des menschlichen Lebens ist von der Liebe geprägt, die »zum Maßstab
für den endgültigen
Entscheid über Wert oder Unwert eines Menschenlebens wird«.[71] Es
gibt
jedoch Gläubige, die
meinen, ihre Größe bestünde darin, anderen ihre Ideologien aufzuzwingen,
sei es in der gewaltsamen
Verteidigung der Wahrheit, sei es in großen Machtdemonstrationen.
Wir Gläubige müssen alle
dies erkennen: An erster Stelle steht die Liebe; was nie aufs Spiel
gesetzt werden darf, ist
die Liebe; die größte Gefahr besteht darin, nicht zu lieben (vgl. 1 Kor
13,1-
13).
93. Der heilige Thomas von
Aquin versuchte zu verdeutlichen, worin die Erfahrung der Liebe
besteht, die Gott mit
seiner Gnade ermöglicht. Er erklärte sie als eine Bewegung der
Aufmerksamkeit für den
anderen, insofern der Liebende das Geliebte in etwa »als ein Wesen mit
sich selbst betrachtet«.[72] Die
affektive Aufmerksamkeit, die dem anderen entgegengebracht
wird, führt zu einer
inneren Ausrichtung, die bedingungslos sein Wohl sucht. All dies nimmt seinen
29
Ausgang bei einem Wohlwollen,
bei einer Wertschätzung, also letztlich dem, was sich hinter dem
Wort „Nächstenliebe“
verbirgt: das Geliebte ist mir „teuer“, das heißt, ich halte es für sehr
wertvoll.[73] Und
»aus der Liebe, aufgrund derer man eine bestimmte Person schätzt, kommt all
das Gute, das man ihr
entgegenbringt«.[74]
94. Liebe bedeutet also
mehr als eine Reihe wohltätiger Handlungen. Die Handlungen entspringen
einer Einheit, die immer
mehr auf den anderen ausgerichtet ist und die ihn jenseits seiner
physischen oder moralischen
Erscheinung als wertvoll, würdig, angenehm und schön erachtet.
Die Liebe zum anderen,
drängt uns aufgrund ihrer Natur, das Beste für sein Leben zu wollen. Nur
wenn wir diese Art
gegenseitiger Bezogenheit entwickeln, wird ein gesellschaftlicher
Zusammenhalt möglich sein,
der niemanden ausschließt, und eine Geschwisterlichkeit, die für alle
offen ist.
Die fortschreitende Öffnung
der Liebe
95. Die Liebe richtet uns
schließlich auf die universale Gemeinschaft hin aus. Niemand reift oder
gelangt zu Erfüllung, wenn
er sich isoliert. Durch die ihr innewohnende Dynamik verlangt die Liebe
eine fortschreitende
Öffnung, eine immer größere Fähigkeit, andere anzunehmen, in einem nie
endenden Abenteuer, das
alle Ränder zu einem vollen Bewusstsein gegenseitiger Zugehörigkeit
zusammenwachsen lässt.
Jesus sagte uns: »Ihr alle aber seid Brüder« (Mt 23,8).
96. Diese Notwendigkeit,
über die eigenen Grenzen hinauszugehen, gilt auch für die
verschiedenen Regionen und
Länder. In der Tat: »Die ständig steigende Zahl der Verbindungen
und Kontakte, die unseren
Planeten überziehen, macht das Bewusstsein der Einheit und des
Teilens eines gemeinsamen
Geschicks unter den Nationen greifbarer. So sehen wir, dass in die
Geschichtsabläufe trotz der
Verschiedenheit der Ethnien, der Gesellschaften und der Kulturen die
Berufung hineingelegt ist,
eine Gemeinschaft zu bilden, die aus Geschwistern zusammengesetzt
ist, die einander annehmen
und füreinander sorgen«.[75]
Offene Gesellschaften, die alle integrieren
97. Es gibt Peripherien
ganz in unserer Nähe, im Zentrum einer Stadt oder in der eigenen Familie.
Es gibt auch einen Aspekt
der universalen Offenheit der Liebe, der nicht geografischer, sondern
existentieller Natur ist.
Gemeint ist die tägliche Fähigkeit, meine kleine Welt zu erweitern,
diejenigen zu erreichen,
die nicht unmittelbar mit meinen Interessen zu tun haben, obwohl sie mir
nahestehen. Andererseits
sind alle leidenden Schwestern und Brüder, die von der Gesellschaft im
Stich gelassen oder
ignoriert werden, existenziell Fremde, auch wenn sie im selben Land geboren
wurden. Sie mögen
Staatsbürger sein und im Besitz aller Dokumente; doch man lässt sie sich als
Fremde im eigenen Land
empfinden. Rassismus ist ein Virus, der leicht mutiert, und, anstatt zu
verschwinden, im
Verborgenen weiter lauert.
30
98. Ich möchte an jene
„verborgenen Exilanten“ erinnern, die als Fremdkörper der Gesellschaft
behandelt werden.[76] Viele
Menschen mit Behinderungen »fühlen sich ohne Zugehörigkeit und
Beteiligung«. Es gibt immer
noch vieles, was ihnen eine volle Teilhabe verunmöglicht. Die
Aufgabe besteht nicht nur
darin, diesen Menschen zu helfen, sondern es geht um ihre »aktive
Teilnahme an der zivilen
und kirchlichen Gemeinschaft«. Das ist ein anstrengender, ja
beschwerlicher Weg, der
aber nach und nach dazu beitragen wird, ein Bewusstsein dafür zu
entwickeln, dass jeder
Mensch eine einzigartige und unwiederholbare Person ist. Ich denke dabei
ebenso an die älteren
Menschen, »die, auch wegen einer Behinderung, manchmal als Last
empfunden werden«. Und doch
kann jeder »durch seine eigene persönliche Biographie einen
einzigartigen Beitrag zum
Gemeinwohl leisten«. Ich möchte das noch einmal betonen: Wir müssen
»den Mut haben, denen eine
Stimme zu geben, die wegen einer Behinderung diskriminiert
werden, denn leider tut man
sich in einigen Ländern auch heute noch schwer, sie als Menschen
gleicher Würde
anzuerkennen«.[77]
Unzureichendes Verständnis der universalen Liebe
99. Liebe, die über alle
Grenzen hinausreicht, ist die Grundlage dessen, was wir in jeder Stadt und
in jedem Land „soziale
Freundschaft“ nennen. Wenn dieser freundschaftliche Umgang in der
Gesellschaft authentisch
ist, ergibt er eine Bedingung der Möglichkeit von wirklicher universaler
Offenheit. Damit ist nicht
der falsche Universalismus derer gemeint, die ständig verreisen müssen,
weil sie ihr eigenes Volk
nicht ertragen und lieben. Wer sein Volk verachtet, etabliert in seiner
eigenen Gesellschaft
Kategorien einer ersten und einer zweiten Klasse, von Menschen mit mehr
oder weniger Würde und
Rechten. Auf diese Weise verneint er, dass es Platz für alle gibt.
100. Ich spreche hier auch
nicht von einem autoritären und abstrakten Universalismus, den einige
diktieren oder entwerfen
und als angebliches Ideal darstellen, um alle gleichzuschalten, zu
dominieren und auszubeuten.
Es gibt ein Globalisierungsmodell, das »bewusst auf eine
eindimensionale Uniformität
abzielt und versucht, alle Unterschiede und Traditionen in einem
oberflächlichen Streben
nach Einheit zu beseitigen. […] Wenn eine Globalisierung anstrebt, alle
gleichzumachen, als
entspräche sie dem Bild einer Kugel, dann zerstört diese Globalisierung den
Reichtum und die
Besonderheit jedes Einzelnen und jedes Volkes«.[78] Dieser falsche
universalistische Traum
endet damit, dass die Welt der Vielfalt ihrer Farben, ihrer Schönheit und
letztlich ihrer
Menschlichkeit beraubt wird. Denn die Zukunft ist nicht „einfarbig“. Wenn wir
den Mut
dazu haben, können wir »sie
in der Vielfalt und in der Unterschiedlichkeit der Beiträge betrachten,
die jeder einzelne leisten
kann. Wie sehr muss unsere Menschheitsfamilie lernen, in Harmonie
und Frieden zusammenzuleben,
ohne dass wir dazu alle gleich sein müssen!«[79]
Über eine Welt von Menschen
seinesgleichen hinausgehen
101. Kehren wir nun zum
Gleichnis vom barmherzigen Samariter zurück, das uns noch viel zu
sagen hat. Auf der Straße
lag ein verletzter Mann. Die Menschen, die an ihm vorübergingen,
31
hörten nicht auf den
inneren Ruf, ihm beizustehen, sondern waren eher auf ihr Amt und die
soziale Stellung, die sie
innehatten, auf gesellschaftlich angesehene berufliche Tätigkeiten
bedacht. Sie erachteten
sich als wichtig für die Gesellschaft dieser Zeit, und was sie interessierte,
war die Rolle, die ihnen
zuteilwurde. Der verwundete und verlassene Mann am Wegesrand störte
und durchkreuzte diese
Pläne, und zudem hatte er keinerlei Funktion inne. Er war ein „Niemand“,
er gehörte keiner
bedeutenden Gruppe an und spielte auch sonst keine wichtige Rolle für die
weitere Geschichte. Der
großherzige Samariter widerstand der Versuchung eines solchen
klassifizierenden Denkens,
obwohl er selbst zu keiner dieser Kategorien gehörte und nur ein
Fremder ohne eigenen Platz
in der Gesellschaft war. Frei von allen Titeln und Strukturen, war er in
der Lage, seine Reise zu
unterbrechen und seine Pläne zu ändern sowie offen zu sein für das
Unvorhergesehene, für den
Verwundeten, der ihn brauchte.
102. Welche Reaktion würde
diese Geschichte heute hervorrufen, in einer Welt, in der es immer
mehr soziale Gruppen gibt,
die sich an eine Identität klammern, die sie von anderen trennt? Wie
kann sie diejenigen
ansprechen, die zu einer Ordnung neigen, die alles Fremde verhindern
möchte, das die eigene
Identität und ein solches System der Abschottung und Selbstbezogenheit
stören könnte? In einem solchen
System kann man nicht zum Nächsten werden, man kann nur
denjenigen nahe sein, die
einem etwas bringen. Damit verliert das Wort „Nächster“ jede
Bedeutung, und nur das Wort
„seinesgleichen“ hat dann noch Sinn, d.h. diejenigen, mit denen
man sich für bestimmte
Interessen zusammentut. [80]
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
103. Die Brüderlichkeit
(Geschwisterlichkeit) ist nicht einfach die Folge aus der Achtung
individueller Freiheit oder
aus einer gewissen geregelten Gleichheit. Das sind zwar Bedingungen
der Möglichkeit von
Brüderlichkeit, aber damit kommt es nicht notwendigerweise zu Brüderlichkeit.
Die Brüderlichkeit fügt der
Freiheit und Gleichheit noch positiv etwas hinzu. Was geschieht ohne
eine bewusst kultivierte
Brüderlichkeit, ohne einen politischen Willen zur Brüderlichkeit, der
konkret wird in einer
Erziehung zur Brüderlichkeit, zum Dialog, zur Entdeckung des Wertes der
Gegenseitigkeit und
wechselseitiger Bereicherung? Dann passiert es, dass die Freiheit schwindet
und eher zu einem Zustand
der Einsamkeit führt, zu einer reinen Autonomie, um jemandem oder
etwas anzugehören oder
einfach nur zu besitzen und zu genießen. Damit ist der Reichtum der
Freiheit, die vor allem auf
Liebe ausgerichtet ist, keineswegs erschöpft.
104. Auch Gleichheit wird
so nicht erreicht, wenn man abstrakt definiert, dass „alle Menschen
gleich sind“. Sie ist
vielmehr Ergebnis einer bewussten und pädagogischen Pflege der
Brüderlichkeit. Diejenigen,
die nur mit ihresgleichen zusammen sein können, schaffen
geschlossene Welten. Welche
Bedeutung hat dann ein Mensch in diesem Schema, der nicht zum
Kreis ihresgleichen gehört
und der neu dazukommt und von einem besseren Leben für sich und
seine Familie träumt?
32
105. Der Individualismus
macht uns nicht freier, gleicher oder brüderlicher. Die bloße Summe von
Einzelinteressen ist nicht
in der Lage, eine bessere Welt für die gesamte Menschheit zu schaffen.
Sie kann uns auch nicht vor
so vielen immer globaler auftretenden Übeln bewahren. Aber
radikaler Individualismus
ist das am schwersten zu besiegende Virus. Er ist hinterhältig. Er lässt
uns glauben, dass alles
darauf ankommt, unseren eigenen Ambitionen freien Lauf zu lassen, als
ob wir durch Akkumulation
individueller Ambitionen und Sicherheiten das Gemeinwohl aufbauen
könnten.
Universale Liebe zur
Förderung der Menschen
106. Um auf dem Weg des
freundschaftlichen Umgangs in der Gesellschaft und der universalen
Geschwisterlichkeit
voranzukommen, muss es zu einer grundlegenden, wesentlichen Erkenntnis
kommen: Es muss ein
Bewusstsein dafür entstehen, was ein Mensch wert ist, immer und unter
allen Umständen. Wenn jeder
so viel wert ist, muss klar und deutlich gesagt werden, dass »allein
die Tatsache, an einem Ort
mit weniger Ressourcen oder einer niedrigeren Entwicklungsstufe
geboren zu sein, nicht
rechtfertigt, dass einige Menschen weniger würdevoll leben«.[81] Dies
ist
ein elementares Prinzip des
gesellschaftlichen Lebens, das gewohnheitsmäßig und auf
verschiedene Weise von
denjenigen ignoriert wird, die es mit ihrem Weltbild nicht vereinbaren
können oder meinen, dass es
ihren Zielen widerspricht.
107. Jeder Mensch hat das
Recht, in Würde zu leben und sich voll zu entwickeln, und kein Land
kann dieses Grundrecht
verweigern. Jeder Mensch besitzt diese Würde, auch wenn er wenig
leistet, auch wenn er mit
Einschränkungen geboren oder aufgewachsen ist; denn dies schmälert
nicht seine immense Würde
als Mensch, die nicht auf den Umständen, sondern auf dem Wert
seines Seins beruht. Wenn
dieses elementare Prinzip nicht gewahrt wird, gibt es keine Zukunft,
weder für die
Geschwisterlichkeit noch für das Überleben der Menschheit.
108. Es gibt
Gesellschaften, in denen dieses Prinzip nur teilweise gilt. Sie bejahen, dass
jeder
seine Chancen bekommen
muss, dann aber, meinen sie, habe ein jeder alles selbst in der Hand.
Aus dieser Sicht hätte es
keinen Sinn, »zu investieren, damit diejenigen, die auf der Strecke
geblieben sind, die
Schwachen oder die weniger Begabten es im Leben zu etwas bringen
können«.[82] Investitionen
zugunsten der Schwachen sind möglicherweise nicht rentabel bzw.
weniger effizient. Das
erfordert einen präsenten und aktiven Staat und zivilgesellschaftliche
Institutionen, die über die
Freiheit der rein leistungsorientierten Mechanismen bestimmter
wirtschaftlicher,
politischer oder ideologischer Systeme hinausgehen, weil sie wirklich und in
erster
Linie auf die Menschen und
das Gemeinwohl ausgerichtet sind.
109. Einige wachsen in
Familien mit guten wirtschaftlichen Voraussetzungen auf, erhalten eine
solide Ausbildung, sind
wohl genährt aufgewachsen oder besitzen von Natur aus bemerkenswerte
Fähigkeiten. Sie werden
sicherlich keinen aktiven Staat brauchen und nur Freiheit einfordern.
Aber offensichtlich gilt
das nicht für Menschen mit einer Behinderung, für Menschen aus einem
33
armen Elternhaus, für Menschen
mit einem niedrigen Bildungsniveau oder solche, die kaum
Chancen auf eine
angemessene Behandlung ihrer Krankheiten haben. Wenn die Gesellschaft in
erster Linie auf den
Kriterien des freien Marktes und der Leistung beruht, ist für sie kein Platz,
und
Geschwisterlichkeit wird zu
einem allenfalls romantischen Ausdruck.
110. Tatsache ist, dass
eine »rein theoretische wirtschaftliche Freiheit, bei der aber die realen
Bedingungen verhindern,
dass viele sie wirklich erlangen können, und bei der sich der Zugang zur
Arbeit verschlechtert, […]
für die Politik zu einem widersprüchlichen Thema«[83] wird. Worte wie
Freiheit, Demokratie oder
Geschwisterlichkeit verlieren dann ihren Sinn. Denn »solange unser
Wirtschafts- und
Sozialsystem auch nur ein Opfer hervorbringt und solange auch nur eine Person
ausrangiert wird, kann man
nicht feierlich von universaler Geschwisterlichkeit sprechen«.[84] Eine
menschliche und
geschwisterliche Gesellschaft ist in der Lage, auf effiziente und stabile Weise
dafür zu sorgen, dass alle
Menschen auf ihrem Lebensweg begleitet werden, nicht nur, um ihre
Grundbedürfnisse zu
befriedigen, sondern damit sie das Beste geben können, selbst wenn ihre
Leistung dann vielleicht
nicht hervorragend ist, auch wenn sie nur langsam vorankommen, auch
wenn ihre Effizienz von
geringer Bedeutung sein wird.
111. Der Mensch mit seinem
unveräußerlichen Rechten ist von Natur aus offen für Bindungen.
Zutiefst wohnt ihm der Ruf
inne, sich in der Begegnung mit anderen zu transzendieren. Aus
diesem Grund muss man »Acht
geben, nicht Missverständnissen zu verfallen, die aus einem
falschen Verständnis des
Begriffes Menschenrechte und deren widersinnigem Gebrauch
hervorgehen. Es gibt
nämlich heute die Tendenz zu einer immer weiter reichenden
Beanspruchung der
individuellen – ich bin versucht zu sagen: individualistischen – Rechte, hinter
der sich ein aus jedem
sozialen und anthropologischen Zusammenhang herausgelöstes Bild des
Menschen verbirgt, der
gleichsam als „Monade“ (monás) zunehmend unsensibel wird […]. Wenn
nämlich das Recht eines
jeden nicht harmonisch auf das größere Wohl hin ausgerichtet ist, wird
es schließlich als
unbegrenzt aufgefasst und damit zur Quelle von Konflikten und Gewalt«.[85]
Das moralisch Gute fördern
112. Wir können nicht umhin
zu sagen, dass der Wunsch und die Suche nach dem Wohl der
anderen und der ganzen
Menschheit auch ein Bemühen um Reifung der Personen und
Gesellschaften bezüglich
der verschiedenen moralischen Werte impliziert, die zu einer
ganzheitlichen menschlichen
Entwicklung führen. Das Neue Testament erwähnt eine Frucht des
Heiligen Geistes (vgl. Gal
5,22), die mit dem griechischen Wort agathosyne bezeichnet wird. Es
meint ein
Dem-Guten-Anhangen, ein Streben nach dem Guten. Mehr noch, es geht darum, das
zu
erreichen, was am meisten
zählt, das Beste für die anderen: ihre Reifung, ihr gesundes
Wachstum, die Übung von
Tugenden und nicht nur materiellen Wohlstand. Es gibt einen
ähnlichen lateinischen
Ausdruck: bene-volentia, d.h. die Haltung, das Wohl des anderen zu
wollen. Es ist eine starke
Sehnsucht nach dem Guten, eine Neigung zu allem, was gut und
vortrefflich ist, welche
uns drängt, das Leben anderer mit schönen, erhabenen, erbaulichen
34
Dingen zu bereichern.
113. In diesem Zusammenhang
möchte ich noch einmal auf die schmerzliche Tatsache
hinweisen, dass »wir schon
sehr viel Zeit moralischen Verfalls [haben] verstreichen lassen, indem
wir die Ethik, die Güte,
den Glauben und die Ehrlichkeit bespöttelt haben, und es ist der Moment
gekommen zu merken, dass
diese fröhliche Oberflächlichkeit uns wenig genützt hat. Diese
Zerstörung jeder Grundlage
des Gesellschaftslebens bringt uns schließlich um der Wahrung der
jeweils eigenen Interessen
willen gegeneinander auf«.[86] Wenden wir uns der Förderung des
Guten zu, für uns selbst
und für die ganze Menschheit, und so werden wir gemeinsam auf ein
echtes und ganzheitliches
Wachstum zugehen. Jede Gesellschaft muss für die Weitergabe von
Werten sorgen, denn wenn
dies ausbleibt, werden Egoismus, Gewalt und Korruption in ihren
verschiedenen Formen sowie
Gleichgültigkeit verbreitet, ein Leben letztlich, das jeder
Transzendenz verschlossen
ist und sich in individuellen Interessen verschanzt.
Der Wert der Solidarität
114. Ich möchte die
Solidarität hervorheben. »Als moralische Tugend und soziales Verhalten, eine
Frucht der persönlichen
Umkehr, erfordert [sie] ein Engagement vieler Einzelner, die im
Erziehungs- und Bildungswesen
Verantwortung tragen. Ich denke zunächst an die Familien, die
zu einer vorrangigen und
unabdingbaren Erziehungsaufgabe berufen sind. Sie bilden den ersten
Ort, an dem die Werte der
Liebe und der Geschwisterlichkeit, des Zusammenlebens und des
Miteinander-Teilens, der
Aufmerksamkeit und der Sorge für den anderen gelebt und vermittelt
werden. Sie sind auch der
bevorzugte Bereich für die Weitergabe des Glaubens, angefangen von
jenen ersten einfachen
Gesten der Frömmigkeit, die die Mütter ihren Kindern beibringen. Die
Erzieher und die Lehrer,
die in der Schule oder in den verschiedenen Kinder- und Jugendzentren
die anspruchsvolle Aufgabe
haben, die jungen Menschen zu erziehen, sind berufen sich bewusst
zu machen, dass ihre
Verantwortung die moralische, spirituelle und soziale Dimension des
Menschen betrifft. Die
Werte der Freiheit, der gegenseitigen Achtung und der Solidarität können
vom frühesten Alter an
vermittelt werden. […] Auch die Kulturanbieter und die Betreiber der
sozialen Kommunikationsmittel
tragen eine Verantwortung auf dem Gebiet der Erziehung und der
Bildung, besonders in den
zeitgenössischen Gesellschaften, in denen der Zugriff auf Informations-
und Kommunikationsmittel
immer stärker verbreitet ist«.[87]
115. In dieser Zeit, in der
sich alles zu verwässern und aufzulösen scheint, ist es gut, an die
Solidität[88] zu
appellieren, die sich daraus ergibt, dass wir uns für die Schwäche anderer
verantwortlich fühlen und
versuchen eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln. Die Solidarität
drückt sich konkret im
Dienst aus, der in der Art und Weise, wie wir uns um andere kümmern, sehr
unterschiedliche Formen
annehmen kann. Dienst bedeutet »zum großen Teil, Schwäche und
Gebrechlichkeit zu
beschützen. Dienen bedeutet, für die Schwachen in unseren Familien, in
unserer Gesellschaft, in
unserem Volk zu sorgen.« Bei dieser Aufgabe ist jeder in der Lage, »im
konkreten Blick auf die
Schwächsten sein Suchen, sein Streben und seine Sehnsucht nach
35
Allmacht auszublenden.
[...] Der Dienst schaut immer auf das Gesicht des Mitmenschen, berührt
seinen Leib, spürt seine
Nähe und in manchen Fällen sogar das „Kranke“ und sucht, ihn zu
fördern. Darum ist der
Dienst niemals ideologisch, denn man dient nicht Ideen, sondern man dient
Menschen«.[89]
116. Die Geringsten
praktizieren im Allgemeinen »jene so besondere Solidarität, die leidende
Menschen zusammenschweißt –
arme Menschen –, und die unsere Zivilisation zu vergessen
haben scheint, bzw. nur
allzu gern vergessen möchte. Solidarität ist ein Wort, das nicht immer
gefällt; ja, ich würde
sagen, wir haben es manchmal sogar zu einer Art Schimpfwort gemacht, das
man besser nicht in den
Mund nimmt. Aber es ist ein Wort, das sehr viel mehr bedeutet als einige
sporadische Gesten der
Großzügigkeit. Es bedeutet, dass man im Sinne der Gemeinschaft denkt
und handelt, dass man dem
Leben aller Vorrang einräumt – und nicht der Aneignung der Güter
durch einige wenige. Es
bedeutet auch, dass man gegen die strukturellen Ursachen der Armut
kämpft: Ungleichheit, das
Fehlen von Arbeit, Boden und Wohnung, die Verweigerung der sozialen
Rechte und der
Arbeitsrechte. Es bedeutet, dass man gegen die zerstörerischen Auswirkungen
der Herrschaft des Geldes
kämpft [...]. Die Solidarität, verstanden in ihrem tiefsten Sinne, ist eine
Art und Weise, Geschichte
zu machen, und genau das ist es, was die Volksbewegungen tun«.[90]
117. Wenn wir von der Sorge
um das gemeinsame Haus unseres Planeten sprechen, dann
berufen wir uns auf dieses
Minimum an universalem Bewusstsein und an gegenseitiger Fürsorge,
die in den Menschen noch
verblieben ist. Wenn jemand Wasser im Überfluss besitzt und trotzdem
sorgsam damit umgeht, weil
er an die anderen denkt, tut er das, weil er ein moralisches Niveau
erreicht hat, das es ihm
erlaubt, über sich und die Seinen hinauszublicken. Das ist wunderbar
human! Ebendiese Haltung
braucht es auch, um die Rechte eines jeden Menschen
anzuerkennen, auch wenn er
auf der anderen Seite der jeweiligen Grenzen geboren wurde.
Die soziale Funktion des
Eigentums neu denken
118. Die Erde ist für alle
da, denn wir Menschen kommen alle mit der gleichen Würde auf die
Welt. Unterschiede in
Hautfarbe, Religion, Fähigkeiten, Herkunft, Wohnort und vielen anderen
Bereichen können nicht als
Rechtfertigung für die Privilegien einiger zum Nachteil der Rechte aller
geltend gemacht oder
genutzt werden. Folglich sind wir als Gemeinschaft verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass jeder Mensch
in Würde leben kann und angemessene Möglichkeiten für seine
ganzheitliche Entwicklung
hat.
119. In den ersten
Jahrhunderten des Christentums haben einige verständige Menschen in ihrem
Nachdenken über die
gemeinsame Bestimmung der geschaffenen Güter ein universales
Bewusstsein entwickelt.[91] Man
gelangte zu folgender Auffassung: Wenn jemand nicht das
Notwendige zu einem Leben
in Würde hat, liegt das daran, dass ein anderer sich dessen
bemächtigt hat. Der heilige
Johannes Chrysostomus fasst dies mit den Worten zusammen: »Den
Armen nicht einen Teil
seiner Güter zu geben bedeutet, von den Armen zu stehlen, es bedeutet,
36
sie ihres Lebens zu berauben;
und was wir besitzen, gehört nicht uns, sondern ihnen«.[92] Ähnlich
drückt sich der heilige
Gregor der Große aus: »Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht
etwas von uns, sondern wir
geben ihnen zurück, was ihnen gehört«. [93]
120. Wieder einmal mache
ich mir Worte des heiligen Johannes Paul II. zu eigen und wiederhole
sie hier, weil sie in ihrer
Tragweite vielleicht nicht verstanden wurden: »Gott hat die Erde dem
ganzen Menschengeschlecht
geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf
dass sie alle seine
Mitglieder ernähre.« [94] In diesem Zusammenhang erinnere ich daran,
dass
»die christliche Tradition
[…] das Recht auf Privatbesitz niemals als absolut oder unveräußerlich
anerkannt und die soziale
Funktion jeder Form von Privateigentum betont« hat.[95] Das Prinzip
der gemeinsamen Nutznießung
der für alle geschaffenen Güter ist das »Grundprinzip der ganzen
sozialethischen Ordnung«,[96] es
ist ein natürliches, naturgegebenes und vorrangiges
Recht.[97] Alle
anderen Rechte an den Gütern, die für die ganzheitliche Verwirklichung der
Personen notwendig sind,
einschließlich des Privateigentums und aller anderen, »dürfen seine
Verwirklichung nicht
erschweren, sondern müssen sie im Gegenteil erleichtern«, wie der heilige
Paul VI. betonte.[98] Das
Recht auf Privateigentum kann nur als ein sekundäres Naturrecht
betrachtet werden, das sich
aus dem Prinzip der universalen Bestimmung der geschaffenen Güter
ableitet, und dies hat sehr
konkrete Konsequenzen, die sich im Funktionieren der Gesellschaft
widerspiegeln müssen.
Häufig kommt es jedoch vor, dass sekundäre Rechte über die vorrangigen
und ursprünglichen Rechte
gestellt werden, so dass sie ohne praktische Relevanz bleiben.
Rechte ohne Grenzen
121. Niemand darf aufgrund seiner
Herkunft ausgeschlossen werden und schon gar nicht
aufgrund der Privilegien
anderer, die unter günstigeren Umständen aufgewachsen sind. Auch die
Grenzen und Grenzverläufe
von Staaten können das nicht verhindern. So wie es inakzeptabel ist,
dass eine Person weniger
Rechte hat, weil sie eine Frau ist, so ist es auch nicht hinnehmbar, dass
der Geburts- oder Wohnort
schon von sich aus mindere Voraussetzungen für ein würdiges Leben
und eine menschenwürdige
Entwicklung liefert.
122. Entwicklung darf nicht
die wachsende Bereicherung einiger weniger zum Ziel haben, sondern
muss »die persönlichen und
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Menschenrechte,
die Rechte der Nationen und
Völker eingeschlossen«,[99] gewährleisten. Das Recht einiger auf
Unternehmens- oder
Marktfreiheit kann nicht über den Rechten der Völker und der Würde der
Armen stehen und auch nicht
über der Achtung für die Schöpfung, denn »wenn sich jemand etwas
aneignet, dann nur, um es
zum Wohl aller zu verwalten«.[100]
123. Die
Unternehmertätigkeit ist in der Tat eine edle Berufung, »die darauf
ausgerichtet ist,
Wohlstand zu erzeugen und
die Welt für alle zu verbessern«.[101] Gott fördert uns, er erwartet
von uns, dass wir die
Fähigkeiten entfalten, die er uns gegeben hat, und er hat der Welt sehr viele
Möglichkeiten geschenkt.
Sein Plan für uns ist es, dass jeder Mensch sich entwickelt[102] und
37
dazu gehört auch die
Förderung wirtschaftlicher und technologischer Fähigkeiten, um Güter und
den Wohlstand zu mehren. In
jedem Fall aber sollten diese Fähigkeiten der Unternehmer, die ein
Geschenk Gottes sind, klar
auf die Entwicklung anderer Menschen und auf die Überwindung der
Armut ausgerichtet sein,
insbesondere durch die Schaffung vielfältiger
Beschäftigungsmöglichkeiten.
Immer gibt es neben dem Recht auf Privatbesitz das vorrangige
und vorgängige Recht der
Unterordnung allen Privatbesitzes unter die allgemeine Bestimmung
der Güter der Erde und
daher das allgemeine Anrecht auf seinen Gebrauch.[103]
Die Rechte der Völker
124. Die Überzeugung von
der gemeinsamen Bestimmung der Güter der Erde erfordert heute,
dass sie auch auf Länder,
ihre Territorien und ihre Ressourcen angewandt wird. Wenn wir es nicht
nur von der Legitimität des
Privateigentums und den Rechten der Bürger einer bestimmten Nation
aus betrachten, sondern
auch von dem ersten Grundsatz der gemeinsamen Bestimmung der
Güter, dann können wir
sagen, dass jedes Land auch ein Land des Ausländers ist, denn die Güter
eines Territoriums dürfen
einer bedürftigen Person, die von einem anderen Ort kommt, nicht
vorenthalten werden.
Tatsächlich gibt es, wie die Bischöfe der Vereinigten Staaten gelehrt haben,
Grundrechte, die »jeder
Gesellschaft vorausgehen, weil sie sich aus der Würde ableiten, die
jedem Menschen zukommt, da
er ein Geschöpf Gottes ist«.[104]
125. Dies setzt auch eine
andere Art des Verständnisses der Beziehungen und des Austauschs
zwischen den Ländern
voraus. Wenn jeder Mensch eine unveräußerliche Würde hat, wenn jeder
Mensch mein Bruder oder
meine Schwester ist, und wenn die Welt wirklich allen gehört, ist es
egal, ob jemand hier
geboren wurde oder außerhalb der Grenzen seines eigenen Landes lebt.
Auch meine Nation ist
mitverantwortlich für deren Entwicklung, auch wenn sie dieser
Verantwortung auf
verschiedene Weise gerecht werden kann: indem sie sie großzügig aufnimmt,
wenn sie sich in einer
unvermeidlichen Notlage befinden, indem sie sie in ihren eigenen Ländern
fördert, indem sie nicht
ganze Länder ausbeutet und ihrer natürlichen Ressourcen beraubt und
korrupte Systeme fördert,
die eine würdige Entwicklung dieser Völker behindern. Was für die
Nationen gilt, ist auch in
abgewandelter Form für die verschiedenen Regionen der einzelnen
Länder gültig, zwischen
denen oft gravierende Ungleichheiten auftreten. Aber die Unfähigkeit,
allen die gleiche
Menschenwürde zuzuerkennen, führt manchmal dazu, dass die besser
entwickelten Regionen
bestimmter Länder danach streben, sich vom „Ballast“ der ärmeren
Regionen zu befreien, um
den eigenen Konsum noch weiter steigern zu können.
126. Wir sprechen von einem
neuen Netzwerk in den internationalen Beziehungen, denn es ist
nicht möglich, die ernsten
Probleme der Welt zu lösen, wenn man nur auf der Ebene einer
gegenseitigen Hilfe
zwischen Einzelpersonen oder kleinen Gruppen denkt. Machen wir uns
bewusst, dass die
Ungerechtigkeit nicht nur Einzelne betrifft, sondern ganze Länder. Sie
verpflichtet dazu, über
eine Ethik der internationalen Beziehungen nachzudenken.[105] Und
die
Gerechtigkeit verlangt die
Anerkennung und Achtung nicht nur der individuellen Rechte, sondern
38
auch der sozialen Rechte
und der Rechte der Völker.[106] Das hier gesagte, impliziert auch die
Gewährleistung des
»Grundrechts der Völker auf Erhaltung und Fortschritt«,[107] was zuweilen
durch den Druck, der von
der Auslandsverschuldung ausgeht, stark beeinträchtigt wird. Die
Abzahlung der Schulden
verlangsamt in vielen Fällen nicht nur die Entwicklung, sondern begrenzt
sie und macht sie stark
abhängig. Auch wenn der Grundsatz bestehen bleibt, dass jede
rechtmäßig aufgenommene
Schuld bezahlt werden muss, darf die Art und Weise, wie viele arme
Länder dieser Pflicht
gegenüber den reichen Ländern nachkommen, nicht dazu führen, dass ihr
Bestand und ihr Wachstum
gefährdet werden.
127. Hier geht es
zweifellos um eine andere Logik. Wenn man sich nicht bemüht, in diese Logik
einzusteigen, werden meine
Worte sich nach Phantasien anhören. Aber wenn man als
grundlegendes Rechtsprinzip
akzeptiert, dass diese Rechte aus der bloßen Tatsache des
Besitzes einer
unveräußerlichen Menschenwürde hervorgehen, kann man die Herausforderung
annehmen, von einer anderen
Menschheit zu träumen und über eine solche nachzudenken. Es ist
möglich, einen Planeten zu
wünschen, der allen Menschen Land, Heimat und Arbeit bietet. Dies
ist der wahre Weg zum
Frieden und nicht die sinnlose und kurzsichtige Strategie, Angst und
Misstrauen gegenüber
äußeren Bedrohungen zu säen. Denn ein wirklicher und dauerhafter
Frieden ist nur möglich »im
Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit
im Dienst an einer Zukunft,
die von der Interdependenz und Mitverantwortlichkeit innerhalb der
ganzen Menschheitsfamilie
von heute und morgen gestaltet wird.«[108]
VIERTES
KAPITEL
EIN OFENES HERZ FÜR DIE GANZE
WELT
128. Wenn die Überzeugung,
dass wir als Menschen Brüder und Schwestern sind, keine abstrakte
Idee bleiben, sondern
konkret Wirklichkeit werden soll, dann stehen wir vor einer Reihe von
Herausforderungen, die uns
aufrütteln und uns zwingen, neue Perspektiven einzunehmen und
neue Antworten zu
entwickeln.
Die Beschränkung von
Grenzen
129. Wenn der Nächste ein
Migrant ist, ergeben sich komplexe Herausforderungen.[109] Ideal
wäre es, wenn unnötige
Migration vermieden werden könnte, und das kann erreicht werden,
indem man in den
Herkunftsländern die Bedingungen für ein Leben in Würde und Wachstum
schafft, so dass jeder die
Chance auf eine ganzheitliche Entwicklung hat. Solange es jedoch keine
wirklichen Fortschritte in
diese Richtung gibt, ist es unsere Pflicht, das Recht eines jeden
39
Menschen zu respektieren,
einen Ort zu finden, an dem er nicht nur seinen Grundbedürfnissen
und denen seiner Familie
nachkommen, sondern sich auch als Person voll verwirklichen kann.
Unsere Bemühungen für die
zu uns kommenden Migranten lassen sich in vier Verben
zusammenfassen: aufnehmen,
schützen, fördern und integrieren. In der Tat geht es nicht »darum,
von oben her Hilfsprogramme
zu verordnen, sondern gemeinsam einen Weg zurückzulegen durch
diese vier Vorgehensweisen,
um Städte und Länder aufzubauen, die zwar die jeweilige kulturelle
und religiöse Identität
bewahren, aber offen sind für Unterschiede und es verstehen, diese im
Zeichen der menschlichen
Brüderlichkeit wertzuschätzen«.[110]
130. Daraus folgen einige
notwendige Konsequenzen insbesondere denen gegenüber, die vor
schweren humanitären Krisen
fliehen. Ich möchte einige Beispiele nennen: es müsste eine
größere Zahl von Visa
ausgestellt werden und die Antragsverfahren müssten vereinfacht werden;
es wären private und
gemeinschaftliche Hilfsprogramme ins Leben zu rufen; für die am stärksten
gefährdeten Flüchtlinge
müssten humanitäre Korridore eingerichtet werden; angemessene und
ordentliche Unterkünfte
müssten zur Verfügung stehen; die persönliche Sicherheit und der Zugang
zu grundlegenden
Dienstleistungen muss gewährleistet sein, ebenso eine angemessene
konsularische Betreuung und
das Recht, jederzeit persönliche Ausweispapiere mit sich führen zu
dürfen, ein
uneingeschränkter Zugang zur Justiz, die Möglichkeit der Eröffnung von
Bankkonten
und die Gewährleistung
aller für den Lebensunterhalt notwendigen Dinge; Bewegungsfreiheit und
die Möglichkeit einer
Arbeit nachzugehen; Minderjährigen ist Schutz und ein geregelter Zugang
zur Bildung zu gewähren;
für sie sind auch Programme vorübergehender Obhut und
Unterbringung wichtig;
Religionsfreiheit ist zu garantieren; soziale Integration zu fördern; die
Familienzusammenführung zu
unterstützen und Gruppierungen vor Ort sollten auf
Integrationsprozesse
vorbereitet werden.[111]
131. Für diejenigen, die
schon länger angekommen sind und inzwischen Teil des sozialen
Gefüges sind, ist es
wichtig, einen Begriff von „Bürgerrecht“ anzuwenden, der »auf der Gleichheit
der Rechte und Pflichten
[basiert], unter deren Schutz alle die gleiche Gerechtigkeit genießen.
Das erfordert
notwendigerweise den Einsatz dafür, dass in unseren Gesellschaften das Konzept
des vollen Bürgerrechts
festgelegt und auf eine diskriminierende Verwendung des Begriffs
Minderheiten verzichtet wird. Denn diese sät Gefühle der Isolation
und der Minderwertigkeit,
bereitet Feindseligkeit und
Zwietracht den Boden und beraubt durch Diskriminierung einen Teil der
Bürgerschaft einiger
religiöser oder ziviler Errungenschaften und Rechte«.[112]
132. Über die verschiedenen
unverzichtbaren Maßnahmen hinaus können die Staaten allein keine
angemessenen Lösungen
entwickeln, »denn die Konsequenzen der Entscheidungen eines jeden
fallen unvermeidlich auf
die gesamte internationale Gemeinschaft zurück«. Deshalb können »die
Antworten nur das Ergebnis
einer gemeinsamen Arbeit sein«,[113] indem eine umfassende
Gesetzgebung (governance)
für Migration geschaffen wird. In jedem Fall besteht die
Notwendigkeit, dass
»mittel- und langfristige Pläne aufgestellt werden müssen, die über den
Notbehelf hinausgehen. Sie
müssten einerseits wirklich die Eingliederung der Migranten in die
40
Aufnahmeländer fördern und
andererseits zugleich die Entwicklung in den Herkunftsländern
begünstigen mit
solidarischen politischen Programmen, die jedoch die Hilfen nicht von
Strategien
und Verfahren abhängig
machen, die den Kulturen der Völker, an die sie sich richten, ideologisch
fremd sind oder zu ihnen im
Widerspruch stehen«.[114]
Die gegenseitigen Gaben
133. Die Ankunft
verschiedener Menschen, die aus anderen Lebenskontexten und kulturellen
Zusammenhängen kommen, wird
zu einer Chance, denn die Geschichten der Migranten sind
auch Geschichten von
»Begegnungen zwischen Menschen und Kulturen: Für die Gemeinden und
Gesellschaften, in denen
sie ankommen, sind sie eine Chance zur Bereicherung und fördern die
ganzheitliche menschliche
Entwicklung aller«. [115] Deshalb »bitte ich vor allem die
Jugendlichen,
nicht auf diejenigen
hereinzufallen, die versuchen, gegen junge Migranten zu hetzen, indem sie so
beschrieben werden, als
seien sie gefährlich und als hätten sie nicht die gleiche unveräußerliche
Würde wie jeder Mensch«.[116]
134. Wenn man einen anderen
Menschen herzlich aufnimmt, ermöglicht ihm das, weiterhin er
selbst zu sein und sich
zugleich weiterzuentwickeln. Die verschiedenen Kulturen, die im Laufe der
Jahrhunderte ihren Reichtum
hervorgebracht haben, müssen bewahrt werden, damit die Welt
nicht verarmt. Zugleich
sollten sie unbedingt motiviert werden, in der Begegnung mit anderen
Wirklichkeiten etwas Neues
entstehen zu lassen. Die Gefahr, Opfer einer „kulturellen Sklerose“ zu
werden, darf nicht
ignoriert werden. Deshalb ist es »nötig, dass wir miteinander reden, die
Reichtümer eines jeden
entdecken, zur Geltung bringen, was uns verbindet, und auf die
Unterschiede blicken als
eine Möglichkeit, im Respekt gegenüber allen zu wachsen. Ein
geduldiger und
vertrauensvoller Dialog ist notwendig, so dass die Menschen, die Familien und
die
Gemeinschaften die Werte
ihrer eigenen Kultur vermitteln und das Gute, das von der Erfahrung
anderer kommt, aufnehmen
können.«[117]
135. Ich greife ein paar
Beispiele auf, die ich bereits vor einiger Zeit erwähnt habe: Die Kultur der
Latinos ist »ein Ferment
von Werten und Möglichkeiten, die den Vereinigten Staaten vielleicht
sehr gut täten. [...] Eine
starke Einwanderung prägt und verändert letztlich immer die Kultur eines
Ortes. In Argentinien hat
die starke italienische Einwanderung die Kultur der Gesellschaft geprägt,
und in der Kultur von
Buenos Aires bemerkt man deutlich, dass dort etwa zweihunderttausend
Juden leben. Einwanderer
sind, wenn man ihnen bei der Integration hilft, ein Segen, ein Reichtum
und ein neues Geschenk, das
eine Gesellschaft einlädt sich weiterzuentwickeln«.[118]
136. In einem weiteren
Zusammenhang erinnerte ich gemeinsam mit dem Großimam Ahmad Al-
Tayyeb daran, dass »die
Beziehung zwischen dem Westen und dem Osten von gegenseitiger
Notwendigkeit ist und weder
ersetzt noch vernachlässigt werden kann, damit beide durch den
Austausch und Dialog der
Kulturen sich gegenseitig kulturell bereichern. Der Westen könnte in der
Kultur des Ostens
Heilmittel für einige seiner geistigen und religiösen Krankheiten finden, die
von
41
der Vorherrschaft des
Materialismus hervorgerufen wurden. Und der Osten könnte in der Kultur
des Westens viele Elemente
finden, die ihm hilfreich sind, sich von der Schwachheit, der
Spaltung, dem Konflikt und
vor dem wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Abstieg zu
retten. Es ist wichtig, den
religiösen, kulturellen und historischen Unterschieden Aufmerksamkeit
zu schenken, die ein
wesentlicher Bestandteil in der Bildung der Persönlichkeit, der Kultur und der
Zivilisation des Ostens
sind. Es ist auch wichtig, die allgemeinen gemeinsamen Menschenrechte
zu festigen, um dazu
beizutragen, ein würdiges Leben für alle Menschen im Westen und im Osten
zu gewährleisten, wobei der
Rückgriff auf eine doppelte Politik vermieden werden muss«.[119]
Fruchtbarer Austausch
137. Gegenseitige Hilfe
zwischen Ländern kommt letztlich allen zugute. Ein Land, das sich auf der
Grundlage seiner
ursprünglichen Kultur weiterentwickelt, ist wertvoll für die gesamte
Menschheit.
Wir müssen das Bewusstsein
dafür schärfen, dass wir die Probleme unserer Zeit nur gemeinsam
oder gar nicht bewältigen
werden. Armut, Verfall und die Leiden eines Teils der Erde sind ein
stillschweigender Nährboden
für Probleme, die letztlich den ganzen Planeten betreffen. Wenn uns
das Aussterben bestimmter
Arten Sorgen bereitet, sollte uns erst recht der Gedanke beunruhigen,
dass es überall Menschen
und Völker gibt, die ihr Potenzial und ihre Schönheit aufgrund von
Armut oder anderen
strukturellen Grenzen nicht entfalten können. Denn dies führt letztendlich zur
Verarmung von uns allen.
138. Dies war schon immer
bekannt, doch heute, in einer Welt, die durch die Globalisierung so
sehr miteinander verbunden
ist, ist es offensichtlicher denn je. Wir brauchen eine rechtliche,
politische und
wirtschaftliche Weltordnung, »die die internationale Zusammenarbeit auf die
solidarische Entwicklung
aller Völker hin fördert und ausrichtet«.[120] Dies kommt letztlich
dem
ganzen Planeten zugute,
denn »Entwicklungshilfe für die armen Länder« bedeutet
»Vermögensschaffung für
alle«.[121] Unter dem Gesichtspunkt ganzheitlicher
Entwicklung setzt
dies voraus, dass »auch den
ärmeren Nationen eine wirksame Stimme in den gemeinschaftlichen
Entscheidungen zuerkannt
wird«[122] und dass Anstrengungen unternommen werden,
»den von
Armut und Unterentwicklung
gezeichneten Ländern Zugang zum internationalen Markt zu
verschaffen«.[123]
Unentgeltliche Annahme
139. Ich möchte diesen
Ansatz jedoch nicht auf irgendeine Form von Utilitarismus reduzieren. Es
gibt nämlich auch die Unentgeltlichkeit,
die Fähigkeit, bestimmte Dinge einfach deshalb zu tun,
weil sie an sich gut sind,
ohne dass man dabei auf irgendeinen Ertrag hofft oder sofort eine
Gegenleistung erwartet. So
ist es möglich, den Fremden aufzunehmen, auch wenn es im Moment
keinen unmittelbaren Nutzen
bringt. Dennoch gibt es Länder, die für sich beanspruchen, nur
Wissenschaftler und
Investoren aufzunehmen.
42
140. Diejenigen, die keine
solche geschwisterliche Uneigennützigkeit üben, machen ihr ganzes
Dasein zu einem mühseligen
Geschäft, weil sie das, was sie geben, immerzu gegen das
aufrechnen, was sie als
Gegenleistung erhalten. Gott aber gibt unentgeltlich, und das geht so weit,
dass er selbst denen hilft,
die nicht treu sind, und »seine Sonne aufgehen [lässt] über Bösen und
Guten« (Mt 5,45). Deshalb
empfiehlt Jesus: »Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht
wissen, was deine rechte
tut, damit dein Almosen im Verborgenen bleibt« (Mt 6,3-4). Wir haben
unser Leben geschenkt
bekommen, wir haben nicht dafür bezahlt. Wir alle können also etwas
geben, ohne etwas dafür zu
erwarten, wir können Gutes tun, ohne von der Person, der wir helfen,
dasselbe zu verlangen. Eben
das sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Umsonst habt ihr empfangen,
umsonst sollt ihr geben«
(Mt 10,8).
141. Wie es um die
verschiedenen Länder der Welt wirklich bestellt ist, lässt sich an dieser
Fähigkeit abmessen, nicht
nur an das eigene Land, sondern an die ganze Menschheitsfamilie zu
denken, und das wird
besonders in kritischen Zeiten offenbar. In sich verschlossene
Nationalismen manifestieren
eine Unfähigkeit, unentgeltlich zu geben, und die irrige Überzeugung,
dass sie vom Niedergang der
anderen profitieren können und dass sie sicherer leben, wenn sie
sich anderen gegenüber
abschotten. Der Einwanderer wird als Usurpator gesehen, der nichts
bringt. So kommt man zu der
naiven Auffassung, dass die Armen gefährlich oder nutzlos und die
Mächtigen großzügige
Wohltäter sind. Nur eine soziale und politische Kultur, die eine Aufnahme
ohne Gegenleistung
einschließt, wird eine Zukunft haben.
Lokal und universal
142. Es sei daran erinnert,
dass »zwischen der Globalisierung und der Lokalisierung [eine
Spannung entsteht]. Man
muss auf die globale Dimension achten, um nicht in die alltägliche
Kleinlichkeit zu fallen.
Zugleich ist es nicht angebracht, das, was ortsgebunden ist und uns mit
beiden Beinen auf dem Boden
der Realität bleiben lässt, aus dem Auge zu verlieren. Wenn die
Pole miteinander vereint
sind, verhindern sie, in eines der beiden Extreme zu fallen: das eine,
dass die Bürger in einem
abstrakten und globalisierenden Universalismus leben […]; das andere,
dass sie ein
folkloristisches Museum ortsbezogener Eremiten werden, die dazu verurteilt
sind,
immer dieselben Dinge zu
wiederholen, unfähig, sich von dem, was anders ist, hinterfragen zu
lassen und die Schönheit zu
bewundern, die Gott außerhalb ihrer Grenzen verbreitet«.[124] Wir
müssen auf das Globale
schauen, das uns von einem beschaulichen Provinzialismus erlöst. Wenn
unser Zuhause nicht mehr
Heimat ist, sondern einem Gehege oder einer Zelle gleicht, dann befreit
uns das Globale, weil es
uns auf die Fülle hin orientiert. Gleichzeitig muss uns die lokale
Dimension am Herzen liegen,
denn sie besitzt etwas, was das Globale nicht hat: sie ist Sauerteig,
sie bereichert, sie setzt
subsidiäre Maßnahmen in Gang. Daher sind die universale
Geschwisterlichkeit und die
soziale Freundschaft im Inneren jeder Gesellschaft zwei untrennbare
und gleichwichtige Pole.
Trennt man sie voneinander, führt dies zu Deformierung und schädlicher
Polarisierung.
43
Lokalkolorit
143. Eine Offenheit, die
ihr Wertvollstes preisgibt, ist nicht die Lösung. So wie es ohne persönliche
Identität keinen Dialog mit
anderen gibt, so gibt es auch keine Offenheit zwischen den Völkern
ohne die Liebe zum eigenen
Land und seinen Menschen sowie zu ihren jeweiligen kulturellen
Eigenheiten. Ich begegne
dem anderen nicht, wenn ich keinen Nährboden habe, in dem ich fest
verwurzelt bin, denn auf
dieser Grundlage kann ich das Geschenk des anderen annehmen und
ihm etwas Authentisches
anbieten. Man kann die anderen nur dann annehmen und ihren
spezifischen Beitrag
anerkennen, wenn man selbst fest mit dem eigenen Volk und seiner Kultur
verbunden ist. Jeder liebt
sein Land, verspürt eine besondere Verantwortung diesem gegenüber
und kümmert sich darum, so
wie jeder sein Zuhause lieben und pflegen muss, damit es nicht
zusammenbricht, denn die
Nachbarn werden das nicht tun. Das Wohl der Welt erfordert ebenfalls,
dass jeder sein eigenes
Land schützt und liebt. Andernfalls werden die Probleme der einzelnen
Länder Auswirkungen auf den
gesamten Planeten haben. Dies beruht auf der positiven
Bedeutung des Rechts auf
Eigentum: Ich bewahre und pflege etwas, das ich besitze, so dass es
allen zum Wohl gereicht.
144. Außerdem ist dies
Voraussetzung für einen gesunden und bereichernden Austausch. Die
Erfahrung, an einem
bestimmten Ort und in einer bestimmten Kultur zu leben, ist die Grundlage,
die es ermöglicht, Aspekte
der Wirklichkeit zu erfassen, die diejenigen, die keine solche Erfahrung
haben, nicht so leicht
begreifen können. Das Universale darf nicht zu einer homogenen,
einheitlichen und
standardisierten Domäne einer einzigen vorherrschenden Kulturform werden, die
irgendwann die Farben des
Polyeders verliert und dann abstoßend wirkt. Das ist die Versuchung,
von der die uralte
Geschichte des Turmbaus zu Babel handelt. Der Bau eines Turms, der bis in
den Himmel ragen sollte,
drückte nicht die Einheit unter den verschiedenen Völkern aus, die in der
Lage waren, entsprechend
ihrer Verschiedenheit zu kommunizieren. Im Gegenteil, es war der
irrige und aus menschlichem
Stolz und Ehrgeiz stammende Versuch, eine andere Art von Einheit
zu schaffen als die, die
Gott für die Völker vorgesehen hatte (vgl. Gen 11,1-9).
145. Es gibt eine falsche
Offenheit für das Universale, die von der leeren Oberflächlichkeit
derjenigen herrührt, die
nicht in der Lage sind, ihr eigenes Heimatland wirklich zu verstehen, oder
von denen, die einen nicht
überwundenen Groll gegen ihr eigenes Volk hegen. Auf jeden Fall
müssen wir »immer den Blick
weiten, um ein größeres Gut zu erkennen, das uns allen Nutzen
bringt. Das darf allerdings
nicht den Charakter einer Flucht oder einer Entwurzelung haben. Es ist
notwendig, die Wurzeln in
den fruchtbaren Boden zu senken und in die Geschichte des eigenen
Ortes, die ein Geschenk
Gottes ist. Man arbeitet im Kleinen, mit dem, was in der Nähe ist, jedoch
mit einer weiteren
Perspektive. [...] Das ist weder die globale Sphäre, die letztlich
marginalisiert,
noch die isolierte
Besonderheit, die unfruchtbar macht«,[125] sondern das ist der Polyeder, bei
dem zwar jeder einzelne
Teil in seinem Wert respektiert wird und zugleich »das Ganze mehr ist
als die Teile, und […] auch
mehr als ihre bloße Summe«.[126]
44
Der universale Horizont
146. Es gibt einen „lokalen
Narzissmus“, der nicht Ausdruck einer gesunden Liebe zum eigenen
Volk und zur eigenen Kultur
ist. Hinter diesem Phänomen verbirgt sich ein verschlossener Geist,
der aus einer gewissen
Unsicherheit und Furcht vor dem Anderen lieber Mauern errichtet, um sich
zu schützen. Man kann
jedoch nicht auf gesunde Weise lokal denken ohne eine aufrichtige und
von Herzen kommende
Offenheit für das Universale, ohne sich von dem, was anderswo
geschieht, hinterfragen zu
lassen, ohne sich von anderen Kulturen bereichern zu lassen oder sich
mit den Nöten anderer
Völker zu solidarisieren. Ein solch unguter Lokalpatriotismus ist zwanghaft
auf einige wenige Ideen,
Bräuche und Gewissheiten beschränkt. Er ist unfähig, die vielen
Möglichkeiten und all das
Schöne überall auf der Welt zu sehen, und es fehlt ihm an authentischer
und großzügiger
Solidarität. In dieser Form ist heimatverbundenes Leben nicht mehr empfänglich,
es lässt sich von anderen
nicht mehr ergänzen und schränkt sich so in seinen
Entwicklungsmöglichkeiten
ein, wird unbeweglich und krank. Denn in Wirklichkeit ist jede gesunde
Kultur von Natur aus offen
und einladend, ja, man kann sagen, dass »eine Kultur ohne universale
Werte keine echte Kultur
ist«.[127]
147. Wir stellen fest: Je
weniger Weite ein Mensch in seinem Denken und Empfinden besitzt,
desto weniger wird er in
der Lage sein, die ihn unmittelbar umgebende Wirklichkeit zu deuten.
Ohne die Beziehung und
Auseinandersetzung mit denen, die anders sind, ist es schwierig, ein
klares und vollständiges
Wissen über sich selbst und das eigene Land zu erlangen, denn andere
Kulturen sind keine Feinde,
gegen die man sich verteidigen muss, sondern spiegeln auf
verschiedene Weise den
unerschöpflichen Reichtum menschlichen Lebens wider. Indem man sich
selbst aus der Perspektive
des anderen, des Fremden betrachtet, kann jeder die Eigenheiten der
eigenen Person und Kultur
besser erkennen: ihren Reichtum, ihre Möglichkeiten, aber auch ihre
Grenzen. Die Erfahrung, die
an einem Ort gemacht wird, kann sich nur „in Kontrast zu“ und „in
Übereinstimmung mit“ den
Erfahrungen anderer Menschen weiterentwickeln, die in anderen
kulturellen Kontexten
leben. [128]
148. Tatsächlich steht eine
gesunde Offenheit nie im Gegensatz zur eigenen Identität. Eine
lebendige Kultur, die sich
um neue Elemente fremder Herkunft bereichert, wird diese nie einfach
nur kopieren oder
wiederholen, sondern sie wird sich das Neue auf ihre Art und Weise zu eigen
machen. Dies führt zur
Entstehung einer neuen Synthese, die letztlich allen zugutekommt, da die
Kultur, in der diese
Beiträge ihren Ursprung haben, selbst davon profitiert. Deshalb habe ich die
indigenen Völker
aufgefordert, ihre angestammten Wurzeln und Kulturen zu bewahren, wollte
zugleich aber auch
klarstellen, dass es nicht meine Absicht war, »einen völlig geschlossenen,
ahistorischen, statischen
Indigenismus voranzutreiben, der jede Form der Vermischung ablehnt«,
denn »die eigene kulturelle
Identität wurzelt im Dialog mit denen, die anders sind, und wird durch
ihn bereichert. Echte
Bewahrung ist keine verarmende Isolation«.[129] Die Welt wächst und
füllt
sich jenseits jeder
kulturellen Vereinnahmung aufgrund immer weiterer Synthesen verschiedener
Kulturen mit neuer
Schönheit.
45
149. Um ein gesundes
Verhältnis zwischen der Liebe zum eigenen Land und der inneren
Verbundenheit mit der gesamten
Menschheit zu fördern, ist es vielleicht hilfreich, sich daran zu
erinnern, dass die
„Weltgesellschaft“ nicht einfach aus der Summe der verschiedenen Länder
besteht, sondern dass sie
vielmehr die Gemeinschaft selbst ist, die zwischen diesen besteht; sie
ist die gegenseitige
Inklusion, die der Entstehung der einzelnen Gruppierungen vorausgeht. Jede
Gruppe von Menschen ist ein
Teil dieses Geflechts universaler Gemeinschaft und findet dort zu
ihrer je eigenen Schönheit.
Daher weiß jeder Mensch, der in ein bestimmtes Gefüge
hineingeboren wurde, dass
er oder sie zu einer größeren Familie gehört, ohne die es nicht
möglich ist, sich selbst
wirklich zu verstehen.
150. Letztlich erfordert
dieser Ansatz, dass wir freudig akzeptieren, dass kein Volk, keine Kultur
oder Person sich selbst
genügen kann. Die anderen sind konstitutiv notwendig für den Aufbau
eines erfüllten Lebens. Das
Bewusstsein der eigenen Grenzen und der eigenen Begrenztheit wird,
weit davon entfernt, eine
Bedrohung zu sein, zum Schlüssel für die Vision und die Entwicklung
gemeinsamer Projekte. Denn
»der Mensch ist das Grenzwesen, das keine Grenze hat«.[130]
Aus der eigenen Region
151. Dank des regionalen
Austauschs, der den schwächeren Ländern einen Zugang zur ganzen
Welt eröffnet, ist es
möglich, dass sich deren Besonderheiten nicht in der Universalität auflösen.
Eine angemessene und echte
Weltoffenheit setzt die Fähigkeit voraus, sich dem Nächsten in einer
Familie von Nationen zu
öffnen. Die kulturelle, wirtschaftliche und politische Integration mit den
umliegenden Völkern sollte
von einem Bildungsprozess begleitet werden, der den Wert einer
freundschaftlichen
Nachbarschaft fördert, die eine erste unverzichtbare Übung zur Erlangung
einer gesunden universalen
Integration darstellt.
152. In einigen
ursprünglichen Gegenden ist der Geist der „Nachbarschaft“ noch lebendig, wo
sich
jeder spontan verpflichtet
fühlt, seinen Nachbarn zu begleiten und ihm beizustehen. An diesen
Orten, die solche
Gemeinschaftswerte bewahren, werden nachbarschaftliche Beziehungen gelebt,
die geprägt sind von
Unentgeltlichkeit, Solidarität und Gegenseitigkeit, die auf ein lokales Wir-
Gefühl zurückgehen.[131] Es
wäre wünschenswert, dass so etwas auch unter Nachbarländern
gelebt werden könnte, die in
der Lage sind, eine herzliche Nähe zwischen ihren Völkern
aufzubauen. Aber
individualistische Sichtweisen übertragen sich auf die Beziehungen zwischen
den Ländern. Das Risiko
eines Lebens in gegenseitiger Abschottung, weil man den anderen als
Konkurrenten oder
gefährlichen Feind betrachtet, wird auf die Beziehung zu den Völkern der
Region übertragen.
Vielleicht wurden wir in dieser Angst und diesem Misstrauen erzogen.
153. Es gibt mächtige
Länder und große Konzerne, die von dieser Isolation profitieren und es
vorziehen, mit jedem Land
einzeln zu verhandeln. Für kleine oder arme Länder gibt es jedoch die
Alternative, regionale
Vereinbarungen mit ihren Nachbarn zu treffen, die es ihnen ermöglichen, en
bloc zu verhandeln und zu vermeiden, dass sie zu marginalen
Segmenten werden, die von den
46
Großmächten abhängig sind.
Heute ist kein isolierter Nationalstaat in der Lage, das Gemeinwohl
seiner Bevölkerung zu gewährleisten.
FÜNFTES KAPITEL
DIE BESTE
POLITIK
154. Um die Entwicklung
einer weltweiten Gemeinschaft zu ermöglichen, in der eine
Geschwisterlichkeit unter
den die soziale Freundschaft lebenden Völkern und Nationen herrscht,
braucht es die beste
Politik im Dienst am wahren Gemeinwohl. Leider nimmt jedoch heute die
Politik oftmals Formen an,
die den Weg zu einer andersgearteten Welt behindern.
Populismus und Liberalismus
155. Die Verachtung für
Schwache kann sich hinter populistischen Formen verstecken, die sie
demagogisch für ihre Zwecke
benutzen, oder aber hinter liberalen Formen im Dienst an den
wirtschaftlichen Interessen
der Mächtigen. In beiden Fällen handelt es sich um die Schwierigkeit,
sich eine offene Welt
vorzustellen, in der es Platz für alle gibt, die Schwächsten
miteingeschlossen, und in
der die verschiedenen Kulturen respektiert werden.
Populär oder populistisch
156. In den letzten Jahren
hat der Ausdruck „Populismus“ oder „populistisch“ die
Kommunikationsmittel und
die Sprache insgesamt erobert. Damit verliert er den Wert, den er
haben könnte, und wird zu
einer der Polaritäten der gespaltenen Gesellschaft. Dies geht soweit,
alle Personen, Gruppen,
Gesellschaften und Regierungen ausgehend von einer Schwarz-Weiß-
Einteilung klassifizieren
zu wollen: „populistisch“ oder „nicht populistisch“. Niemand kann sich
mehr zu irgendeinem Thema
äußern, ohne dass versucht wird, ihn einem dieser beiden Pole
zuzuordnen, entweder um ihn
ungerechterweise zu diskreditieren oder um ihn auf übertriebene
Weise zu verherrlichen.
157. Der Anspruch, den
Populismus als Interpretationsschlüssel für die soziale Wirklichkeit zu
verwenden, hat eine weitere
Schwäche: er vergisst die Legitimität des Volksbegriffs. Der Versuch,
diese Kategorie aus dem
Sprachgebrauch verschwinden zu lassen, könnte dazu führen, das Wort
„Demokratie“ – nämlich die
„Herrschaft des Volkes“ – selbst auszulöschen. Aber der Begriff „Volk“
ist notwendig, um
auszusagen, dass die Gesellschaft mehr ist als die bloße Summe von
Individuen. Tatsächlich
gibt es soziale Phänomene, welche die Mehrheiten strukturieren. Es gibt
Megatrends und
gemeinschaftliche Bestrebungen; ferner kann man an gemeinsame Ziele über die
Differenzen hinaus denken,
um vereint ein geteiltes Projekt umzusetzen; schließlich ist es sehr
47
schwierig, etwas Großes langfristig
zu planen, wenn man nicht erreicht, dass es zu einem
kollektiven Traum wird. All
dies findet seinen Ausdruck im Substantiv „Volk“ oder im Adjektiv
„populär“. Wenn man sie
nicht verwenden würde – zusammen mit einer handfesten Kritik an der
Demagogie –, würde man auf
einen grundlegenden Aspekt der sozialen Wirklichkeit verzichten.
158. Es gibt nämlich ein
Missverständnis. »Volk ist keine logische Kategorie, es ist auch keine
mystische Kategorie in dem
Sinne, dass alles, was das Volk tut, gut wäre oder dass das Volk eine
engelsgleiche Kategorie
wäre. Aber das ist falsch! Es ist bestenfalls eine mythische Kategorie. […]
Wenn du erklärst, was ein
Volk ist, dann benutzt du logische Kategorien, weil du es eben erklären
musst: Natürlich, die braucht
man. Aber dann erklärst du nicht, was das für ein Gefühl ist, zu
einem Volk dazuzugehören.
Das Wort „Volk“ hat noch etwas an sich, das man nicht logisch
erklären kann. Teil des
Volkes zu sein heißt, Teil einer gemeinsamen Identität aus sozialen und
kulturellen Bindungen zu
sein. Und das geschieht nicht automatisch, im Gegenteil: es ist ein
langsamer, schwieriger
Prozess … auf ein gemeinsames Projekt zu«.[132]
159. Es gibt volksnahe
Anführer, die fähig sind, das Volksempfinden zu interpretieren wie auch
seine kulturelle Dynamik
und die großen Tendenzen einer Gesellschaft. Der Dienst, den sie durch
das Zusammenführen und
Leiten leisten, kann die Grundlage für ein dauerhaftes Projekt der
Umwandlung und des
Wachstums sein. Das schließt die Bereitschaft mit ein, auf der Suche nach
dem Gemeinwohl zugunsten
anderer auf seinen Posten zu verzichten. Aber dieser Dienst
verkommt zu einem
ungesunden Populismus, wenn er sich in die Fähigkeit verwandelt,
Zustimmung zu erzielen, nur
um unter welchen ideologischen Vorzeichen auch immer die Kultur
des Volkes politisch zu
instrumentalisieren, damit sie persönlichen Plänen und dem Machterhalt
dient. Andere Male wird auf
Popularitätsgewinn gezielt, indem die niedrigsten und egoistischen
Neigungen einiger Gruppierungen
der Gesellschaft geschürt werden. Dies ist noch
schwerwiegender, wenn es in
groben oder subtilen Formen zu einer Unterordnung der
Institutionen und der
Legalität führt.
160. Die geschlossenen
populistischen Gruppen verzerren das Wort „Volk“. Wovon sie reden, ist
nämlich in Wirklichkeit
kein echtes Volk. In der Tat ist die Kategorie „Volk“ offen. Ein lebendiges,
dynamisches Volk mit
Zukunft ist jenes, das beständig offen für neue Synthesen bleibt, indem es
in sich das aufnimmt, was
verschieden ist. Dazu muss es sich nicht selbst verleugnen, sondern
bereit sein, in Bewegung
gesetzt zu werden und sich der Diskussion zu stellen, erweitert zu
werden, von anderen
bereichert. Auf diese Weise kann es sich weiterentwickeln.
161. Eine weitere entartete
Form der Führungsrolle im Volk ist die Suche nach dem unmittelbaren
Interesse. Man antwortet
auf Bedürfnisse des Volkes, um sich Stimmen oder Unterstützung zu
sichern, aber ohne in einem
mühsamen, kontinuierlichen Einsatz voranzuschreiten, der den
Personen die Ressourcen für
ihre Entwicklung bietet, um ihr Leben mit ihren Initiativen und ihrer
Kreativität zu gestalten.
In diesem Sinn habe ich klar zum Ausdruck gebracht, dass es »mir völlig
[fernliegt], einen
unverantwortlichen Populismus vorzuschlagen«.[133] Einerseits verlangt
die
48
Überwindung der sozialen
Ungerechtigkeit, die Wirtschaft zu fördern und die Potentialitäten jeder
Region Frucht bringen zu
lassen und so eine nachhaltige soziale Gerechtigkeit zu
gewährleisten.[134] Andererseits
sollten »die Hilfsprojekte, die einigen dringlichen Erfordernissen
begegnen, […] nur als
provisorische Maßnahmen angesehen werden«.[135]
162. Das große Thema ist
die Arbeit. Das bedeutet wirklich volksnah – weil es das Wohl des
Volkes fördert –, wenn
allen die Möglichkeit garantiert wird, die Samen aufkeimen zu lassen, die
Gott in jeden hineingelegt
hat, seine Fähigkeiten, seine Initiative, seine Kräfte. Dies ist die beste
Hilfe für einen Armen, der
beste Weg zu einer würdigen Existenz. Daher möchte ich betonen:
»Den Armen mit Geld zu
helfen muss in diesem Sinn immer eine provisorische Lösung sein, um
den Dringlichkeiten
abzuhelfen. Das große Ziel muss immer sein, ihnen mittels Arbeit ein würdiges
Leben zu ermöglichen«.[136]Auch
wenn sich die Produktionssysteme verändern, darf die Politik
nicht auf das Ziel einer
Gesellschaftsorganisation verzichten, die es jeder Person ermöglicht, sich
mit ihren Fähigkeiten und Initiativen
einzubringen. Denn es »existiert keine schlimmere Armut als
die, welche dem Menschen
die Arbeit und die Würde der Arbeit nimmt«.[137] In einer wirklich
entwickelten Gesellschaft
ist die Arbeit eine unverzichtbare Dimension des gesellschaftlichen
Lebens, weil sie nicht nur
eine Art ist, sich das Brot zu verdienen, sondern auch ein Weg zum
persönlichen Wachstum, um
gesunde Beziehungen aufzubauen, um sich selbst auszudrücken,
um Gaben zu teilen, um sich
mitverantwortlich für die Vervollkommnung der Welt zu fühlen und
um schließlich als Volk zu
leben.
Werte und Grenzen der liberalen Sichtweisen
163. Die Kategorie des
Volkes mit ihrer positiven Wertung der gemeinschaftlichen und kulturellen
Bindungen wird für
gewöhnlich von den liberalen individualistischen Visionen abgelehnt, innerhalb
derer die Gesellschaft als
eine bloße Summe von koexistierenden Interessen betrachtet wird. Sie
sprechen von der Achtung
der Freiheit, aber ohne die Wurzel eines gemeinsamen sprachlichen
Hintergrunds. In bestimmten
Kontexten wird oftmals des Populismus bezichtigt, wer aller die
Rechte der Schwächsten in
der Gesellschaft verteidigt. Für diese Sichtweisen ist die Kategorie
des Volkes eine
Mythologisierung von etwas, was es in Wirklichkeit nicht gibt. Aber hier
entsteht
eine unnötige
Polarisierung: weder jene des Volkes noch jene des Nächsten sind rein mythische
oder romantische
Kategorien, welche die gesellschaftliche Organisation, die Wissenschaft und die
Institutionen der
Zivilgesellschaft ausschließen oder verachten.[138]
164. Die Liebe vereint
beide Dimensionen – die mythische und die institutionelle –, weil sie einen
wirksamen Weg der
Verwandlung der Geschichte beinhaltet, der vorwiegend alles miteinbeziehen
muss: die Institutionen,
das Recht, die Technik, die Erfahrung, professionelle Unterstützung,
wissenschaftliche Analyse,
die Verwaltungsprozesse. In der Tat gibt es »kein Privatleben, wenn
es nicht von einer
öffentlichen Ordnung geschützt wird; ein Heim besitzt keine Behaglichkeit, wenn
es nicht unter dem Schutz
des Gesetzes steht und sich auf stabile Verhältnisse stützen kann, die
auf dem Gesetz und der
Staatsgewalt gründen und einen Mindestwohlstand antreffen, der von der
49
Arbeitsteilung, von den
Handelsbeziehungen, von der sozialen Gerechtigkeit und dem politischen
Bürgersinn gesichert wird«.[139]
165. Die wahre Liebe ist
fähig, all dies in ihr Engagement einzuschließen. Auch wenn sie sich in
der Begegnung von Person zu
Person ausdrücken muss, so kann sie dennoch einen entfernten
Bruder oder eine gar
vergessene Schwester durch die verschiedenen Ressourcen erreichen, die
die Institutionen einer
organisierten, freien und kreativen Gesellschaft schaffen können. So
brauchte zum Beispiel auch
der barmherzige Samariter ein Gasthaus zur Unterstützung, weil er es
momentan nicht allein
schaffen konnte. Die Nächstenliebe ist realistisch und verschleudert nichts
von dem, was für eine
Verwandlung der Geschichte nötig ist, die auf das Wohl der Letzten
ausgerichtet ist.
Andererseits gibt es zuweilen linke Ideologien oder soziale Doktrinen, die mit
individualistischen
Gewohnheiten und unwirksamen Vorgehensweisen einhergehen und nur
wenige erreichen. In der Zwischenzeit
bleibt das Gros der Verlassenen dem eventuellen guten
Willen von Einzelnen
ausgeliefert. Dies zeigt, dass nicht nur eine Spiritualität der
Geschwisterlichkeit wachsen
muss, sondern zugleich eine weltweite wirksamere Organisation zur
Lösung der drängenden
Probleme der Verlassenen, die in den armen Ländern leiden und sterben.
Dies schließt wiederum ein,
dass es nicht nur einen möglichen Ausweg gibt, eine einzig
annehmbare Methode, ein
wirtschaftliches Rezept, das gleichermaßen auf alle angewendet
werden kann, und es setzt
voraus, dass auch die rigoroseste Wissenschaft verschiedene Wege
aufzeigen kann.
166. All dies wäre aber nur
Flickwerk, wenn wir die Unverzichtbarkeit eines Wandels im Herzen
der Menschen, in den
Gewohnheiten und den Lebensstilen vergessen. Dies geschieht, wenn
politische Propaganda,
Medien und die öffentlichen Meinungsmacher angesichts der
ökonomischen Interessen
ohne Regeln und der Organisation der Gesellschaften im Dienst an den
bereits zu mächtigen
weiterhin eine individualistische, naive Kultur fördern. Daher bedeutet meine
Kritik am technokratischen
Paradigma nicht, dass wir nur durch die Kontrolle der Exzesse sicher
sein können. Die größte
Gefahr besteht vielmehr nicht in den Sachen, in den materiellen
Wirklichkeiten, in den
Organisationen, sondern in der Art und Weise, in der die Menschen sie
benützen. Das Problem ist
die menschliche Schwachheit, die beständige menschliche Tendenz
zum Egoismus, der Teil
dessen ist, was die christliche Tradition „Begierlichkeit“ nennt: die
Neigung des Menschen, sich
in der Immanenz des eigenen Ichs zu verschließen, seiner Gruppe,
seiner armseligen
Interessen. Diese Begierlichkeit ist kein Fehler unserer Epoche. Sie gibt es,
seit
der Mensch existiert. Sie
wandelt sich einfach und nimmt im Lauf der Jahrhunderte verschiedene
Formen an, indem sie die
Werkzeuge verwendet, die ihr der historische Augenblick zur Verfügung
stellt. Aber mit Gottes
Hilfe ist es möglich, sie zu beherrschen.
167. Der Einsatz für
Bildung, die Entwicklung solidarischer Haltungen, die Fähigkeit, das
menschliche Leben
ganzheitlicher zu begreifen, die spirituelle Tiefe sind notwendig, um den
menschlichen Beziehungen
Qualität zu verleihen, damit die Gesellschaft selbst auf ihre
Ungerechtigkeiten, Verirrungen
sowie Machtmissbräuche in wirtschaftlichen, technologischen,
50
politischen und medialen
Bereichen reagieren kann. Es gibt liberale Sichtweisen, die diesen
Faktor der menschlichen
Zerbrechlichkeit übersehen und sich eine Welt vorstellen, die einer
bestimmten Ordnung folgt
und fähig ist, aus sich selbst heraus die Zukunft und die Lösung aller
Probleme zu garantieren.
168. Der Markt allein löst
nicht alle Probleme, auch wenn man uns zuweilen dieses Dogma des
neoliberalen Credos
glaubhaft machen will. Es handelt sich um eine schlichte, gebetsmühlenartig
wiederholte Idee, die vor
jeder aufkeimenden Herausforderung immer die gleichen Rezepte
herauszieht. Der Neoliberalismus
regeneriert sich immer wieder neu auf identische Weise, indem
er – ohne sie beim Namen zu
nennen – auf die magische Vorstellung des Spillover oder die
Trickle-down-Theorie als einzige Wege zur Lösung der
gesellschaftlichen Probleme zurückgreift.
Man sieht nicht, dass die
vorgebliche Neuverteilung nicht die soziale Ungerechtigkeit aufhebt, die
ihrerseits Quelle neuer
Formen von Gewalt ist, die das gesellschaftliche Gefüge bedrohen.
Einerseits ist eine aktive
Wirtschaftspolitik unverzichtbar, die darauf ausgerichtet ist »eine
Wirtschaftzu fördern,
welche die Produktionsvielfalt und die Unternehmerkreativität
begünstigt«,[140] damit
es möglich ist, die Anzahl von Arbeitsplätzen zu erhöhen, anstatt sie zu
senken. Eine
Finanzspekulation mit billigem Gewinn als grundlegendem Ziel richtet weiter
Unheil
an. Andererseits kann der
Markt »ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte
Handlungsweisen in seinem
Inneren die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen
erfüllen. Heute ist dieses
Vertrauen verlorengegangen«.[141] Damit hat die Geschichte nicht
aufgehört, und die
dogmatischen Rezepte der herrschenden Wirtschaftstheorie haben sich als
fehlbar erwiesen. Die
Zerbrechlichkeit der weltweiten Systeme angesichts der Pandemie hat
gezeigt, dass nicht alles
durch den freien Markt gelöst werden kann und dass – über die
Rehabilitierung einer
gesunden Politik hinaus, die nicht dem Diktat der Finanzwelt unterworfen ist
– wir »die Menschenwürde
wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Auf diesem Grundpfeiler
müssen die sozialen
Alternativen erbaut sein, die wir brauchen.« [142]
169. In einigen
kleinkarierten und monochromatischen Wirtschaftstheorien scheinen zum Beispiel
die Volksbewegungen keinen
Platz zu finden, welche Arbeitslose, Arbeitnehmer in prekären
Arbeitsverhältnissen und
viele andere, die nicht einfach in die vorgegebenen Kanäle passen,
versammeln. In Wirklichkeit
initiieren sie verschiedene Formen von Volkswirtschaft und
gemeinschaftlicher
Produktion. Es ist notwendig, die gesellschaftliche, politische und
wirtschaftliche
Partizipation in einer Weise zu konzipieren, »die die Volksbewegungen mit
einschließen und die
lokalen, nationalen und internationalen Regierungsstrukturen mit jenem
Strom moralischer Energie
beleben, der der Miteinbeziehung der Ausgeschlossenen in den
Aufbau unseres gemeinsamen
Schicksals entspringt.« Zugleich ist es gut, dafür zu sorgen, »dass
diese Bewegungen, diese
Erfahrungen der Solidarität, die von der Basis – sozusagen vom
„Untergeschoss“ des
Planeten Erde – ausgehen, zusammenfließen, koordinierter [sind] und sich
austauschen«.[143] Dies
muss jedoch geschehen, ohne ihren charakteristischen Stil zu verraten,
weil sie »Sämänner der
Veränderung sind, Förderer eines Prozesses, in den Millionen großer und
kleiner Aktionen
einfließen, die kreativ miteinander verbunden sind, wie in einem Gedicht.«[144] In
51
diesem Sinn sind sie
„soziale Poeten“, die auf ihre Weise arbeiten, vorschlagen, fördern und
befreien. Mit ihnen wird
eine ganzheitliche menschliche Entwicklung möglich. Sie erfordert die
Überwindung jener
»Vorstellung von einer Sozialpolitik, die verstanden wird als eine Politik
„gegenüber“ den Armen, aber
nie „mit“ den Armen, die nie die Politik „der“ Armen ist und schon
gar nicht in einen Plan
integriert ist, der die Völker wieder miteinander vereint«.[145] Auch
wenn
sie unbequem sind, auch
wenn einige „Theoretiker“ nicht wissen, wie sie einzuordnen sind, so
muss man doch den Mut haben
anzuerkennen: Ohne sie »verkümmert die Demokratie, wird sie
zum Nominalismus, zur
Formalität, verliert sie ihre Repräsentativität, wird sie entleiblicht, weil
sie
das Volk außen vor lässt in
seinem Kampf um die Würde, beim Aufbau seines Schicksals.«[146]
Die Internationale Macht
170. Ich erlaube mir zu
wiederholen: »Die Finanzkrise von 2007-2008 war eine Gelegenheit für die
Entwicklung einer neuen,
gegenüber den ethischen Grundsätzen aufmerksameren Wirtschaft und
für eine Regelung der
spekulativen Finanzaktivität und des fiktiven Reichtums. Doch es gab keine
Reaktion, die dazu führte,
die veralteten Kriterien zu überdenken, die weiterhin die Welt
regieren«.[147] Im
Gegenteil, es scheint, dass die tatsächlichen Strategien, die sich im Anschluss
daran weltweit entwickelt
haben, auf mehr Individualismus und weniger Integration zielten, auf
mehr Freiheit für die
wahren Mächtigen, die immer ein Hintertürchen finden.
171. Ich möchte auf dieser
Tatsache bestehen: »Jedem das Seine zu geben – gemäß der
klassischen Definition von
Gerechtigkeit – bedeutet, dass weder eine Einzelperson noch eine
Menschengruppe sich als
allmächtig betrachten darf, dazu berechtigt, über die Würde und die
Rechte der anderen
Einzelpersonen oder ihrer gesellschaftlichen Gruppierungen hinwegzugehen.
Die faktische Verteilung
der Macht (vor allem auf dem Gebiet von Politik, Wirtschaft, Verteidigung,
Technologie) unter vielen
verschiedenen Personen und die Schaffung eines rechtlichen Systems
zur Regelung der Ansprüche
und Interessen konkretisiert die Begrenzung der Macht. Ein
weltweiter Überblick zeigt
uns jedoch heute viele Scheinrechte und zugleich große schutzlose
Bereiche, die vielmehr
Opfer einer schlechten Ausübung der Macht sind«.[148]
172. Das 21. Jahrhundert
ist »Schauplatz eines Machtschwunds der Nationalstaaten, vor allem
weil die Dimension von
Wirtschaft und Finanzen, die transnationalen Charakter besitzt, tendenziell
die Vorherrschaft über die
Politik gewinnt. In diesem Kontext wird es unerlässlich, stärkere und
wirkkräftig organisierte
internationale Institutionen zu entwickeln, die Befugnisse haben, die durch
Vereinbarung unter den
nationalen Regierungen gerecht bestimmt werden, und mit der Macht
ausgestattet sind,
Sanktionen zu verhängen«.[149] Wenn von der Möglichkeit einer Form von
politischer Weltautorität
die Rede ist, die sich dem Recht unterordnet,[150] so ist dabei nicht
notwendigerweise an eine
personale Autorität zu denken. Sie müsste zumindest die Schaffung
von wirksameren
Weltorganisationen vorsehen, die mit der Autorität ausgestattet sind, die
Beseitigung von Hunger und
Elend und die feste Verteidigung der grundlegenden
Menschenrechte zu
gewährleisten.
52
173. In diesem Zusammenhang
erinnere ich daran, dass eine »Reform sowohl der Organisation
der Vereinten Nationen als
auch der internationalen Wirtschafts- und Finanzgestaltung«
notwendig ist, »damit dem
Konzept einer Familie der Nationen reale und konkrete Form gegeben
werden kann.«[151] Zweifelsohne
setzt dies genaue rechtliche Maßgaben voraus, um zu
vermeiden, dass es sich um
eine nur von einigen Ländern berufene Autorität handelt. Ebenso gilt
es, die Aufoktroyierung
einer bestimmten Kultur oder die Einschränkung der Grundfreiheiten der
ärmsten Nationen aufgrund
ideologischer Differenzen zu verhindern. Denn »die internationale
Gemeinschaft ist eine
Rechtsgemeinschaft, die auf der Souveränität jedes Mitgliedsstaates
beruht, dessen
Unabhängigkeit nicht durch Bande der Unterordnung negiert oder eingeschränkt
wird«.[152] Aber
»das Werk der Vereinten Nationen kann – angefangen von den Postulaten der
Präambel und der ersten
Artikel ihrer Charta – als die Entwicklung und Förderung der
Souveränität des Rechtes
angesehen werden, da die Gerechtigkeit bekanntlich eine unerlässliche
Voraussetzung ist, um das
Ideal der universalen Brüderlichkeit zu erreichen […] [Es] muss die
unangefochtene Herrschaft
des Rechtes sichergestellt werden sowie der unermüdliche Rückgriff
auf die Verhandlung, die
guten Dienste und auf das Schiedsverfahren, wie es in der Charta der
Vereinten Nationen, einer wirklich grundlegenden Rechtsnorm,
vorgeschlagen wird«.[153] Es
muss vermieden werden, dass
dieser Organisation die Legitimation entzogen wird, denn ihre
Probleme und Mängel können
nur gemeinsam angegangen und gelöst werden.
174. Es braucht Mut und
Großherzigkeit, um frei bestimmte gemeinsame Ziele festzulegen und
die weltweite Erfüllung
einiger wesentlicher Normen sicherzustellen. Damit dies wirklich von
Nutzen ist, muss »die
Forderung, unterschriebene Verträge einzuhalten (pacta sunt
servanda)«,[154] aufrecht erhalten
werden, um der Versuchung zu widerstehen, »lieber auf das
Recht des Stärkeren als auf die Kraft des Rechtes zu setzen«.[155] Dies verlangt die
Stärkung der
»normativen Mittel zur
friedlichen Lösung von Konflikten […] mit einer größeren Reichweite und
Verbindlichkeit«.[156] Unter
diesen normativen Werkzeugen sollen die multilateralen Abkommen
zwischen den Staaten
begünstigt werden, weil sie besser als die bilateralen Abkommen die Sorge
um ein wirklich universales
Gemeinwohl und den Schutz der schwächsten Staaten gewährleisten.
175. Gott sei Dank helfen
viele Vereinigungen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die
Schwächen der
internationalen Gemeinschaft, ihren Mangel an Koordination in komplexen
Situationen, ihr Fehlen an
Aufmerksamkeit für die grundlegenden Menschenrechte und für äußerst
kritische Situationen
einiger Gruppen auszugleichen. So findet das Subsidiaritätsprinzip einen
konkreten Ausdruck. Es
gewährleistet die Teilnahme und die Tätigkeit der Gemeinschaften und
Organisationen auf
niedrigerer Ebene, welche die Tätigkeit des Staates ergänzen. Oftmals
bringen sie im Einsatz für
das Gemeinwohl lobenswerte Bemühungen voran, und manche
Mitglieder vollbringen
wahrhaft heldenhafte Taten, die zeigen, zu wie viel Schönheit unsere
Menschheit noch fähig ist.
Eine soziale und politische
Liebe
53
176. Für viele ist die
heutige Politik ein Schimpfwort, und es ist nicht zu übersehen, dass hinter
dieser Tatsache oft Fehler,
Korruption und Ineffizienz mancher Politiker stehen. Hierzu kommen
noch Strategien, die darauf
abzielen, die Politik zu schwächen, sie durch die Wirtschaft zu
ersetzen oder sie mit einer
Ideologie zu beherrschen. Und dennoch, kann die Welt ohne Politik
funktionieren? Kann sie
ohne eine gute Politik einen effektiven Weg zur allgemeinen
Geschwisterlichkeit und zum
gesellschaftlichen Frieden finden?[157]
Die Politik, derer es bedarf
177. Ich darf betonen: »Die
Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese darf sich
nicht dem Diktat und dem
effizienzorientierten Paradigma der Technokratie
unterwerfen.«[158] Auch
wenn man Machtmissbrauch, Korruption, Gesetzesübertretung und
Ineffizienz bekämpfen muss,
kann man »nicht eine Wirtschaft ohne Politik rechtfertigen – sie wäre
unfähig, eine andere Logik
zu begünstigen, die die verschiedenen Aspekte der gegenwärtigen
Krise lenken könnte.«[159] Im
Gegenteil, »wir brauchen eine Politik, deren Denken einen weiten
Horizont umfasst und die
einem neuen, ganzheitlichen Ansatz zum Durchbruch verhilft, indem sie
die verschiedenen Aspekte
der Krise in einen interdisziplinären Dialog aufnimmt«.[160] Ich denke
an eine »solide Politik
[…], die die Institutionen zu reformieren und zu koordinieren vermag und
die auch deren Betrieb ohne
Pressionen und lasterhafte Trägheit gewährleistet«.[161] Das kann
man nicht von der
Wirtschaft verlangen und man kann auch nicht akzeptieren, dass diese die
wirkliche Staatsgewalt
übernimmt.
178. Angesichts vieler
Formen armseliger Politik, die auf das unmittelbare Interesse ausgerichtet
sind, zeigt sich »die
politische Größe, wenn man in schwierigen Momenten nach bedeutenden
Grundsätzen handelt und
dabei an das langfristige Gemeinwohl denkt. Diese Pflicht in einem
Projekt der Nation auf sich
zu nehmen, kostet die politische Macht einen hohen Preis«[162];
dies
umso mehr in einem
gemeinsamen Projekt für die gegenwärtige und zukünftige Menschheit. An
die zukünftige Generation
zu denken, dient nicht zu Wahlzwecken. Es ist aber der Anspruch einer
authentischen
Gerechtigkeit, weil, wie die Bischöfe Portugals gelehrt haben, die Erde »eine
Leihgabe ist, die jede
Generation empfängt und der nachfolgenden Generation weitergeben
muss«.[163]
179. Die weltweite
Gesellschaft weist schwerwiegende strukturelle Mängel auf, die nicht durch
Zusammenflicken oder bloße
schnelle Gelegenheitslösungen behoben werden. Es gibt Dinge, die
durch neue
Grundausrichtungen und bedeutende Verwandlungen verändert werden müssen. Nur
eine gesunde Politik könnte
hier die Führungsrolle übernehmen und dabei die verschiedensten
Sektoren und die
unterschiedlichsten Wissensbereiche einbeziehen. So kann eine Wirtschaft, die
sich in ein politisches,
soziales, kulturelles und vom Volk her kommendes Projekt für das
Gemeinwohl einfügt, »den
Weg für andere Möglichkeiten [eröffnen], die nicht etwa bedeuten, die
Kreativität des Menschen
und seinen Sinn für Fortschritt zu bremsen, sondern diese Energie auf
neue Anliegen hin
auszurichten«.[164]
54
Die politische Liebe
180. Es ist keine pure
Utopie, jeden Menschen als Bruder oder Schwester anerkennen zu wollen
und eine soziale
Freundschaft zu suchen, die alle integriert. Dazu braucht es Entschiedenheit
und
die Fähigkeit, wirksame
Wege zu finden, die sie real möglich machen. Jegliches Bemühen in
diese Richtung wird zu
einer anspruchsvollen Ausübung der Nächstenliebe. Denn ein Einzelner
kann einer bedürftigen
Person helfen, aber wenn er sich mit anderen verbindet, um
gesellschaftliche Prozesse
zur Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit für alle ins Leben zu rufen,
tritt er in »das Feld der
umfassenderen Nächstenliebe, der politischen Nächstenliebe ein«.[165] Es
geht darum, zu einer
gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu gelangen, deren Seele die
gesellschaftliche
Nächstenliebe ist.[166] Nochmals lade ich dazu ein, die Politik neu
zu bewerten,
die eine »sehr hohe
Berufung [ist], […] eine der wertvollsten Formen der Nächstenliebe, weil sie
das Gemeinwohl anstrebt«.[167]
181. Jeder von der
Soziallehre der Kirche inspirierte Einsatz geht »aus der Liebe hervor, die nach
den Worten Jesu die
Zusammenfassung des ganzen Gesetzes ist (vgl. Mt 22, 36-40)«.[168] Dies
verlangt anzuerkennen, dass
»die Liebe voller kleiner Gesten gegenseitiger Achtsamkeit auch das
bürgerliche und das
politische Leben betrifft und sich bei allen Gelegenheiten zeigt, die zum
Aufbau einer besseren Welt
beitragen«.[169] Daher drückt sich die Liebe nicht nur in
vertrauten
und engen Beziehungen aus,
sondern auch in »Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und
politischen Zusammenhängen«.[170]
182. Diese politische
Nächstenliebe schließt ein, einen gesellschaftlichen Sinn entwickelt zu
haben, der jede individualistische
Mentalität überwindet: »Die soziale Liebe lässt uns das
Gemeinwohl lieben und auf
wirkungsvolle Weise das Wohl aller Personen anstreben, die nicht nur
als Individuen, sondern
auch in der sozialen Dimension betrachtet werden, die sie
vereint«.[171] Jeder
ist dann wirklich eine Person, wenn er zu einem Volk gehört, und gleichzeitig
gibt es kein wahres Volk
ohne Respekt vor dem Angesicht jeder Person. Volk und Person sind
korrelative Begriffe. Heute
jedoch maßt man sich an, Personen auf Individuen zu reduzieren, die
leicht von Mächten
beherrscht werden, die auf unrechtmäßige Interessen abzielen. Eine gute
Politik sucht nach Wegen
zum Aufbau von Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen des
gesellschaftlichen Lebens,
um so die Globalisierung wieder auszugleichen und neu zu orientieren
und ihre zersetzenden
Auswirkungen zu vermeiden.
Wirksame Liebe
183. Ausgehend von der
»sozialen Liebe«[172] ist es möglich, zu einer Zivilisation der
Liebe
voranzuschreiten, zu der
wir uns alle berufen fühlen können. Die Liebe kann mit ihrer universalen
Dynamik eine neue Welt
aufbauen,[173] weil sie nicht ein unfruchtbares Gefühl ist,
sondern
vielmehr das beste Mittel,
um wirksame Entwicklungsmöglichkeiten für alle zu finden. Die soziale
Liebe ist eine »Kraft […],
die neue Wege eröffnen kann, um den Problemen der heutigen Welt zu
55
begegnen und Strukturen,
soziale Organisationen und Rechtsordnungen von innen heraus und
von Grund auf zu erneuern.«[174]
184. Die Liebe ist das
Herzstück jedes gesunden und nicht ausgrenzenden Gesellschaftslebens.
Doch wird sie heutzutage
»leicht als unerheblich für die Interpretation und die Orientierung der
moralischen Verantwortung
erklärt«.[175] Wenn sie sich zur Wahrheit verpflichtet, um
nicht
einfaches »Opfer der
zufälligen Gefühle und Meinungen der Einzelnen«[176] zu sein, ist sie viel
mehr als eine subjektive
Sentimentalität. Gerade ihre Beziehung zur Wahrheit begünstigt die
Universalität der Liebe und
bewahrt sie so davor, »in einen begrenzten und privaten Bereich von
Beziehungen verbannt«[177] zu
werden. Sonst wird sie »aus den Planungen und den Prozessen
zum Aufbau einer
menschlichen Entwicklung von umfassender Tragweite – im Dialog zwischen
Wissen und Praxis […]
ausgeschlossen«.[178] Ohne die Wahrheit fehlen der menschlichen
Emotivität die relationalen
und sozialen Komponenten. Daher schützt die Öffnung auf die Wahrheit
hin die Liebe vor einem
falschen Glauben, »der ihr die menschliche und universelle Weite
nimmt«.[179]
185. Die Liebe bedarf des
Lichts der Wahrheit, die wir beständig suchen, und diese »ist das Licht
der Vernunft wie auch des
Glaubens«,[180] ohne Relativismen. Dies impliziert auch die
Entwicklung der
Wissenschaften und ihren unersetzlichen Beitrag, um konkrete und sichere Wege
zum Erzielen der erhofften
Ergebnisse zu finden. Wenn nämlich das Wohl der anderen auf dem
Spiel steht, genügen nicht
gute Absichten, sondern es muss darum gehen, wirksam das zu
erlangen, was sie und ihre
Nationen zur Selbstverwirklichung benötigen.
Die Tätigkeit der
politischen Liebe
186. Es gibt eine
sogenannte Liebe „aus innerem Verlangen“: Das sind die Akte, die direkt aus der
Tugend der Liebe
hervorgehen und sich auf Personen oder Völker richten. Es gibt sodann eine
„gebotene“ Liebe: Das sind
jene Akte der Liebe, die dazu anspornen, bessere Institutionen zu
schaffen, gerechtere
Ordnungen, solidarischere Strukturen.[181] Daraus folgt: »Ein ebenso
unverzichtbarer Akt der
Liebe ist das Engagement, das darauf ausgerichtet ist, die Gesellschaft so
zu organisieren und zu
strukturieren, dass der Nächste nicht im Elend leben muss«.[182] Es
ist
Liebe, einer leidenden
Person nahe zu sein; aber auch all das ist Liebe, was man ohne direkten
Kontakt mit dieser Person
zur Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, die ihr Leiden
verursachen, tut. Während
jemand einem älteren Menschen hilft, einen Fluss zu überqueren – und
das ist wahre Liebe –, so
erbaut der Politiker ihm eine Brücke, und auch dies ist Liebe. Während
jemand einem anderen hilft,
indem er ihm zu essen gibt, so schafft der Politiker für ihn einen
Arbeitsplatz und übt eine
sehr hochstehende Form der Liebe, die sein politisches Handeln
veredelt.
Die Opfer der Liebe
56
187. Diese Nächstenliebe,
die das geistige Herzstück der Politik ist, ist eine Liebe, die den Letzten
den Vorzug gibt, und die
hinter jeder Handlung steht, die zu ihren Gunsten vollzogen
wird.[183] Nur
mit einem durch die Liebe geweiteten Blick, der die Würde des anderen
wahrnimmt,
können die Armen in ihrer
unfassbaren Würde erkannt und mit ihrem eigenen Stil und ihrer Kultur
geschätzt werden, und so
wirklich in die Gesellschaft integriert werden. Ein solcher Blick ist der
Kern des authentischen
Geistes der Politik. Die Wege, die sich von da aus auftun, sind nicht die
eines seelenlosen
Pragmatismus. Zum Beispiel »lässt sich der Skandal der Armut nicht
vermeiden, indem man
Verharmlosungsstrategien betreibt, die letztendlich nur dazu gut sind, die
Gemüter zu beruhigen und
die Armen zu gut kontrollierten, harmlosen Wesen zu machen. Wie
traurig ist es doch,
zuzusehen, wie andere unter dem Schutzmantel vermeintlich altruistischer
Werke zur Passivität
verurteilt werden«.[184] Was nottut, sind verschiedene
Ausdrucksmöglichkeiten und
Wege der sozialen Beteiligung. Die Bildung steht im Dienst dieses
Weges, damit jeder Mensch
zum Schmied seines eigenen Schicksals werden kann. Hier zeigt das
Prinzip der Subsidiarität
seinen Wert, das vom Prinzip der Solidarität untrennbar ist.
188. Daraus ergibt sich die
Dringlichkeit, eine Lösung für all das zu finden, was die grundlegenden
Menschenrechte bedroht. Die
Politiker sind gerufen, »sich der Gebrechlichkeit anzunehmen, [es]
bedeutet Kraft und
Zärtlichkeit, bedeutet Kampf und Fruchtbarkeit inmitten eines funktionellen und
privatistischen Modells,
das unweigerlich zur „Wegwerf-Kultur“ führt. […] Es bedeutet, die
Gegenwart in ihrer
nebensächlichsten und am meisten beängstigenden Situation auf sich zu
nehmen und fähig zu sein,
sie mit Würde zu salben.«[185] So ruft man gewiss eine intensive
Tätigkeit ins Leben, denn
es »muss alles getan werden, um den Status und die Würde der
menschlichen Person zu
schützen«.[186] Der Politiker ist tatkräftig, er ist ein
Erbauer mit großen
Zielen und mit
realistischem und pragmatischem Weitblick auch über sein Land hinaus. Die
größte
Sorge eines Politikers
sollten nicht sinkende Umfragewerte sein, sondern vielmehr, dass er keine
wirksame Lösung findet, um
»das Phänomen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Ausschließung mit seinen
traurigen Folgen wie Menschenhandel, Handel von menschlichen
Organen und Geweben, sexuelle
Ausbeutung von Knaben und Mädchen, Sklavenarbeit
einschließlich
Prostitution, Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und internationale
organisierte
Kriminalität so schnell wie
möglich zu überwinden. Diese Situationen und die Anzahl der
unschuldigen Leben, die sie
fordern, sind von solchem Ausmaß, dass wir jede Versuchung
meiden müssen, einem
Nominalismus zu verfallen, der sich in Deklarationen erschöpft und einen
Beruhigungseffekt auf das
Gewissen ausübt. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Institutionen
wirklich effektiv sind im
Kampf gegen all diese Plagen.«[187] Dies geschieht, indem man die
großen Ressourcen der
technologischen Entwicklung intelligent nutzt.
189. Wir sind noch weit
entfernt von einer Globalisierung der grundlegenden Menschenrechte.
Daher kann es die
Weltpolitik nicht unterlassen, unter ihre unverzichtbaren Hauptziele die
effektive
Beseitigung des Hungers
aufzunehmen. »Wenn die Finanzspekulation [nämlich] den Preis für
Lebensmittel bestimmt und
diese als x-beliebige Ware betrachtet, dann müssen Millionen von
Menschen darunter leiden
und verhungern. Auf der anderen Seite werden Tonnen von
57
Lebensmitteln weggeworfen.
Das ist ein Skandal! Andere hungern zu lassen ist ein Verbrechen;
Ernährung ein
unveräußerliches Recht«.[188] Während wir uns in unsere semantischen und
ideologischen Diskussionen
verbeißen, lassen wir oftmals zu, dass auch heute noch Schwestern
und Brüder verhungern und
verdursten, obdachlos sind und ohne Zugang zur
Gesundheitsversorgung.
Neben diesen unerfüllten Grundbedürfnissen ist der Menschenhandel
eine weitere Schande für
die Menschheit, welche die internationale Politik jenseits von
Ansprachen und guten Absichten
hinaus nicht weiter tolerieren dürfte. Das sind die
unverzichtbarer
Minimalvoraussetzungen.
Liebe, die integriert und versammelt
190. Die politische
Nächstenliebe drückt sich auch in der Offenheit für alle aus. Vor allem wer
Regierungsverantwortung
trägt, muss zu Verzichten bereit sein, damit Begegnung möglich wird.
Zumindest im Hinblick auf
einige Themen sucht er Übereinstimmung. Er kann dem Standpunkt
das anderen zuhören und
zulassen, dass jeder seinen Raum findet. Mit Verzicht und Geduld kann
ein Regierender die
Schaffung jenes schönen Polyeders begünstigen, in dem alle Platz finden. In
diesem Bereich
funktionieren die Verhandlungen nach Art der Wirtschaft nicht. Es ist mehr als
das, es ist ein Austausch
von Angeboten zugunsten des Gemeinwohls. Das scheint eine naive
Utopie, aber wir können auf
dieses höchste Ziel nicht verzichten.
191. Wir sehen, wie sich
alle Arten fundamentalistischer Intoleranz der Beziehungen zwischen
den Personen, Gruppen und
Völkern bemächtigen. Deshalb müssen wir den Wert von Respekt,
von Liebe, die alle
Verschiedenheiten umfasst, den Vorrang der Würde jedes Menschen vor
seinen Ideen, Gefühlen,
Handlungsweisen und sogar Sünden vorleben und lehren. Während in
der heutigen Gesellschaft
Formen von Fanatismus, von hermetisch abgeschotteten Denkweisen
und die gesellschaftliche
und kulturelle Fragmentierung wachsen, macht ein guter Politiker den
ersten Schritt, damit
verschiedene Stimmen gehört werden. Es ist zwar wahr, dass die
Unterschiede Konflikte
hervorbringen, die Einförmigkeit jedoch erstickt und bewirkt, dass wir uns
kulturell selbst
vernichten. Finden wir uns nicht damit ab, abgeschlossen nur in einem
Bruchstück
der Realität zu leben.
192. In diesem Zusammenhang
möchte ich daran erinnern, dass wir gemeinsam mit dem
Großimam Ahmad Al-Tayyeb
»von den Architekten der internationalen Politik und der globalen
Wirtschaft ein ernsthaftes
Engagement zur Verbreitung einer Kultur der Toleranz, des
Zusammenlebens und des
Friedens [verlangt haben,] ein schnellstmögliches Eingreifen, um das
Vergießen von unschuldigem
Blut zu stoppen».[189] Und wenn eine bestimmte Politik im Namen
des Wohls des eigenen
Landes Hass und Angst gegenüber anderen Nationen sät, muss man sich
sorgen, rechtzeitig
reagieren und sofort die Route korrigieren.
Mehr Fruchtbarkeit als
Erfolge
58
193. Während dieses
unermüdlichen Einsatzes bleibt jeder Politiker doch immer auch Mensch. Er
ist gerufen, die Liebe in
seinen alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen zu leben. Er ist
eine Person und er muss
wahrnehmen, dass »die moderne Welt, selbst mit ihrer technischen
Perfektion, dazu neigt,
immer mehr die Befriedigung der menschlichen Sehnsüchte zu
rationalisieren, sie in
verschiedene Dienstleistungen zu klassifizieren und zu unterteilen. Immer
weniger nennt man einen
Menschen mit seinem eigenen Namen, immer weniger wird man dieses
einzigartige Wesen auf der
Welt als Person behandeln, das sein eigenes Herz, seine Leiden,
seine Probleme, seine
Freuden und seine Familie besitzt. Man wird nur seine Krankheiten
kennen, um sie zu heilen,
seinen Mangel an Geld, um es ihm bereitzustellen, sein Bedürfnis nach
einem Zuhause, um ihm
Unterkunft zu geben, seinen Wunsch nach Zerstreuung und Ablenkung,
um diesen
entgegenzukommen«. Aber »den unbedeutendsten der Menschen wie einen Bruder zu
lieben, so als ob es auf
der Welt keine anderen als ihn gäbe, das ist kein Zeitverlust«.[190]
194. Auch in der Politik
gibt es Raum, um mit Zärtlichkeit zu lieben. »Was ist die Zärtlichkeit? Sie
ist die Liebe, die nah und
konkret wird. Sie ist eine Bewegung, die vom Herzen ausgeht und zu
den Augen, den Ohren, den
Händen gelangt. […] Die Zärtlichkeit ist der Weg, den die mutigsten
Männer und Frauen
beschritten haben«.[191] Inmitten der politischen Tätigkeit »müssen
die
Bedürftigen, die Schwachen,
die Armen unser Herz berühren: Sie haben das „Recht“, uns die
Seele und das Herz zu
nehmen. Ja, sie sind unsere Brüder, und als solche müssen wir sie lieben
und behandeln.«[192]
195. Somit sehen wir, dass
es nicht immer um große Resultate, die zuweilen nicht möglich sind,
geht. Im politischen
Einsatz muss man daran erinnern: »Jenseits aller äußeren Erscheinung ist
jeder unendlich heilig und
verdient unsere Liebe und unsere Hingabe. Deswegen, wenn ich es
schaffe, nur einem Menschen
zu helfen, ein besseres Leben zu haben, rechtfertigt dies schon den
Einsatz meines Lebens. Es
ist schön, gläubiges Volk Gottes zu sein. Und die Fülle erreichen wir,
wenn wir die Wände
einreißen und sich unser Herz mit Gesichtern und Namen füllt!«[193] Die
in
Strategien erträumten
großen Ziele werden nur teilweise errungen. Darüber hinaus hat derjenige,
der liebt und die Politik
nicht mehr als ein reines Streben nach Macht versteht, »die Sicherheit,
dass keine der Arbeiten,
die man mit Liebe verrichtet hat, verloren geht, dass keine der ehrlichen
Sorgen um den Nächsten,
keine Tat der Liebe zu Gott, keine großherzige Mühe, keine leidvolle
Geduld verloren ist. All
das kreist um die Welt als eine lebendige Kraft«.[194]
196. Es ist eine edle
Haltung, Prozesse in der Hoffnung auf die geheime Kraft des ausgesäten
Guten anzustoßen, deren
Früchte von anderen geerntet werden. Eine gute Politik vereint die
Liebe mit der Hoffnung, mit
dem Vertrauen auf die Vorräte an Gutem, die sich trotz allem im
Herzen der Menschen
befinden. »Echte Politik, die sich auf Recht und ehrlichen Dialog zwischen
den Personen gründet,
entsteht immer neu aus der Überzeugung heraus, dass mit jeder Frau,
jedem Mann und jeder
Generation die Hoffnung auf neue relationale, intellektuelle, kulturelle und
spirituelle Möglichkeiten
verbunden ist«.[195]
59
197. Auf diese Weise
betrachtet ist die Politik edler als ihr Erscheinungsbild, des Marketings, der
verschiedenen Formen der
medialen Verzerrung. All dies sät nur Spaltung, Feindschaft und einen
trostlosen Skeptizismus,
der unfähig ist, sich auf ein gemeinsames Projekt zu berufen. Im Hinblick
auf die Zukunft müssen an
manchen Tagen die Fragen lauten: „Zu welchem Zweck? Worauf ziele
ich wirklich ab?“ Denn wenn
wir nach einigen Jahren über die eigene Vergangenheit nachdenken,
wird die Frage nicht
lauten: „Wie viele haben mir zugestimmt, wie viele haben mich gewählt, wie
viele hatten ein positives
Bild von mir?“ Die vielleicht schmerzlichen Fragen werden sein: „Wie viel
Liebe habe ich in meine
Arbeit gelegt? Wo habe ich das Volk vorangebracht? Welche Spur habe
ich im Leben der
Gesellschaft hinterlassen? Welche realen Bindungen habe ich aufgebaut?
Welche positiven Kräfte
habe ich freigesetzt? Wie viel sozialen Frieden habe ich gesät? Was habe
ich an dem Platz, der mir
anvertraut wurde, bewirkt?“
SECHSTES
KAPITEL
DIALOG UND SOZIALE
FREUNDSCHAFT
198. Aufeinander zugehen,
sich äußern, einander zuhören, sich anschauen, sich kennenlernen,
versuchen, einander zu
verstehen, nach Berührungspunkten suchen – all dies wird in dem Wort
Dialog zusammengefasst. Um
einander zu begegnen und sich gegenseitig zu helfen, müssen wir
miteinander sprechen. Es
versteht sich von selbst, wozu der Dialog dient. Man braucht nur daran
zu denken, was die Welt
ohne dieses geduldige Gespräch so vieler hochherziger Menschen wäre,
die Familien und
Gemeinschaften zusammengehalten haben. Ein beharrlicher und mutiger Dialog
erregt kein Aufsehen wie
etwa Auseinandersetzungen und Konflikte, aber er hilft unauffällig der
Welt, besser zu leben, und
zwar viel mehr, als uns bewusst ist.
Der gesellschaftliche
Dialog auf eine neue Kultur hin
199. Einige versuchen, der
Realität zu entfliehen, indem sie sich in die Privatsphäre zurückziehen,
andere begegnen ihr mit
zerstörerischer Gewalt. Aber »zwischen der egoistischen Gleichgültigkeit
und dem gewaltsamen Protest
gibt es eine Option, die immer möglich ist: den Dialog. Der Dialog
zwischen den Generationen,
der Dialog im Volk, denn wir alle gehören zum Volk, die Fähigkeit, zu
geben und zu empfangen,
zugleich für die Wahrheit offen zu sein. Ein Land wächst, wenn seine
verschiedenen kulturellen
Reichtümer konstruktiv in Dialog miteinander stehen: die Volkskultur,
die Universitätskultur, die
Jugendkultur, die Kultur der Kunst und die Kultur der Technik, die
Wirtschaftskultur und die
Familienkultur sowie die Medienkultur«.[196]
200. Häufig wird der Dialog
mit etwas ganz anderem verwechselt, nämlich einem hitzigen
60
Meinungsaustausch in
sozialen Netzwerken, der nicht selten durch nicht immer zuverlässige
Medieninformationen
beeinflusst wird. Das sind nur parallel verlaufende Monologe, die vielleicht
durch ihren lauten, aggressiven
Ton die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen. Monologe aber
verpflichten niemanden, so
dass ihr Inhalt nicht selten opportunistisch und widersprüchlich ist.
201. Die sensationsgierige
Verbreitung von Fakten und Aufrufen in den Medien verhindert
tatsächlich oft einen
Dialog, weil sie jedem erlaubt, seine eigenen Ideen, Interessen und Optionen
unangetastet und ohne
Nuancen beizubehalten, während die Fehler anderer als Ausrede dafür
dienen. Es herrscht der
Brauch, den Gegner schnell zu diskreditieren und mit demütigenden
Schimpfwörtern zu versehen,
anstatt sich einem offenen und respektvollen Dialog zu stellen, bei
dem man eine Synthese
sucht, die weiterführt. Das Schlimmste ist, dass diese im medialen
Kontext einer politischen
Kampagne übliche Sprache derart verbreitet ist, dass sie von allen
tagtäglich verwendet wird.
Die Debatte wird oft von mächtigen Partikularinteressen gelenkt, die
hinterlistig versuchen, die
öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Ich beziehe mich
nicht nur auf die jeweils
amtierende Regierung, denn diese manipulative Macht kann
wirtschaftlicher,
politischer, medialer, religiöser oder sonstiger Art sein. Wenn ihre
Stoßrichtung
mit den eigenen
wirtschaftlichen oder ideologischen Interessen übereinstimmt, wird sie zuweilen
gerechtfertigt oder
entschuldigt, früher oder später aber wendet sie sich gegen eben diese
Interessen.
202. Der Mangel an Dialog
bringt es mit sich, dass niemand in den einzelnen Bereichen auf das
Gemeinwohl bedacht ist,
sondern nur darauf, aus der Macht Nutzen zu ziehen oder bestenfalls die
eigene Denkweise
durchzusetzen. So werden Gespräche zu bloßen Verhandlungen um die
meiste Macht und den
größtmöglichen Nutzen, ohne einer gemeinsamen Suche nach dem
Gemeinwohl. Die Helden der
Zukunft werden die sein, die diese ungesunde Logik zu
durchbrechen wissen und mit
allem Respekt die Wahrheit fördern, jenseits von persönlichen
Interessen. So Gott will,
wachsen diese Helden still im Herzen unserer Gesellschaft heran.
Gemeinsam aufbauen
203. Der echte Dialog
innerhalb der Gesellschaft setzt die Fähigkeit voraus, den Standpunkt des
anderen zu respektieren und
zu akzeptieren, dass er möglicherweise gerechtfertigte
Überzeugungen oder
Interessen enthält. Schon von seinem personalen Sein her hat der andere
etwas beizutragen, und es
ist wünschenswert, dass er seine eigene Position vertieft und darlegt,
damit die öffentliche
Debatte noch umfassender wird. Sicher kommt es der Gesellschaft auf die
eine oder andere Weise
zugute, wenn eine Person oder eine Gruppe kohärent lebt, Werte und
Überzeugungen fest vertritt
und eine Meinung entwickelt. Dies geschieht aber nur in dem Maß, in
dem eine solche Entwicklung
im Dialog und in Offenheit gegenüber anderen stattfindet. Denn »in
einem wahren Geist des
Dialogs wächst die Fähigkeit, den Sinn dessen zu verstehen, was der
andere sagt und tut, auch
wenn man es nicht als eigene Überzeugung für sich selbst übernehmen
kann. Auf diese Weise wird
es möglich, aufrichtig zu sein und das, was wir glauben, nicht zu
61
verbergen, dabei aber doch
weiter im Gespräch zu bleiben, Berührungspunkte zu suchen und vor
allem gemeinsam […] zu
arbeiten und zu kämpfen«.[197] Wenn die öffentliche Diskussion wirklich
allen Raum gibt und
Informationen nicht manipuliert oder verheimlicht, ist sie ein ständiger
Ansporn zur besseren
Wahrheitsfindung oder wenigstens zu ihrer besseren Vermittlung. Sie
verhindert, dass die
verschiedenen Bereiche in ihrer Sichtweise und in ihren begrenzten
Interessen bequem und
selbstgenügsam werden. Denken wir daran: »Unterschiede sind kreativ,
sie erzeugen Spannungen und
in der Auflösung einer Spannung liegt der Fortschritt der
Menschheit«.[198]
204. Heute besteht die
Überzeugung, dass neben den wissenschaftlichen Entwicklungen in den
Fachgebieten auch der
interdisziplinäre Austausch notwendig ist. Die Wirklichkeit ist nämlich eine,
auch wenn man sich ihr aus
verschiedenen Perspektiven und mit verschiedenen Methoden
annähern kann. Deshalb
sollte das Risiko nicht unterschätzt werden, dass ein wissenschaftlicher
Fortschritt für den einzig
möglichen Ansatz zum Verständnis eines bestimmten Aspekts des
Lebens, der Gesellschaft
und der Welt gehalten wird. Ein Forscher, der in seiner Analyse
Fortschritte macht und
gleichzeitig bereit ist, weitere Dimensionen der von ihm untersuchten
Wirklichkeit anzuerkennen,
öffnet sich hingegen dank der Arbeit anderer Wissenschaften und
Wissensgebiete einem
ganzheitlicheren, vollständigeren Erfassen der Wirklichkeit.
205. In dieser
globalisierten Welt »können die Medien dazu verhelfen, dass wir uns einander
näher fühlen, dass wir ein
neues Gefühl für die Einheit der Menschheitsfamilie entwickeln, das uns
zur Solidarität und zum
ernsthaften Einsatz für ein würdigeres Leben drängt. […] Die Medien
können uns dabei behilflich
sein, besonders heute, da die Kommunikationsnetze der Menschen
unerhörte Entwicklungen
erreicht haben. Besonders das Internet kann allen größere Möglichkeiten
der Begegnung und der
Solidarität untereinander bieten, und das ist gut, es ist ein Geschenk
Gottes«.[199] Es
muss allerdings ständig überprüft werden, ob uns die heutigen Formen der
Kommunikation tatsächlich
zu einer großherzigen Begegnung, zu einer aufrichtigen Suche nach
der vollen Wahrheit, zum
Dienst, zur Nähe zu den Geringsten, zum Einsatz für den Aufbau des
Gemeinwohls führen.
Gleichzeitig »können wir« – wie die Bischöfe Australiens geschrieben haben
– »auch nicht eine digitale
Welt akzeptieren, die darauf angelegt ist, unsere Schwächen
auszunutzen und das
Schlimmste in den Menschen hervorzubringen«.[200]
Die Grundlage des Konsenses
206. Der Relativismus ist
keine Lösung. Unter dem Deckmantel von vermeintlicher Toleranz führt
er letztendlich dazu, dass
die Mächtigen sittliche Werte der momentanen Zweckmäßigkeit
entsprechend
interpretieren. Wenn es letztendlich nämlich »weder objektive Wahrheiten noch
feste Grundsätze gibt außer
der Befriedigung der eigenen Pläne und der eigenen unmittelbaren
Bedürfnisse […] können wir
nicht meinen, dass die politischen Pläne oder die Kraft des Gesetzes
ausreichen werden […] Denn
wenn die Kultur verfällt und man keine objektive Wahrheit oder
keine allgemein gültigen
Prinzipien mehr anerkennt, werden die Gesetze nur als willkürlicher
62
Zwang und als Hindernisse
angesehen, die es zu umgehen gilt«.[201]
207. Ist es möglich, auf
Wahrheit zu achten und die Wahrheit zu suchen, die unserer tiefsten
Wirklichkeit entspricht?
Was ist das Gesetz ohne die auf einem langen Weg des Nachdenkens
und der Weisheit erlangten
Überzeugung, dass jeder Mensch heilig und unantastbar ist? Damit
eine Gesellschaft eine Zukunft
besitzt, muss sie eine tiefe Achtung vor der Wahrheit der
Menschenwürde entwickeln,
der wir uns unterwerfen. Dann wird man es nicht aus Furcht vor
gesellschaftlicher Ächtung
und vor der Last des Gesetzes, sondern aus Überzeugung unterlassen,
jemanden zu töten. Das ist
eine unabdingbare Wahrheit, die wir mit der Vernunft erkennen und im
Gewissen annehmen. Eine
Gesellschaft ist nicht zuletzt dann edel und achtbar, wenn sie die
Suche nach der Wahrheit
fördert und an den Grundwahrheiten festhält.
208. Wir müssen uns
angewöhnen, die verschiedenen Arten und Weisen der Manipulation,
Verzerrung und
Verschleierung der Wahrheit im öffentlichen und privaten Bereich zu entlarven.
Was wir „Wahrheit“ nennen,
ist nicht nur die Faktenvermittlung durch den Journalismus. Es ist vor
allem die Suche nach den
stabilsten Grundlagen für unsere Entscheidungen und auch für unsere
Gesetze. Das bedeutet
zuzugestehen, dass der menschliche Verstand über die momentanen
Bedürfnisse hinaus einige
Wahrheiten erkennen kann, die unveränderlich sind, die schon vor uns
wahr waren und es immer
sein werden. Durch die Erforschung der menschlichen Natur entdeckt
die Vernunft Werte, die
universell sind, weil sie sich von ihr ableiten.
209. Könnte es anderenfalls
nicht vielleicht geschehen, dass die grundlegenden Menschenrechte,
hinter die man heute nicht
zurückgehen kann, von den jeweiligen Mächtigen verwehrt werden,
nachdem sie den „Konsens“
einer eingeschläferten und eingeschüchterten Bevölkerung erlangt
haben? Auch ein bloßer
Konsens zwischen den verschiedenen Völkern wäre nicht ausreichend
und gleichermaßen
manipulierbar. Wir haben bereits reichlich Beweise für all das Gute, zu dem
wir fähig sind, doch
gleichzeitig müssen wir zugeben, dass wir eine destruktive Neigung in uns
haben. Ist nicht auch der
gleichgültige und unerbittliche Individualismus, in den wir gefallen sind,
das Ergebnis der Trägheit
bei der Suche nach den höheren Werten, die über die momentanen
Bedürfnisse hinausgehen?
Zum Relativismus kommt die Gefahr hinzu, dass der Mächtigste oder
Schlauste am Ende eine
Scheinwahrheit aufoktroyiert. Doch »im Hinblick auf die sittlichen
Normen, die das in sich
Schlechte verbieten, gibt es für niemanden Privilegien oder Ausnahmen.
Ob einer der Herr der Welt
oder der Letzte, „Elendeste“ auf Erden ist, macht keinen Unterschied:
Vor den sittlichen
Ansprüchen sind wir alle absolut gleich«.[202]
210. Was heute mit uns
geschieht und was uns in eine verkehrte und leere Logik hineinzieht, ist
darauf zurückzuführen, dass
es eine Assimilation von Ethik und Politik mit den Gesetzen der
Physik gibt. Es gibt kein
Gut und Böse an sich, sondern nur eine Berechnung von Vor- und
Nachteilen. Die Verdrängung
der sittlichen Vernunft hat zur Folge, dass sich das Recht nicht auf
eine Grundkonzeption von
Gerechtigkeit beziehen kann, sondern zum Spiegel der herrschenden
Ideen wird. Hier beginnt
der Verfall: eine fortschreitende „Nivellierung nach unten“ durch einen
63
oberflächlichen
Verhandlungskonsens. So triumphiert am Ende die Logik der Gewalt.
Konsens und Wahrheit
211. In einer
pluralistischen Gesellschaft ist der Dialog der beste Weg zur Anerkennung
dessen,
was stets bejaht und
respektiert werden muss und was über einen umstandsbedingten Konsens
hinausgeht. Wir sprechen
hier von einem Dialog, der durch Motivation, durch rationale Argumente,
durch eine Vielfalt von
Perspektiven, durch Beiträge unterschiedlicher Wissensgebiete und
Standpunkte bereichert und
erleuchtet werden muss; von einem Dialog, der die Überzeugung
nicht ausschließt, dass es
möglich ist, zu einigen grundlegenden Wahrheiten zu gelangen, die
immer vertreten werden
müssen. Zu akzeptieren, dass es einige bleibende, mitunter nicht immer
leicht zu erkennende Werte
gibt, verleiht einer Sozialethik Solidität und Stabilität. Auch wenn wir
solche Grundwerte dank
Dialog und Konsens erkannt und angenommen haben, sehen wir, dass
sie über jeden Konsens
hinausgehen – wir erkennen sie als Werte an, die unsere individuelle
Situation überschreiten und
niemals verhandelbar sind. Unser Verständnis hinsichtlich ihrer
Bedeutung und Wichtigkeit
mag wachsen – und in diesem Sinne ist der Konsens etwas
Dynamisches –, aber an sich
werden sie aufgrund ihrer ihnen innewohnenden Bedeutung für
unveränderlich gehalten.
212. Wenn etwas für das
gute Funktionieren der Gesellschaft immer positiv ist, liegt es dann
vielleicht nicht daran,
dass dahinter eine vom Verstand erfassbare, bleibende Wahrheit steht? In
der Wirklichkeit des
Menschen und der Gesellschaft selbst, in deren innerster Natur, gibt es eine
Reihe von Grundstrukturen,
die ihre Entwicklung und ihr Überleben sichern. Daraus leiten sich
bestimmte Forderungen her,
die im Dialog entdeckt werden können, auch wenn sie nicht im
strengen Sinn vom Konsens
geschaffen werden. Die Tatsache, dass bestimmte Regeln für das
gesellschaftliche Leben
selbst unverzichtbar sind, ist ein äußerer Hinweis dafür, dass sie eine in
sich selbst gute Sache sind.
Folglich ist es nicht notwendig, soziale Zweckmäßigkeit, Konsens und
die Realität einer
objektiven Wahrheit in Konkurrenz zueinander zu sehen. Diese drei Dinge
können sich harmonisch
miteinander verbinden, wenn die Menschen im Dialog wagen, einem
Thema auf den Grund zu
gehen.
213. Wenn man die Würde des
Nächsten in jeder Situation respektieren soll, dann nicht etwa
deshalb, weil wir die Würde
des anderen erfinden oder annehmen, sondern weil er wirklich einen
Wert besitzt, der über die
materiellen Dinge und die Umstände hinausgeht; dieser erfordert, dass
wir ihn auf andere Weise
behandeln. Dass jeder Mensch eine unveräußerliche Würde besitzt, ist
eine Wahrheit, die der
menschlichen Natur unabhängig jeden kulturellen Wandels zukommt.
Deshalb besitzt der Mensch
in jeder zeitlichen Epoche die gleiche unantastbare Würde. Niemand
kann sich durch die
Umstände ermächtigt fühlen, diese Überzeugung zu leugnen oder ihr nicht
entsprechend zu handeln.
Der Verstand kann also durch Reflexion, Erfahrung und Dialog die
Wirklichkeit der Dinge
erforschen, um innerhalb dieser Wirklichkeit, die ihn übersteigt, die
Grundlage bestimmter
allgemeingültiger sittlicher Ansprüche zu erkennen.
64
214. Agnostikern mag diese
Grundlage ausreichend erscheinen, um den nicht verhandelbaren
ethischen Grundprinzipien
eine starke und beständige universelle Gültigkeit zu verleihen und
weitere Katastrophen zu
verhindern. Für Gläubige ist die menschliche Natur als Quelle ethischer
Prinzipien von Gott
geschaffen, der diesen Prinzipien letztlich eine feste Grundlage
verleiht.[203] Dies
begründet weder einen ethischen Kreationismus, noch zwingt es irgendein
Moralsystem auf, da
universell gültige sittliche Grundprinzipien zu unterschiedlichen praktischen
Normen führen können.
Deshalb bleibt immer Raum für den Dialog.
Eine neue Kultur
215. »Das Leben ist die
Kunst der Begegnung, auch wenn es so viele Auseinandersetzungen im
Leben gibt«.[204] Ich
habe wiederholt dazu eingeladen, eine Kultur der Begegnung zu entwickeln,
die über die stets
aneinandergeratenen Dialektiken hinausgeht. Es ist ein Lebensstil, der eine
Polyederbildung mit vielen
Facetten und sehr vielen Seiten, die aber zusammen eine
nuancenreiche Einheit
bilden, fördert, denn »das Ganze ist dem Teil übergeordnet«.[205] Der
Polyeder stellt eine
Gesellschaft dar, in der die Unterschiede zusammenleben, sich dabei
gegenseitig ergänzen,
bereichern und erhellen, wenn auch unter Diskussionen und mit Argwohn.
Denn man kann von jedem
etwas lernen, niemand ist nutzlos, niemand ist entbehrlich. Dies
bedeutet, dass die
Peripherien mit einbezogen werden müssen. Wer in ihnen lebt, hat einen
anderen Blickwinkel, sieht
Aspekte der Realität, die man von den Machtzentren aus, in denen die
maßgeblichen Entscheidungen
getroffen werden, nicht erkennen kann.
Die Begegnung, die zur Kultur geworden ist
216. Das Wort „Kultur“
weist auf etwas hin, was das Volk, seine innersten Überzeugungen und
seinen Lebensstil
durchdrungen hat. Wenn wir von einer „Kultur“ im Volk sprechen, ist das mehr
als eine Idee oder eine
Abstraktion. Sie hat mit den Wünschen, den Leidenschaften und
schließlich mit der
Lebensweise, die diese Menschengruppe charakterisieren, zu tun. Von einer
„Kultur der Begegnung“ zu
sprechen bedeutet also, dass wir uns als Volk für die Idee begeistern,
zusammenzukommen,
Berührungspunkte zu suchen, Brücken zu schlagen, etwas zu planen, das
alle miteinbezieht. Dies
ist zu einer Bestrebung und zu einem Lebensstil geworden. Das Subjekt
dieser Kultur ist das Volk,
nicht nur ein Teil der Gesellschaft, der versucht, den Rest mit
professionellen und
medialen Mitteln friedlich zu halten.
217. Der soziale Frieden
erfordert harte Arbeit, Handarbeit. Es wäre einfacher, die Freiheiten und
Unterschiede mit ein wenig
List und verschiedenen Ressourcen im Zaum zu halten. Aber dieser
Frieden wäre oberflächlich
und brüchig, und nicht die Frucht einer Kultur der Begegnung, die ihn
stützen sollte. Unterschiede
zu integrieren ist viel schwieriger und langsamer, aber die Garantie
für einen echten und
beständigen Frieden. Das wird nicht erreicht, indem man nur die Reinen
zusammenbringt, denn »sogar
die Menschen, die wegen ihrer Fehler kritisiert werden können,
haben etwas beizutragen,
das nicht verloren gehen darf«.[206] Es geht auch nicht um den
65
Frieden, der entsteht, wenn
soziale Forderungen zum Schweigen gebracht oder daran gehindert
werden, Chaos zu stiften.
Es geht nicht um »einen Konsens auf dem Papier […] oder einen
oberflächlichen Frieden für
eine glückliche Minderheit«.[207] Worauf es ankommt, ist, Prozesse
der Begegnung in Gang zu
setzen, Prozesse, die ein Volk aufbauen, das die Unterschiede in sich
aufnimmt. Rüsten wir unsere
Kinder mit den Waffen des Dialogs aus! Lehren wir sie den guten
Kampf der Begegnung!
Die Freude, den anderen anzuerkennen
218. Dies bedeutet die
Fähigkeit, dem Nächsten das Recht zuzugestehen, er selbst zu sein und
anders zu sein. Aus dieser
zur Kultur gewordenen Anerkennung heraus kann ein Sozialpakt
entstehen. Ohne diese
Anerkennung tauchen hingegen subtile Weisen auf, dem Nächsten
jegliche Bedeutung
abzusprechen; er wird irrelevant und die Gesellschaft misst ihm keinen Wert
bei. Hinter der Ablehnung
bestimmter sichtbarer Formen von Gewalt verbirgt sich oft eine andere
heimtückischere Form von
Gewalt, nämlich die Gewalt derer, die den verachten, der „anders“ ist,
vor allem dann, wenn seine
Forderungen ihren eigenen Interessen auf irgendeine Weise schaden.
219. Wenn ein Teil der
Gesellschaft beansprucht, alles zu genießen, was die Welt zu bieten hat,
als würde es die Armen
nicht geben, dann hat dies irgendwann Folgen. Die Existenz und die
Rechte anderer zu
ignorieren führt früher oder später zu irgendeiner Form von oft unerwarteter
Gewalt. Die Träume von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit können auf rein formaler Ebene
bleiben, weil sie sich
nicht für alle verwirklichen. Es geht also nicht bloß um eine Begegnung
zwischen denen, die
verschiedene Formen wirtschaftlicher, politischer oder akademischer Macht
besitzen. Eine echte
gesellschaftliche Begegnung bringt die großen kulturellen Formen, die die
Mehrheit der Bevölkerung
ausmachen, in einen wahren Dialog. Häufig werden von den ärmsten
Randgruppen gute Vorschläge
nicht aufgegriffen, weil sie in einem kulturellen Gewand präsentiert
werden, das nicht das ihre
ist und mit dem sie sich nicht identifizieren können. Daher muss ein
realistischer integrativer
Sozialpakt auch ein „Kulturpakt“ sein, der die unterschiedlichen
Weltanschauungen, Kulturen
oder Lebensstile, die in der Gesellschaft nebeneinander bestehen,
respektiert und
berücksichtigt.
220. So sind zum Beispiel
die ursprünglichen Völker nicht gegen den Fortschritt, sondern haben
eine andere Vorstellung von
Fortschritt, oft humanistischer als die der modernen Kultur der
Industrieländer. Es ist
keine Kultur, die auf den Nutzen der Machthaber ausgerichtet ist, derer, die
sich eine Art ewiges
Paradies auf Erden schaffen müssen. Intoleranz und Verachtung gegenüber
indigenen Volkskulturen ist
eine richtiggehende Form der Gewalt, die typisch ist für herzlose
„Moralisten“, die leben, um
andere zu verurteilen. Aber ein authentischer, tiefgreifender und
stabiler Wandel ist
unmöglich, wenn er nicht die verschiedenen Kulturen, insbesondere die der
Armen, miteinbezieht. Ein
Kulturpakt setzt voraus, dass man davon absieht, die Identität eines
Ortes gleichsam monolithisch
zu verstehen; er erfordert hingegen, die Vielfalt zu respektieren
indem man Möglichkeiten zu
ihrer Förderung und sozialen Integration anbietet.
66
221. Dieser Pakt bedeutet
auch zu akzeptieren, dass man eventuell etwas für das Gemeinwohl
aufgeben muss. Niemand wird
die ganze Wahrheit besitzen oder alle seine Wünsche erfüllen
können. Ein solcher
Anspruch würde nämlich dazu führen, den anderen zu zerstören, indem man
ihm seine Rechte
verweigert. Die Suche nach einer falschen Toleranz muss dem Realismus des
Dialogs weichen, dem
Realismus derer, die überzeugt sind, ihren Prinzipien treu bleiben zu
müssen, gleichzeitig aber
anerkennen, dass der andere ebenso das Recht hat, zu versuchen,
seinen eigenen Prinzipien
treu zu sein. Das ist die authentische Anerkennung des anderen, die
nur durch die Liebe möglich
ist; das bedeutet, sich in den anderen hineinzuversetzen, um zu
entdecken, was es an
Authentischem oder zumindest Verständlichem unter seinen Motivationen
und Interessen gibt.
Die Freundlichkeit
zurückgewinnen
222. Der
Konsumindividualismus verursacht viel Missbrauch. Die anderen Menschen werden
zu
bloßen Hindernissen für die
eigene angenehme Ruhe. So behandelt man sie schließlich, als
würden sie eine Belästigung
darstellen, und die Aggressivität nimmt zu. Dies verschärft sich und
erreicht unerträgliche
Ausmaße in Krisenzeiten, in Katastrophensituationen, in schwierigen
Momenten, wenn der Geist
des „Es rette sich, wer kann“ offen zutage tritt. Trotzdem kann man
sich immer noch für die
Freundlichkeit entscheiden. Es gibt Menschen, die dies tun und wie
Sterne in der Dunkelheit
leuchten.
223. Der heilige Paulus
bezeichnete eine Frucht des Heiligen Geistes mit dem griechischen Wort
chrestotes (Gal 5,22), was einen Seelenzustand ausdrückt, der
nicht rau, grob oder hart ist,
sondern gütig und sanft,
der stützt und tröstlich ist. Die Person, die diese Eigenschaft besitzt, hilft
anderen, ihr Dasein besser
zu ertragen, insbesondere die Last der Probleme, Nöte und Ängste.
Diese Umgangsart zeigt die
sich auf verschiedene Weise: in einer freundlichen Behandlung, als
Sorge, nicht mit Worten
oder Gesten zu verletzen, als Bemühen, die Last der anderen zu
erleichtern. Es geht darum,
»Worte der Ermutigung [zu] sagen, die wieder Kraft geben, die
aufbauen, die trösten und
die anspornen«, statt »Worte, die demütigen, die traurig machen, die
ärgern, die herabwürdigen«.[208]
224. Freundlichkeit befreit
uns von der Grausamkeit, die manchmal die menschlichen
Beziehungen durchdringt,
von der Ängstlichkeit, die uns davon abhält, an andere zu denken, von
der zerstreuten
Bedürfnisbefriedigung, die ignoriert, dass auch andere ein Recht darauf haben,
glücklich zu sein. Heute
hat man oft weder Zeit noch übrige Kräfte, um innezuhalten und andere
gut zu behandeln, um „Darf
ich?“, „Entschuldige!“, „Danke!“ zu sagen. Hin und wieder aber
erscheint wie ein Wunder
ein freundlicher Mensch, der seine Ängste und Bedürfnisse
beiseitelässt, um
aufmerksam zu sein, ein Lächeln zu schenken, ein Wort der Ermutigung zu
sagen, einen Raum des
Zuhörens inmitten von so viel Gleichgültigkeit zu ermöglichen. Dieses
täglich gelebte Bemühen
kann jenes gesunde Zusammenleben schaffen, das Missverständnisse
überwindet und Konflikte
verhindert. Freundlichkeit zu üben ist kein kleines Detail oder eine
67
oberflächliche spießige
Haltung. Da sie Wertschätzung und Respekt voraussetzt, verändert sie –
wenn sie zur Kultur wird –
in einer Gesellschaft tiefgreifend den Lebensstil, die sozialen
Beziehungen und die Art und
Weise, wie Ideen diskutiert und miteinander verglichen werden.
Freundlichkeit erleichtert
die Suche nach Konsens und öffnet Wege, wo die Verbitterung alle
Brücken zerstören würde.
SIEBTES
KAPITEL
WEGE ZU EINER NEUEN
BEGEGNUNG
225. In vielen Erdteilen
sind Friedenswege erforderlich, die zur Heilung führen; es sind
Friedensstifter vonnöten,
die bereit sind, einfallsreich und mutig Prozesse zur Heilung und zu
neuer Begegnung
einzuleiten.
Von der Wahrheit her neu
beginnen
226. Einander neu zu
begegnen bedeutet nicht die Rückkehr in eine Zeit vor den Konflikten. Im
Laufe der Zeit haben wir
uns alle verändert. Der Schmerz und die Auseinandersetzungen haben
uns verändert. Außerdem
gibt es für leere Diplomatie, für Verstellung, für Doppelzüngigkeit, für
Verheimlichung, für gute Manieren,
die die Realität verschleiern, keinen Platz mehr. Wer sich
heftig gestritten hat, muss
in nackter Wahrheit klar miteinander reden. Sie alle müssen lernen,
eine bußfertige Gesinnung
anzunehmen, welche die Vergangenheit akzeptieren kann, um die
Zukunft von eigener
Unzufriedenheit, von Verwirrungen oder Projektionen frei zu halten. Allein die
historische
Tatsachenwahrheit kann Grundlage für das beharrliche, fortgesetzte Bemühen um
ein
gegenseitiges Verständnis
und um eine neue Sichtweise zum Wohle aller sein. Tatsächlich
benötigt der
Friedensprozess einen fortdauernden Einsatz. »Er ist eine geduldige Arbeit der
Suche nach Wahrheit und
Gerechtigkeit, die das Gedächtnis an die Opfer ehrt und schrittweise
eine gemeinsame Hoffnung
eröffnet, die stärker ist als die Rache«.[209] So sagten die
Bischöfe
des Kongo im Hinblick auf
einen wiederkehrenden Konflikt: »Friedensabkommen auf dem Papier
werden nie ausreichen. Es
wird notwendig sein, weiterzugehen und die Forderung nach der
Wahrheit über die Ursprünge
dieser wiederkehrenden Krise einzubinden. Das Volk hat das Recht
zu erfahren, was passiert
ist«.[210]
227. Denn »die Wahrheit ist
die untrennbare Gefährtin der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Die
drei vereint sind
wesentlich, um den Frieden aufzubauen, und andererseits verhindert jede
Einzelne von ihnen, dass
die anderen verfälscht werden […] Die Wahrheit darf nämlich nicht zu
Rache führen, sondern
vielmehr zu Versöhnung und Vergebung. Wahrheit heißt, den vom
68
Schmerz zerstörten Familien
zu berichten, was mit ihren vermissten Angehörigen geschehen ist.
Wahrheit heißt, das zu
bekennen, was den von den Gewalttätern angeworbenen Minderjährigen
passiert ist. Wahrheit
heißt, den Schmerz der Frauen anzuerkennen, die Opfer von Gewalt und
Missbrauch geworden sind.
[…] weil jede gegen einen Menschen begangene Gewaltakt eine
Wunde am Fleisch der
Menschheit ist; jeder gewaltsame Tod mindert unser Person-Sein. […]
Gewalt bringt mehr Gewalt
hervor, Hass erzeugt mehr Hass und Tod führt zu weiterem Tod. Wir
müssen diesen scheinbar
unvermeidlichen Kreislauf durchbrechen«.[211]
Die Architektur und das
Handwerk des Friedens
228. Der Weg zum Frieden
bedeutet nicht, die Gesellschaft homogen zu machen, sondern
zusammenzuarbeiten. Er kann
viele in einer gemeinsamen Suche vereinen, von der alle
profitieren. Zur Erreichung
eines bestimmten gemeinsamen Ziels kann man verschiedene
technische Vorschläge sowie
unterschiedliche Erfahrungen beisteuern und so für das Gemeinwohl
arbeiten. Man muss
versuchen, die Probleme einer Gesellschaft klar zu erkennen, um zu
akzeptieren, dass es
unterschiedliche Weisen gibt, Schwierigkeiten zu sehen und zu lösen. Der
Weg zu einem besseren
Zusammenleben schließt immer das Zugeständnis ein, dass der andere
eine – zumindest teilweise
– berechtigte Perspektive einbringen könnte, etwas, das neu bewertet
werden kann, selbst wenn er
einen Fehler gemacht oder falsch gehandelt hat. Denn »der andere
darf niemals auf das
reduziert werden, was er sagen oder machen konnte, sondern muss im
Hinblick auf die
Verheißung, die er in sich trägt, geachtet werden«[212] –Verheißung, die
immer
einen Hoffnungsschimmer
zurücklässt.
229. Wie die Bischöfe Südafrikas
lehrten, wird wahre Versöhnung proaktiv erreicht, nämlich
dadurch, »dass man eine
neue Gesellschaft formt, die auf dem Dienst am Nächsten gründet,
anstatt auf dem Wunsch zu
dominieren; eine Gesellschaft, die darauf beruht, dass man mit dem
anderen teilt, was man
besitzt, anstatt dass jeder egoistisch um den größtmöglichen Reichtum
kämpft; eine Gesellschaft,
in der der Wert des Zusammenseins als Menschen letztlich wichtiger ist
als jede kleinere Gruppe,
sei es Familie, Nation, Volk oder Kultur«.[213]Die südkoreanischen
Bischöfe haben darauf
hingewiesen, dass wahrer Frieden »nur erreicht werden kann, wenn wir
durch den Dialog für
Gerechtigkeit kämpfen, und so nach Versöhnung und gegenseitiger
Entwicklung streben«.[214]
230. Das Bemühen um die
Überwindung trennender Hindernisse ohne Aufgabe der eigenen
Identität setzt voraus,
dass in allen ein grundlegendes Zugehörigkeitsgefühl lebendig ist. Denn
»unsere Gesellschaft
gewinnt, wenn jede Person, jede soziale Gruppe sich wirklich zu Hause
fühlt. Bei einer Familie
gehören die Eltern, die Großeltern, die Kinder dazu; keiner ist
ausgeschlossen. Wenn einer
eine Schwierigkeit hat, sogar eine gravierende, kommen die anderen
ihm zu Hilfe und
unterstützen ihn, selbst dann, wenn er sie sich selbst „eingebrockt“ hat. Sein
Leid
ist das Leid aller. […] In
den Familien tragen alle zum gemeinsamen Vorhaben bei, alle arbeiten
für das gemeinsame Wohl,
aber ohne den Einzelnen „auszuhebeln“. Im Gegenteil, sie stützen und
69
fördern ihn. Sie streiten
sich, doch es gibt etwas, das unverrückbar bleibt: die familiäre
Verbindung. Die familiären
Streitigkeiten werden zu Versöhnungen. Die Freuden und die Leiden
eines jeden machen sich
alle zu Eigen. Das ist Familie! Wenn es uns gelingen könnte, den
politischen Gegner oder den
Hausnachbarn mit den gleichen Augen zu sehen, wie wir unsere
Kinder, die Ehefrau oder
den Ehemann, den Vater oder die Mutter sehen, wie gut wäre das doch!
Lieben wir unsere
Gesellschaft, oder bleibt sie etwas Fremdes, etwas Anonymes, das uns nicht
einbezieht, uns nichts
angeht, uns nicht verpflichtet?«[215]
231. Oft sind Verhandlungen
dringend notwendig, um konkrete Wege für den Frieden zu
entwickeln. Die
eigentlichen Prozesse für einen dauerhaften Frieden sind aber in erster Linie
Veränderungen, die von den
Volksgruppen handwerklich gestaltet werden und bei denen jeder
Mensch mit seinem
alltäglichen Lebensstil ein wirksamer Sauerteig sein kann. Große
Veränderungen werden nicht
am Schreibtisch oder in Büros fabriziert. So besitzt »in dem einen
kreativen Plan ein jeder
eine wesentliche Rolle, um eine neue Seite der Geschichte zu schreiben,
eine Seite voller Hoffnung,
voller Frieden und voller Versöhnung«.[216] Es gibt eine „Architektur“
des Friedens, zu der die
verschiedenen Institutionen der Gesellschaft je nach eigener Kompetenz
beitragen; doch es gibt
auch ein „Handwerk“ des Friedens, das uns alle einbezieht. Aus den
unterschiedlichen Friedensprozessen
in diversen Erdteilen »haben [wir] gelernt, dass diese Wege
der Versöhnung, des
Vorrangs der Vernunft über die Vergeltung, der zerbrechlichen Harmonie
zwischen Politik und Recht
nicht die Vorgänge im Volk umgehen können. Es genügt nicht,
gesetzliche Rahmen und
institutionelle Vereinbarungen zwischen politischen und wirtschaftlichen
Gruppen guten Willens zu
planen. […] Zudem ist es immer wertvoll, in unsere Friedensprozesse
die Erfahrungen von
Bereichen einzubeziehen, die vielfach aus dem Blickfeld geraten sind, damit
eben die Gemeinschaften die
Abläufe des kollektiven Gedächtnisses färben mögen«.[217]
232. Es gibt keinen
Schlusspunkt beim Aufbau des gesellschaftlichen Friedens eines Landes; es
handelt sich vielmehr um
»eine Aufgabe, die keine Ruhepause zulässt und den Einsatz aller
erfordert. Diese Arbeit
verlangt von uns, in der Anstrengung nicht nachzulassen, die Einheit der
Nation aufzubauen. Sie
trägt uns auf, trotz der Hindernisse, der Unterschiede und der
verschiedenen Ansätze bezüglich
der Art und Weise, ein friedliches Zusammenleben zu erlangen,
weiter darum zu ringen,
dass eine Kultur der Begegnung gefördert wird. Diese verlangt, dass der
Mensch, seine höchste Würde
und die Achtung des Gemeinwohls ins Zentrum allen politischen,
sozialen und
wirtschaftlichen Handelns gestellt werden. Möge diese Anstrengung uns von der
Versuchung fernhalten, nach
Vergeltung und bloß kurzfristigen Sonderinteressen zu
streben«.[218]Gewaltsame
öffentliche Demonstrationen von der einen oder anderen Front tragen
nicht dazu bei, Lösungen zu
finden; vor allem weil – wie die Bischöfe Kolumbiens betont haben –
»beim Aufruf zur
Mobilisierung der Bürger ihre Ursprünge und Ziele nicht immer klar zutage
treten,
es bestimmte Formen
politischer Manipulation gibt und Vereinnahmungen für Sonderinteressen
stattfinden«.[219]
Vor allem mit den Geringsten
70
233. Die Förderung der
sozialen Freundschaft beinhaltet nicht nur die Annäherung zwischen
gesellschaftlichen
Gruppierungen, die sich seit einer konfliktreichen Geschichte fernstehen,
sondern auch das Bemühen um
eine erneute Begegnung mit den ärmsten und verletzlichsten
Gesellschaftssektoren.
Friede ist »nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern der unermüdliche
Einsatz – vor allem von
Menschen, die Ämter von höherer Verantwortung bekleiden –, die oft
vergessene und unbeachtete
Würde unserer Brüder und Schwestern anzuerkennen, zu
gewährleisten und konkret
wiederherzustellen, damit sie sich als Hauptakteure des Schicksals
ihrer Nation empfinden
können«.[220]
234. Die Geringsten der
Gesellschaft wurden oft durch ungerechte Verallgemeinerungen verletzt.
Manchmal reagieren die
Ärmsten und Ausgestoßenen mit antisozial erscheinenden Haltungen.
Wir müssen begreifen, dass
diese Reaktionen häufig mit einer Geschichte von Verachtung und
fehlender sozialer
Eingliederung zusammenhängen. So lehrten die Bischöfe Lateinamerikas: »Nur
wenn wir den Armen so nahe
kommen, dass Freundschaft entstehen kann, werden wir wahrhaft
schätzen lernen, was den
Armen von heute wichtig ist, wonach sie sich legitim sehnen und wie sie
selbst ihren Glauben leben.
Die Option für die Armen soll uns dahin bringen, Freundinnen und
Freunde der Armen zu
werden«.[221]
235. Wer Frieden in eine
Gesellschaft bringen will, darf nicht vergessen, dass Ungleichheit und
eine fehlende ganzheitliche
Entwicklung des Menschen eine Friedensbildung unmöglich machen.
Denn »ohne
Chancengleichheit finden die verschiedenen Formen von Aggression und Krieg
einen
fruchtbaren Boden, der
früher oder später die Explosion verursacht. Wenn die lokale, nationale
oder weltweite Gesellschaft
einen Teil ihrer selbst in den Randgebieten seinem Schicksal
überlässt, wird es keine
politischen Programme, noch Ordnungskräfte oder Intelligence geben, die
unbeschränkt die Ruhe
gewährleisten können«.[222]Wenn es um einen Neuanfang geht, müssen
wir immer bei den
Geringsten unserer Brüder und Schwestern beginnen.
Wert und Bedeutung von
Vergebung
236. Einige ziehen es vor,
nicht von Versöhnung zu sprechen, weil sie meinen, dass Konflikte,
Gewalt und Gräben zum
normalen Funktionieren einer Gesellschaft gehören. Tatsächlich gibt es
in jeder Gruppe von
Menschen mehr oder weniger subtile Machtkämpfe zwischen verschiedenen
Parteien. Andere
argumentieren, Vergebung zu üben bedeute, den eigenen Raum aufzugeben,
sodass andere die Lage
beherrschen. Aus diesem Grund sind sie der Ansicht, es sei besser, ein
Machtspiel
aufrechtzuerhalten, das ein Kräftegleichgewicht zwischen verschiedenen
Gruppierungen ermöglicht.
Wieder andere meinen, Versöhnung sei etwas für Schwache, die nicht
zu einem ernsthaften Dialog
imstande sind, und sich deshalb dafür entscheiden, den Problemen
durch ein Verbergen der
Ungerechtigkeiten zu entkommen. In der Unfähigkeit, sich den
Problemen zu stellen,
wählen sie einen Scheinfrieden.
Der unvermeidliche Konflikt
71
237. Vergebung und
Versöhnung sind für das Christentum äußerst wichtige Themen; in
unterschiedlicher Form auch
in anderen Religionen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass
Glaubensüberzeugungen nicht
entsprechend verstanden und so dargestellt werden, dass sie am
Ende Fatalismus,
Handlungslosigkeit oder Ungerechtigkeit nähren oder - als entgegengesetztes
Extrem - Intoleranz und
Gewalt.
238. Christus hat nie dazu
aufgerufen, Gewalt oder Intoleranz zu schüren. Er selbst verurteilte
offen die Anwendung von
Gewalt, um sich durchzusetzen: »Ihr wisst, dass die Herrscher ihre
Völker unterdrücken und die
Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht
so sein« (Mt 20,25-26).
Andererseits fordert das Evangelium, »siebzigmal siebenmal« (Mt 18,22)
zu vergeben, und führt das
Beispiel des unbarmherzigen Knechtes an, dem vergeben wurde, der
aber seinerseits nicht
fähig war, anderen zu vergeben (vgl. Mt 18,23-35).
239. Bei der Lektüre
weiterer Texte des Neuen Testaments können wir feststellen, dass
tatsächlich die ersten
Gemeinden, inmitten einer heidnischen Welt mit weit verbreiteter Korruption
und vielen Verirrungen, ein
Gespür für Geduld, Toleranz und Verständnis besaßen. Einige Stellen
sind in dieser Hinsicht
sehr klar: Es wird dazu eingeladen, die Gegner »mit Güte« (2 Tim 2,25)
zurechtzuweisen. Oder man
ermahnt dazu, »niemanden zu schmähen, friedfertig zu sein, gütig
und alle Freundlichkeit
allen Menschen gegenüber zu zeigen! Denn auch wir waren früher
unverständig« (Tit 3,2-3).
In der Apostelgeschichte heißt es, dass die von einigen Vorstehern
verfolgten Jünger »Gunst
beim ganzen Volk« fanden (2,47; vgl. 4,21.33; 5,13).
240. Wenn wir jedoch über
Vergebung, Frieden und soziale Eintracht nachdenken, stoßen wir auf
einen überraschenden Ausdruck
Christi: »Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde
zu bringen! Ich bin nicht
gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin
gekommen, um den Sohn mit
seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die
Schwiegertochter mit ihrer
Schwiegermutter und die Hausgenossen eines Menschen werden
seine Feinde sein« (Mt
10,34-36). Das muss im Kontext des Kapitels gelesen werden. Dort wird
deutlich, dass vom Thema
der Treue zur eigenen Entscheidung die Rede ist, ohne sich dafür zu
schämen, selbst gegen
Widerstände und sogar, wenn sich die Angehörigen gegen diese
Entscheidung stellen. Es
ist daher keine Einladung, den Konflikt zu suchen, sondern einfach den
unvermeidlichen Konflikt zu
ertragen. Die Achtung vor anderen Menschen darf nicht dazu führen,
um des vermeintlichen
Friedens in Familie und Gesellschaft willen sich selbst untreu zu werden.
Der heilige Johannes Paul
II. hat gesagt, dass die Kirche »keineswegs die Absicht [hat], jegliche
Form sozialer Konflikte zu
verurteilen. Die Kirche weiß nur zu gut, dass in der Geschichte
unvermeidlich
Interessenskonflikte zwischen verschiedenen sozialen Gruppen auftreten und dass
der Christ dazu oft
entschieden und konsequent Stellung beziehen muss«.[223]
Berechtigte Kämpfe und Vergebung
241. Es geht nicht darum,
auf unsere eigenen Rechte zu verzichten und Vergebung für einen
72
korrupten Machtinhaber,
einen Kriminellen oder jemanden, der unsere Würde herabsetzt,
vorzuschlagen. Wir sind
gerufen, ausnahmslos alle zu lieben, aber einen Unterdrücker zu lieben
bedeutet nicht, zuzulassen,
dass er es weiter bleibt; es bedeutet auch nicht, ihn im Glauben zu
belassen, dass sein Handeln
hinnehmbar sei. Ihn in rechter Weise zu lieben bedeutet hingegen,
auf verschiedene Weise zu
versuchen, dass er davon ablässt zu unterdrücken; ihm jene Macht zu
nehmen, die er nicht zu
nutzen weiß und die ihn als Mensch entstellt. Vergeben heißt nicht,
zuzulassen, dass die eigene
Würde und die Würde anderer weiterhin mit Füßen getreten wird
oder dass ein Krimineller
weiterhin Schaden anrichten kann. Wer Unrecht erleidet, muss seine
Rechte und die seiner
Familie nachdrücklich verteidigen, eben weil er die ihm gegebene Würde
schützen muss, eine Würde,
die Gott liebt. Wenn ein Verbrecher mir oder einem geliebten
Menschen Schaden zugefügt
hat, kann mir niemand verbieten, Gerechtigkeit zu fordern und dafür
Sorge zu tragen, dass diese
Person – oder irgendjemand anders – mir oder anderen nicht wieder
Schaden zufügt. Das ist
mein Recht, und Vergebung negiert diese Notwendigkeit keineswegs,
sondern verlangt sie sogar.
242. Der springende Punkt
ist, dies nicht zu tun, um eine Wut zu schüren, welche die eigene
Seele und die Seele unseres
Volkes krankmacht, oder wegen eines ungesunden Wunsches nach
Vernichtung des Nächsten,
der eine Reihe von Rachefeldzügen auslöst. Niemand erreicht auf
diese Weise inneren Frieden
oder versöhnt sich mit dem Leben. Die Wahrheit ist: »Keine Familie,
keine Gruppe von Nachbarn,
keine Ethnie und noch weniger ein Land haben Zukunft, wenn der
Motor, der sie vereint, sie
zusammenbringt und die Unterschiede zudeckt, die Vergeltung und der
Hass sind. Wir dürfen uns
nicht abstimmen und uns zusammentun, um Rache zu üben, um dem,
der uns Gewalt angetan hat,
das Gleiche zu tun und scheinbar legale Gelegenheiten der
Vergeltung zu planen«.[224] Auf
diese Weise wird nichts gewonnen und auf lange Sicht alles
verloren.
243. Es stimmt, »es ist
keine leichte Aufgabe, das vom Konflikt hinterlassene bittere Erbe von
Ungerechtigkeit,
Feindseligkeit und Misstrauen zu überwinden. Dies kann nur geschehen, indem
man das Böse durch das Gute
besiegt (vgl. Röm 12,21) und jene Tugenden pflegt, welche die
Versöhnung, die Solidarität
und den Frieden fördern«.[225] Wer auf diese Weise »die Güte in sich
wachsen lässt, dem schenkt
sie ein ruhiges Gewissen und eine tiefe Freude, auch inmitten von
Schwierigkeiten und
Unverständnis. Sogar angesichts erlittener Beleidigungen ist die Güte keine
Schwäche, sondern eine
wirkliche Kraft, die fähig ist, auf Vergeltung zu verzichten«.[226] Wir
müssen im eigenen Leben
erkennen, dass »das harte Urteil über meinen Bruder oder meine
Schwester in meinem Herzen,
die nicht verheilte Wunde, das nicht verziehene Böse, der Groll, der
mir nur wehtun wird, ein
Stück Krieg ist, das ich in mir trage, ein Feuer in meinem Herzen, das
gelöscht werden muss, damit
es nicht zu einem Brand wird«.[227]
Die wahre Bewältigung
244. Wenn Konflikte nicht
gelöst, sondern in der Vergangenheit verborgen oder begraben werden,
73
kann Schweigen manchmal
bedeuten, sich an schweren Fehlern und Sünden mitschuldig zu
machen. Wahre Versöhnung
aber geht dem Konflikt nicht aus dem Weg, sondern wird im Konflikt
erreicht, wenn man ihn
durch Dialog und transparente, aufrichtige und geduldige Verhandlungen
löst. Der Kampf zwischen
verschiedenen Gruppen kann, »wenn Feindseligkeiten und
gegenseitiger Hass
ferngehalten werden, allmählich zu einer ehrlichen Diskussion, die auf der
Suche nach Gerechtigkeit
beruht, werden«.[228]
245. Ich habe wiederholt
ein Prinzip vorgeschlagen, »das zum Aufbau einer sozialen Freundschaft
unabdingbar ist, und dieses
lautet: Die Einheit steht über dem Konflikt. […] Es geht nicht darum,
für einen Synkretismus
einzutreten, und auch nicht darum, den einen im anderen zu absorbieren,
sondern es geht um eine
Lösung auf einer höheren Ebene, welche die wertvollen innewohnenden
Möglichkeiten und die
Polaritäten im Streit beibehält«.[229] Wir sind uns wohl bewusst, »dass sich
immer dann, wenn wir als
Einzelner oder Gemeinschaft lernen, etwas Größeres als uns selbst und
unsere persönlichen
Interessen anzuzielen, sich gegenseitiges Verständnis und Engagement [in
ein Umfeld] verwandeln […]
wo Konflikte und Spannungen – auch jene, die man einst für
unversöhnlich gehalten
hätte – zu einer vielgestaltigen Einheit führen können, die neues Leben
hervorbringt«.[230]
Erinnerung
246. Von dem, der auf
ungerechte und grausame Weise viel gelitten hat, kann man nicht eine Art
„gesellschaftliche
Vergebung“ verlangen. Versöhnung ist eine persönliche Angelegenheit:
niemand kann sie einer ganzen
Gesellschaft aufzwingen, selbst wenn sie gefördert werden muss.
Im rein persönlichen
Bereich kann jemand aus freier und großzügiger Entscheidung heraus darauf
verzichten, eine Strafe zu
fordern (vgl. Mt 5,44-46), selbst wenn die Gesellschaft und ihre
Rechtsprechung dies
berechtigterweise verlangen. Es ist jedoch nicht möglich, eine „allgemeine
Versöhnung“ zu verordnen
und zu glauben, Wunden per Dekret zu schließen oder
Ungerechtigkeiten mit einem
Mantel des Vergessens überdecken zu können. Wer kann das Recht
beanspruchen, im Namen
anderer zu vergeben? Es ist ergreifend, die Fähigkeit zur Vergebung
einiger Menschen zu sehen,
die imstande waren, über den erlittenen Schaden hinwegzugehen; es
ist aber auch menschlich,
die zu verstehen, die das nicht können. Was jedenfalls niemals
vorgeschlagen werden darf,
ist das Vergessen.
247. Die Shoah darf nicht
vergessen werden. Sie ist »ein Symbol dafür […] wie weit die
Ruchlosigkeit des Menschen
gehen kann, wenn er, durch falsche Ideologien angestiftet, die
grundlegende Würde eines
jeden Menschen vergisst, der eine absolute Achtung gebührt, gleich
welchem Volk der Mensch
angehört und welche Religion er bekennt«.[231] Wenn ich an sie
erinnere, komme ich nicht
umhin, dieses Gebet zu wiederholen: »Denk an uns in deiner
Barmherzigkeit. Gib uns die
Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun wir als Menschen fähig
gewesen sind, uns zu
schämen für diesen äußersten Götzendienst, unser Fleisch, das du aus
Lehm geformt und das du mit
deinem Lebensatem belebt hast, verachtet und zerstört zu haben.
74
Niemals mehr, o Herr,
niemals mehr!«[232]
248. Die Atombombenangriffe
von Hiroshima und Nagasaki dürfen nicht vergessen werden. Noch
einmal »gedenke [ich] hier
aller Opfer und verneige mich vor der Stärke und der Würde derer, die
über viele Jahre hinweg als
Überlebende jener ersten Augenblicke die heftigsten körperlichen
Schmerzen und in ihrem
Geist die Keime des Todes ertragen haben, die an ihrer Lebenskraft
weiter gezehrt haben. [...]
[Wir] dürfen […] nicht zulassen, dass die gegenwärtigen und künftigen
Generationen die Erinnerung
an das Geschehene verlieren; jene Erinnerung, die Garantie und
Ansporn ist, um eine
gerechtere und brüderlichere Welt zu erbauen«.[233] Wir dürfen auch nicht
die Verfolgungen, den
Sklavenhandel und die ethnischen Säuberungen vergessen, die in
verschiedenen Ländern
stattfanden und noch stattfinden, und so viele andere historische
Ereignisse, für die wir uns
schämen, Menschen zu sein. Man muss sich immer an sie erinnern,
immer und immer wieder,
ohne zu ermüden oder gefühllos zu werden.
249. Heute ist die
Versuchung groß, das Blatt wenden zu wollen, indem man sagt, dass schon so
viel Zeit verstrichen ist
und wir vorwärtsblicken müssen. Um Gottes willen, nein! Ohne Erinnerung
geht es nicht voran, man
entwickelt sich nicht weiter ohne eine umfassende und hellsichtige
Erinnerung. Wir müssen »das
kollektive Bewusstsein lebendig erhalten« und »den nachfolgenden
Generationen das
schreckliche Geschehen« bezeugen. So wird das Gedächtnis an die Opfer
wachgerufen und bewahrt,
»damit das menschliche Gewissen immer stärker werde gegenüber
jedem Willen zur
Vorherrschaft und zur Zerstörung«.[234] Das haben die Opfer selbst nötig –
Menschen, gesellschaftliche
Gruppen oder Nationen –, um nicht einer Logik nachzugeben, die
dazu führt, die
Repressalien oder jede Art von Gewalt im Namen des erlittenen Leids zu
rechtfertigen. Deshalb
beziehe ich mich nicht nur auf die Erinnerung an die Schrecken, sondern
auch auf die Erinnerung an
diejenigen, die inmitten eines vergifteten und korrupten Umfeldes die
Würde zurückgewinnen
konnten und sich mit kleinen oder großen Gesten für Solidarität,
Vergebung und Geschwisterlichkeit
entschieden haben. Es tut sehr gut, sich an das Gute zu
erinnern.
Vergebung ohne Vergessen
250. Vergebung beinhaltet
nicht das Vergessen. Allerdings besteht vor Fakten, die in keiner Weise
geleugnet, relativiert oder
verheimlicht werden können, immer noch die Möglichkeit der
Vergebung. Auch wenn es
Dinge gibt, die niemals toleriert, gerechtfertigt oder entschuldigt werden
sollten, können wir dennoch
verzeihen. Auch wenn es etwas gibt, das wir auf gar keinen Fall
vergessen dürfen, dann können
wir dennoch verzeihen. Freie und aufrichtige Vergebung besitzt
eine Größe, die die
Unermesslichkeit der göttlichen Vergebung widerspiegelt. Wenn Vergebung
bedingungslos ist, dann
kann auch demjenigen vergeben werden, der sich gegen Reue sträubt
und nicht in der Lage ist,
um Vergebung zu bitten.
251. Diejenigen, die
vergeben, vergessen nämlich nicht. Aber sie weigern sich, von der gleichen
75
zerstörerischen Kraft
besessen zu werden, die ihnen Leid zugefügt hat. Sie durchbrechen den
Teufelskreis und stoppen
das Vordringen der zerstörerischen Kräfte. Sie beschließen, die
Gesellschaft nicht
weiterhin mit der Rachsucht anzustecken, die früher oder später wieder auf sie
selbst zurückfällt. Denn
Rache löst nie wirklich das Ungemach der Opfer. Es gibt Verbrechen, die
so entsetzlich und grausam
sind, dass den Täter leiden zu lassen nichts bringt, um verspüren zu
können, dass der Schaden
wiedergutgemacht wurde; es würde nicht einmal ausreichen, den
Verbrecher zu töten, noch
könnte man Foltermethoden finden, die mit den möglichen Leiden der
Opfer vergleichbar wären.
Rache ist keine Lösung.
252. Wir sprechen auch
nicht von Straflosigkeit. Aber Gerechtigkeit wird nur aus Liebe zur
Gerechtigkeit selbst, aus
Respekt vor den Opfern, zur Verhinderung weiterer Verbrechen und zur
Wahrung des Gemeinwohls
wahrhaft gesucht, nicht als vermeintliche Entladung des eigenen
Zornes. Vergebung ist genau
das, was es ermöglicht, Gerechtigkeit zu suchen, ohne in den
Teufelskreis der Rache zu
geraten oder der Ungerechtigkeit des Vergessens zu verfallen.
253. Wo es beiderseitige
Ungerechtigkeiten gab, sollte klar erkannt werden, dass sie
möglicherweise nicht von
gleicher Schwere waren oder nicht vergleichbar sind. Gewalt durch
staatliche Machtstrukturen
befindet sich nicht auf der gleichen Ebene wie Gewalt durch bestimmte
Gruppierungen. Jedenfalls
kann nicht verlangt werden, dass nur an die ungerechten Leiden einer
der beiden Seiten erinnert
wird. Wie die Bischöfe Kroatiens lehrten, »schulden wir jedem
unschuldigen Opfer den
gleichen Respekt. Hier darf es keine ethnischen, konfessionellen,
nationalen oder politischen
Unterschiede geben«.[235]
254. Ich bitte Gott,
»unsere Herzen auf die Begegnung mit den Mitmenschen jenseits der
Unterschiede von Ansichten,
Sprache, Kultur und Religion vorzubereiten; unser ganzes Sein mit
dem Öl seiner
Barmherzigkeit zu salben, das die Wunden der Fehler, der Verständnislosigkeiten
und der Streitigkeiten
heilt; und wir bitten ihn um die Gnade, uns demütig und gütig auszusenden
auf die anspruchsvollen,
aber fruchtbaren Pfade der Suche nach dem Frieden«.[236]
Krieg und Todesstrafe
255. Es gibt zwei
Extremsituationen, die sich unter besonders dramatischen Umständen als
Lösungen präsentieren
können. Man übersieht, dass es sich um falsche Antworten handelt, die
nicht die Probleme lösen,
die sie zu überwinden glauben, und dass sie letztendlich nur neue
Zerstörungsfaktoren in das
Gefüge der nationalen und weltweiten Gemeinschaft einbringen. Das
sind der Krieg und die
Todesstrafe.
Die Ungerechtigkeit des Krieges
256. »Trug ist im Herzen
derer, die Böses planen, aber bei denen, die zum Frieden raten, ist
Freude« (Spr 12,20).
Dennoch gibt es diejenigen, die den Krieg als Lösungen sehen, der sich oft
76
»aus einer Verkehrung der
Beziehungen, aus hegemonialen Ambitionen, aus Machtmissbrauch,
aus der Angst vor dem
anderen und vor der Verschiedenartigkeit, die für ein Hindernis gehalten
wird«,[237] speist.
Krieg ist kein Gespenst der Vergangenheit, sondern ist zu einer ständigen
Bedrohung geworden. Die
Welt tut sich immer schwerer auf dem langsamen Weg zum Frieden,
den sie eingeschlagen hatte
und der allmählich Früchte zu tragen begann.
257. Da die Voraussetzungen
für die Verbreitung von Kriegen wieder wachsen, erinnere ich
daran, dass »der Krieg […]
die Negierung aller Rechte und ein dramatischer Angriff auf die
Umwelt [ist]. Wenn man eine
wirkliche ganzheitliche menschliche Entwicklung für alle anstrebt,
muss man weiter unermüdlich
der Aufgabe nachgehen, den Krieg zwischen den Nationen und den
Völkern zu vermeiden. Zu
diesem Zweck muss die unangefochtene Herrschaft des Rechtes
sichergestellt werden sowie
der unermüdliche Rückgriff auf die Verhandlung, die guten Dienste
und auf das
Schiedsverfahren, wie es in der Charta der Vereinten Nationen, einer wirklich
grundlegenden Rechtsnorm,
vorgeschlagen wird«.[238] Ich möchte unterstreichen, dass die 75
Jahre der Vereinten
Nationen und die Erfahrung der ersten 20 Jahre dieses Jahrtausends zeigen,
dass die vollständige
Anwendung internationaler Regeln wirklich effektiv und ihre Nichteinhaltung
schädlich ist. Die Charta
der Vereinten Nationen ist, wenn sie respektiert und mit Transparenz und
Ehrlichkeit angewandt wird,
ein verpflichtender Maßstab für Gerechtigkeit und ein Werkzeug für
den Frieden. Aber das
verlangt, dass wir unrechtmäßige Absichten nicht verschleiern oder die
Partikularinteressen eines
Landes oder einer Gruppierung über das globale Gemeinwohl stellen.
Wenn die Norm als ein
Instrument betrachtet wird, das eingesetzt wird, wenn es von Vorteil ist,
und vermieden, wenn es
nicht so ist, dann werden unkontrollierbare Kräfte freigesetzt, die den
Gesellschaften, den
Schwächsten, der Geschwisterlichkeit, der Umwelt und den Kulturgütern
großen Schaden zufügen, mit
unwiederbringlichen Verlusten für die Weltgemeinschaft.
258. So entscheidet man sich
dann leicht zum Krieg unter allen möglichen angeblich humanitären,
defensiven oder präventiven
Vorwänden, einschließlich der Manipulation von Informationen. In der
Tat gaben in den letzten
Jahrzehnten alle Kriege vor, „gerechtfertigt“ zu sein. Der Katechismus der
Katholischen Kirche spricht von der Möglichkeit einer legitimen
Verteidigung mit militärischer
Gewalt, was den Nachweis
voraussetzt, dass einige »strenge Bedingungen« gegeben sind, unter
denen diese Entscheidung
»sittlich vertretbar«[239] ist. Aber es ist leicht, in eine allzu weite
Auslegung dieses möglichen
Rechts zu verfallen. Dann will man selbst „präventive“ Angriffe oder
kriegerische Handlungen
unzulässigerweise rechtfertigen, bei denen sich kaum »Schäden und
Wirren«, »die schlimmer sind
als das zu beseitigende Übel«,[240] vermeiden lassen. Der
springende Punkt ist, dass
durch die Entwicklung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen
und den enormen wachsenden
Möglichkeiten der neuen Technologien, der Krieg eine außer
Kontrolle geratene
Zerstörungskraft erreicht hat, die viele unschuldige Zivilisten trifft. Es
stimmt:
»Nie hatte die Menschheit
so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie
diese gut gebrauchen wird«.[241] Deshalb
können wir den Krieg nicht mehr als Lösung
betrachten, denn die
Risiken werden wahrscheinlich immer den hypothetischen Nutzen, der ihm
zugeschrieben wurde,
überwiegen. Angesichts dieser Tatsache ist es heute sehr schwierig, sich
77
auf die in vergangenen
Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem
eventuell „gerechten Krieg“
zu sprechen. Nie wieder Krieg![242]
259. Es ist wichtig
hinzuzufügen, dass mit der Entwicklung der Globalisierung das, was als
sofortige oder praktische
Lösung für ein Gebiet der Erde erscheinen mag, eine Kettenreaktion von
oft versteckt verlaufenden
Gewaltfaktoren auslöst, die schließlich den gesamten Planeten betrifft
und den Weg für zukünftige
neue und schlimmere Kriege bereitet. In unserer Welt gibt es nicht
mehr nur „Stücke“ von Krieg
in dem einen oder anderen Land, sondern einen „Weltkrieg in
Stücken“, weil die
Schicksale der Nationen auf der Weltbühne zutiefst miteinander verflochten
sind.
260. So sagte der heilige
Johannes XXIII.: »Darum widerstrebt es […] der Vernunft, den Krieg
noch als das geeignete
Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten«.[243] Er
erklärte dies in einer Zeit
großer internationaler Spannungen und drückte damit den tiefen Wunsch
nach Frieden aus, der sich
zur Zeit des Kalten Krieges breitmachte. Er bekräftigte die
Überzeugung, dass die
Argumente für den Frieden stärker sind als jedes Kalkül privater
Interessen und als jedes
Vertrauen in den Einsatz von Waffen. Aber die Chancen, die das Ende
des Kalten Krieges bot,
wurden nicht ausreichend genutzt, weil es an einer Zukunftsvision und
einem allgemein geteilten
Bewusstsein für unser gemeinsames Schicksal fehlte. Stattdessen gab
man der Verfolgung privater
Interessen nach, ohne sich um das universale Gemeinwohl zu
kümmern. So hat sich das
trügerische Gespenst des Krieges erneut einen Weg gebahnt.
261. Jeder Krieg
hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat. Krieg ist ein
Versagen
der Politik und der
Menschheit, eine beschämende Kapitulation, eine Niederlage gegenüber den
Mächten des Bösen. Halten
wir uns nicht mit theoretischen Diskussionen auf, sondern treten wir in
Kontakt mit den Wunden,
berühren wir das Fleisch der Verletzten. Schauen wir auf die vielen
massakrierten Zivilisten
als „Kollateralschäden“. Fragen wir die Opfer. Achten wir auf die
Flüchtlinge, auf
diejenigen, die unter atomarer Strahlung oder chemischen Angriffen gelitten
haben, auf die Frauen, die
ihre Kinder verloren haben, auf die Kinder, die verstümmelt oder ihrer
Kindheit beraubt wurden.
Achten wir auf die Wahrheit dieser Gewaltopfer, betrachten wir die
Realität mit ihren Augen
und hören wir ihren Berichten mit offenem Herzen zu. Dann können wir
den Abgrund des Bösen im
Innersten des Krieges sehen, und es wird uns nicht stören, als naiv
betrachtet zu werden, weil
wir uns für den Frieden entschieden haben.
262. Auch Regeln werden
nicht ausreichen, wenn man meint, die Lösung der heutigen Probleme
bestünde darin, andere
durch Angst abzuschrecken, indem man mit dem Einsatz von nuklearen,
chemischen oder
biologischen Waffen droht. Denn »zieht man die Hauptbedrohungen für Frieden
und Sicherheit mit ihren
vielen Aspekten in dieser multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts in
Betracht – wie zum Beispiel
Terrorismus, asymmetrische Konflikte, Cyber-Sicherheit,
Umweltprobleme, Armut –,
dann kommen einem nicht wenige Zweifel aufgrund der
Unangemessenheit nuklearer
Abschreckung als wirksamer Antwort auf diese Herausforderungen.
78
Diese Sorgen werden noch
größer, wenn wir an die katastrophalen humanitären und ökologischen
Konsequenzen denken, die
der Einsatz von Atomwaffen haben würde, mit verheerenden, in Zeit
und Raum unkontrollierbaren
Folgen für alle. [...] Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie
nachhaltig eine auf Angst
gegründete Stabilität sein kann, insofern sie die Angst noch vergrößert
und vertrauensvolle
Beziehungen zwischen den Völkern untergräbt. Internationaler Frieden und
internationale Stabilität
dürfen nicht auf ein falsches Gefühl der Sicherheit gegründet sein, auf die
Androhung gegenseitiger
Zerstörung oder totaler Auslöschung oder indem man bloß ein
Kräftegleichgewicht
aufrechterhält. [...] In diesem Kontext wird das letzte Ziel der vollkommenen
Abschaffung von Atomwaffen
sowohl zu einer Herausforderung als auch zu einer moralischen und
humanitären Pflicht. […]
Zunehmende Interdependenz und wachsende Globalisierung bedeuten,
dass jedwede Antwort auf
die Bedrohung durch Atomwaffen kollektiv und abgestimmt erfolgen
sowie auf gegenseitiges
Vertrauen gegründet sein sollte. Dieses Vertrauen kann nur durch einen
Dialog aufgebaut werden,
der ehrlich auf das Gemeinwohl abzielt und nicht auf den Schutz von
verschleierten Interessen
oder Eigeninteressen«.[244] Und mit dem Geld, das für Waffen und
andere Militärausgaben
verwendet wird, richten wir einen Weltfonds ein,[245] um dem Hunger ein
für alle Mal ein Ende zu
setzen und die Entwicklung der ärmsten Länder zu fördern, damit ihre
Bewohner nicht zu
gewaltsamen oder trügerischen Lösungen greifen oder ihre Länder verlassen
müssen, um ein
menschenwürdigeres Leben zu suchen.
Die Todesstrafe
263. Es gibt einen weiteren
Weg, den anderen zu vernichten, bei dem es nicht um Länder,
sondern um Menschen geht.
Es ist die Todesstrafe. Der heilige Johannes Paul II. hat klar und
entschieden erklärt, dass
sie auf moralischer Ebene ungeeignet und schon auf strafrechtlicher
Ebene unnötig ist.[246] Es
ist unmöglich, an ein Zurückfallen hinter diese Position zu denken.
Heute sagen wir klar und
deutlich, dass »die Todesstrafe unzulässig ist«[247], und die Kirche setzt
sich mit Entschlossenheit
dafür ein, zur Abschaffung der Todesstrafe in der ganzen Welt
aufzurufen.[248]
264. Das Neue Testament
fordert zwar den Einzelnen auf, Vergeltung nicht selbst in die Hand zu
nehmen (vgl. Röm 12,17.19),
erkennt aber gleichzeitig die Notwendigkeit an, dass die Obrigkeit
diejenigen bestraft, die
Böses tun (vgl. Röm 13,4; 1 Petr 2,14). In der Tat braucht »das
gemeinsame Leben, das um
organisierte Gemeinschaften herum strukturiert ist, […] Regeln für
das Zusammenleben, deren
vorsätzliche Verletzung eine angemessene Antwort
verlangt«.[249] Dies
impliziert, dass die rechtmäßige öffentliche Gewalt »im Verhältnis zur
Schwere der Verbrechen
Strafen [auferlegen]«[250] kann und muss und dass sie der Justiz »die
erforderliche
Unabhängigkeit auf dem Gebiet des Rechts«[251] garantiert.
265. Seit den ersten
Jahrhunderten der Kirche haben sich manche klar gegen die Todesstrafe
ausgesprochen. Laktanz zum
Beispiel war der Meinung, dass »kein Unterschied gemacht werden
sollte: Es wird immer ein
Verbrechen sein, einen Menschen zu töten«.[252] Papst Nikolaus I.
79
ermahnte: »Strebt danach,
nicht nur jeden Unschuldigen, sondern auch alle Schuldigen von der
Todesstrafe zu befreien«.[253] Anlässlich
des Prozesses gegen Mörder, die zwei Priester getötet
hatten, bat der heilige
Augustinus den Richter, den Mördern nicht das Leben zu nehmen, und er
begründete dies so: »Damit
wollen wir nicht verhindern, dass Übeltätern die Möglichkeit zu
Verbrechen genommen wird.
Wir wollen, dass sie am Leben und an allen ihren Gliedern
unversehrt bleiben und es
vielmehr ausreicht, dass sie entweder durch den Druck der Gesetze
von ihrer ungesunden Unruhe
zu einem gesunden Leben hingeführt werden oder mit irgendeiner
nützlichen Aufgabe von
ihren bösen Taten befreit werden. Auch das nennt man Verurteilung. Wer
aber wird nicht verstehen,
dass es eher ein Nutzen denn eine Strafe ist, da die verwegene Wut
nicht frei gelassen wird,
noch die Medizin der Reue weggenommen wird? [ ...] Erzürne dich gegen
die Ungerechtigkeit, ohne
jedoch die Menschlichkeit zu vergessen. Stille nicht deine Rachsucht
gegen die Gräueltaten der
Sünder, sondern lenke deinen Willen darauf, die Wunden dieser
Sünder zu heilen«.[254]
266. Ängste und
Ressentiments führen leicht dazu, Strafen im rachsüchtigen, wenn nicht sogar
grausamen Sinn zu
interpretieren, statt als Teil eines Prozesses der Heilung und
Wiedereingliederung in die
Gesellschaft. Heute wird »sowohl durch einige Sektoren der Politik als
auch von Seiten einiger
Kommunikationsmittel manchmal zu Gewalt und Rache – in öffentlicher
oder in privater Form –
angestiftet […], nicht nur gegen jene, die für Verbrechen verantwortlich
sind, sondern auch gegen
jene, auf die der – begründete oder unbegründete – Verdacht fällt, das
Gesetz übertreten zu haben.
[...] [Es gibt] die Tendenz, absichtlich Feindbilder aufzubauen:
Klischeegestalten, die all
jene Merkmale in sich vereinen, die die Gesellschaft als bedrohlich
wahrnimmt oder interpretiert.
Dieselben Mechanismen, die zur Herausbildung dieser Bilder führen,
haben seinerzeit die
Verbreitung rassistischer Ideen gestattet«.[255]Dadurch wurde die in
einigen
Ländern zunehmende Praxis,
die Untersuchungshaft, die Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren und
speziell die Todesstrafe
anzuwenden, besonders gefährlich.
267. Wie ich betonen
möchte, ist es »unvorstellbar, dass die Staaten heute nicht über andere
Mittel verfügen als die
Todesstrafe, um das Leben anderer Menschen vor ungerechten Angreifern
zu schützen«. Besonders
schwerwiegend sind »die sogenannten außergerichtlichen oder
extralegalen
Hinrichtungen«. Es handelt sich dabei um »vorsätzliche Morde, die von einigen
Staaten und ihren
Vertretern begangen werden; oft gehen sie als Auseinandersetzungen mit
Verbrechern durch oder
werden als unerwünschte Folgen des vernünftigen, notwendigen und
angemessenen Gebrauchs von
Gewalt zur Durchsetzung des Gesetzes dargestellt«.[256]
268. »Es gibt zahlreiche
wohlbekannte Argumente gegen die Todesstrafe. Die Kirche hat es für
richtig befunden, einige
davon hervorzuheben, wie die Möglichkeit eines Justizirrtums und den
Gebrauch, den totalitäre
und diktatorische Regime von ihr machen, die sie als Mittel zur
Unterdrückung politischer
Opposition oder zur Verfolgung religiöser und kultureller Minderheiten
einsetzen; all ihre Opfer
sind ihrer jeweiligen Gesetzgebung zufolge „Verbrecher“. Alle Christen
und Menschen guten Willens
sind daher heute aufgerufen, nicht nur für die Abschaffung der
80
Todesstrafe – ganz gleich,
ob diese legal oder illegal ist – in allen ihren Formen, sondern auch für
die Verbesserung der
Lebensbedingungen in den Gefängnissen zu kämpfen, unter Achtung der
Menschenwürde der Personen,
denen die Freiheit entzogen ist. Und dies verbinde ich mit der
lebenslangen
Freiheitsstrafe. […] Die lebenslange Freiheitsstrafe ist eine versteckte
Todesstrafe«.[257]
269. Denken wir daran:
»Nicht einmal der Mörder verliert seine Personenwürde, und Gott selber
leistet dafür Gewähr«.[258]Die
entschiedene Ablehnung der Todesstrafe zeigt, wie weit wir die
unveräußerliche Würde jedes
Menschen anerkennen und akzeptieren können, dass auch er
seinen Platz in dieser Welt
hat. Denn wenn ich ihn nicht dem schlimmsten aller Kriminellen
abstreite, werde ich ihn
niemandem absprechen. Ich werde allen die Möglichkeit geben, diesen
Planeten mit mir zu teilen,
ungeachtet dessen, was uns trennen mag.
270. Die Christen, die
zweifeln und versucht sind, jedweder Form von Gewalt nachzugeben, lade
ich ein, sich an diese
Verkündigung aus dem Buch Jesaja zu erinnern: »Dann werden sie ihre
Schwerter zu Pflugscharen
umschmieden« (Jes 2,4). Für uns nimmt diese Prophezeiung Fleisch
an in Jesus Christus, der
dem von der Gewalt versuchten Jünger entschieden sagte: »Steck dein
Schwert in die Scheide;
denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert
umkommen« (Mt 26,52). Das
war ein Echo jener alten Warnung: »Für das Leben des Menschen
fordere ich Rechenschaft
von jedem, der es seinem Bruder nimmt. Wer Blut eines Menschen
vergießt, um dieses
Menschen willen wird auch sein Blut vergossen« (Gen 9,5-6). Diese Reaktion
Jesu, die seinem Herzen
entsprang, überwindet die Distanz der Jahrhunderte und reicht bis ins
Heute als beständige
Mahnung.
ACHTES
KAPITEL
DIE RELIGIONEN IM DIENST AN
DER GESCHWISTERLICHKEIT IN DER WELT
271. Ausgehend von der
Wertschätzung jedes Menschen als Geschöpf mit der Berufung zur
Gotteskindschaft, leisten
die verschiedenen Religionen einen wertvollen Beitrag zum Aufbau von
Geschwisterlichkeit und zur
Verteidigung der Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Der Dialog
zwischen Menschen
verschiedener Religionen findet nicht nur aus Diplomatie, Freundlichkeit oder
Toleranz statt. So
schreiben die Bischöfe Indiens: »Das Ziel des Dialogs ist es, Freundschaft,
Frieden und Harmonie zu
begründen sowie moralische und spirituelle Werte und Erfahrungen in
einem Geist der Wahrheit
und Liebe zu teilen«.[259]
Die tiefste Grundlage
81
272. Als Gläubige sind wir
davon überzeugt, dass es ohne eine Offenheit gegenüber dem Vater
aller keine soliden und
beständigen Gründe für den Aufruf zur Geschwisterlichkeit geben kann.
Wir sind überzeugt: »Nur
mit diesem Bewusstsein von Kindern, die keine Waisen sind, können wir
untereinander in Frieden
leben«.[260] Denn »die Vernunft für sich allein ist
imstande, die
Gleichheit unter den
Menschen zu begreifen und ein bürgerliches Zusammenleben herzustellen,
aber es gelingt ihr nicht,
Brüderlichkeit zu schaffen«.[261]
273. In diesem Sinne möchte
ich an einen denkwürdigen Text erinnern: »Wenn es keine
transzendente Wahrheit
gibt, der gehorchend der Mensch zu seiner vollen Identität gelangt, gibt
es kein sicheres Prinzip,
das gerechte Beziehungen zwischen den Menschen gewährleistet. Ihr
Klasseninteresse,
Gruppeninteresse und nationales Interesse bringt sie unweigerlich in
Gegensatz zueinander. Wenn
die transzendente Wahrheit nicht anerkannt wird, dann triumphiert
die Gewalt der Macht und
jeder trachtet, bis zum Äußersten von den ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln Gebrauch
zu machen, um ohne Rücksicht auf die Rechte des anderen sein
Interesse und seine Meinung
durchzusetzen. […] Die Wurzel des modernen Totalitarismus liegt
also in der Verneinung der
transzendenten Würde des Menschen, der sichtbares Abbild des
unsichtbaren Gottes ist.
Eben deshalb, auf Grund seiner Natur, ist er Subjekt von Rechten, die
niemand verletzen darf:
weder der einzelne, noch die Gruppe, die Klasse, die Nation oder der
Staat. Auch die
gesellschaftliche Mehrheit darf das nicht tun, indem sie gegen eine Minderheit
vorgeht«.[262]
274. Aus unserer
Glaubenserfahrung und aus der Weisheit, die sich im Laufe der Jahrhunderte
angesammelt hat, aber auch
dank des Lernens aus unseren vielen Schwächen und Stürzen
wissen wir Gläubige
verschiedener Religionen, dass es für unsere Gesellschaften gut ist, wenn wir
Gott in ihnen gegenwärtig
machen. Solange wir die aufrichtige Gottessuche nicht mit unseren
ideologischen oder
zweckmäßigen Interessen verdunkeln, hilft sie dabei, uns alle als
Weggefährten zu begreifen,
wirklich als Brüder und Schwestern. Wir glauben: »Wenn man im
Namen einer Ideologie Gott
aus der Gesellschaft ausstoßen will, betet man schließlich Götzen an,
und sehr bald verliert der
Mensch sich selber, wird seine Würde mit Füßen getreten und werden
seine Rechte verletzt. Ihr
wisst genau, zu welchen Brutalitäten der Entzug der Gewissens- und der
Religionsfreiheit führen
kann und wie aus dieser Wunde eine von Grund auf erschöpfte
Menschheit hervorgeht, weil
sie keine Hoffnung und keine geistigen Anhaltspunkte hat«.[263]
275. Es muss gesehen
werden, dass »Hauptursachen für die Krise der modernen Welt ein
betäubtes menschliches
Gewissen und eine Entfremdung von religiösen Werten sowie die
Dominanz von
Individualismus und materialistischen Philosophien sind, die den Menschen
vergöttlichen und weltliche
wie auch materielle Werte an die Stelle der höchsten und
transzendenten Prinzipien
setzen«.[264] Wir dürfen nicht zulassen, dass nur die
Mächtigen und
die Wissenschaftler eine
Stimme in der öffentlichen Debatte besitzen. Es muss einen Raum für die
Reflektion geben, der auf
einen religiösen Hintergrund zurückgeht, der die jahrhundertelange
Erfahrung und Weisheit
sammelt. »Die klassischen religiösen Texte [können] für alle Zeiten von
82
Bedeutung sein […] und eine
motivierende Kraft besitzen, die immer neue Horizonte öffnet, das
Denken anregt, den Geist
weitet und das Feingefühl erhöht«. Tatsächlich aber werden sie
»verachtet wegen ihres
Mangels an rationalistischer Sichtweise«.[265]
276. Aus diesen Gründen
respektiert die Kirche zwar die Autonomie der Politik, beschränkt aber
ihre eigene Mission nicht
auf den privaten Bereich. Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau
einer besseren Welt nicht
abseits stehen, noch darf sie es versäumen, »die seelischen Kräfte [zu]
wecken«[266],
die das ganze Leben der Gesellschaft bereichern können. Es stimmt, dass
religiöse Amtsträger keine
Parteipolitik betreiben sollten, die den Laien zusteht, aber sie können
auch nicht auf die
politische Dimension der Existenz verzichten[267], die eine ständige
Aufmerksamkeit für das
Gemeinwohl und die Sorge um eine ganzheitliche menschliche
Entwicklung umfasst. Die
Kirche »hat eine öffentliche Rolle, die sich nicht in ihrem Einsatz in der
Fürsorge oder der Erziehung
erschöpft«, sondern sich in den »Dienst der Förderung des
Menschen und der weltweiten
Geschwisterlichkeit«[268] stellt. Sie hat nicht vor, weltliche Macht
zu erlangen, sondern als
»eine Familie unter Familien – das ist die Kirche –« zu dienen, die »offen
dafür ist, der heutigen
Welt den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zum Herrn und zu denen,
die er besonders liebt, zu
bezeugen. Ein Haus mit offenen Türen. Die Kirche ist ein Haus mit
offenen Türen, weil sie
Mutter ist«.[269]Und wie Maria, die Mutter Jesu, »wollen wir eine
Kirche
sein, die dient, die
aufbricht, die aus ihren Kirchen herausgeht, die aus ihren Sakristeien
herausgeht, um das Leben zu
begleiten, die Hoffnung zu unterstützen und Zeichen der Einheit […]
zu sein […], um Brücken zu
spannen, Mauern zu durchbrechen und Versöhnung
auszusäen«.[270]
Die christliche Identität
277. Die Kirche schätzt das
Handeln Gottes in anderen Religionen und »lehnt nichts von alledem
ab, was in diesen
Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene
Handlungs- und
Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die […] nicht selten einen Strahl
jener Wahrheit erkennen
lassen, die alle Menschen erleuchtet«.[271] Aber wir Christen wissen:
»Wenn die Musik des
Evangeliums nicht mehr unser Inneres in Schwingung versetzt, werden wir
die Freude verlieren, die
aus dem Mitgefühl entsteht, die Zartheit, die aus dem Vertrauen kommt,
die Fähigkeit zur
Versöhnung, die ihre Quelle in dem Wissen hat, dass uns vergeben wurde und
dass auch wir vergeben
sollen. Wenn die Musik des Evangeliums in unseren Häusern, in der
Öffentlichkeit, an unseren
Arbeitsplätzen, in der Politik und der Wirtschaft nicht mehr zu hören ist,
dann haben wir wohl die
Melodie abgeschaltet, die uns herausfordert, für die Würde jedes Mannes
und jeder Frau ungeachtet
ihrer Herkunft zu kämpfen«.[272] Andere nähren sich aus anderen
Quellen. Für uns liegt die
Quelle der Menschenwürde und Geschwisterlichkeit im Evangelium
Jesu Christi. Aus diesem
»entspringt für das christliche Denken und für das Handeln der Kirche
der Primat, der der
Beziehung vorbehalten wird: der Begegnung mit dem heiligen Geheimnis des
anderen und der universalen
Gemeinschaft mit der ganzen Menschheit als Berufung aller«.[273]
83
278. Die Kirche ist dazu
berufen, sich an allen Enden der Welt zu inkarnieren, und ist seit
Jahrhunderten an jedem Ort
der Erde gegenwärtig – das heißt „katholisch“. Somit kann sie aus
ihrer Erfahrung von Gnade
und Sünde heraus die Schönheit der Einladung zur universalen Liebe
verstehen. Denn »alles
Menschliche geht uns ja an. […] Wo immer Versammlungen der Völker
stattfinden, um die Rechte
und Pflichten des Menschen festzusetzen, ist es eine Ehre für uns,
wenn sie nur damit
einverstanden sind, dass wir daran teilnehmen«.[274]Für viele Christen hat
dieser Weg der
Geschwisterlichkeit auch eine Mutter, die Maria heißt. Sie hat diese universale
Mutterschaft unter dem
Kreuz empfangen (vgl. Joh 19,26), und ihre Sorge gilt nicht nur Jesus,
sondern auch »ihren übrigen
Nachkommen« (Offb 12,17). Mit der Kraft des Auferstandenen will
sie eine neue Welt gebären,
in der wir alle Brüder und Schwestern sind, in der es für jeden von
unserer Gesellschaft
verstoßenen Menschen Platz gibt, in der Gerechtigkeit und Frieden
herrschen.
279. Als Christen fordern
wir in Ländern, in denen wir eine Minderheit darstellen, eine Garantie für
unsere Freiheit. Genauso
befürworten wir sie für diejenigen, die nicht Christen sind, dort, wo sie
eine Minderheit bilden. Es
gibt ein grundlegendes Menschenrecht, das auf dem Weg zur
Geschwisterlichkeit und zum
Frieden nicht vergessen werden darf, und das ist die Religionsfreiheit
für die Gläubigen aller
Religionen. Diese Freiheit bekräftigt, dass es möglich ist, »zwischen
unterschiedlichen Kulturen
und Religionen zu einem guten Einvernehmen zu gelangen; sie
bezeugt, dass die Dinge,
die wir gemeinsam haben, so zahlreich und wichtig sind, dass es
möglich ist, einen Weg
entspannten, geordneten und friedlichen Zusammenlebens zu finden,
indem man die Unterschiede
akzeptiert und sich freut, als Kinder eines einzigen Gottes
Geschwister zu sein«.[275]
280. Zugleich bitten wir
Gott um die Stärkung der Einheit innerhalb der Kirche. Eine Einheit, die
durch Unterschiede
bereichert wird, die durch das Wirken des Heiligen Geistes miteinander
versöhnt werden. Denn
»durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib
aufgenommen« (1 Kor
12,13), wo jeder seinen eigenen, unverwechselbaren Beitrag leistet. Wie
der heilige Augustinus
sagte: »Das Ohr sieht durch das Auge, und das Auge hört durch das
Ohr«.[276] Es
ist darüber hinaus dringend notwendig, weiterhin Zeugnis von einem Weg der
Begegnung zwischen den
verschiedenen christlichen Konfessionen zu geben. Wir können den
von Christus geäußerten
Wunsch nicht vergessen: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,21). Wenn wir
seinen Aufruf hören, erkennen
wir mit Schmerz, dass dem Globalisierungsprozess noch immer
der prophetische und
spirituelle Beitrag der Einheit aller Christen fehlt. Aber »auch während wir
noch auf dem Weg zur vollen
Gemeinschaft sind, haben wir bereits die Pflicht, gemeinsam die
Liebe Gottes zu allen
Menschen zu bezeugen, indem wir im Dienst der Menschlichkeit
zusammenarbeiten«.[277]
Religion und Gewalt
281. Zwischen den
Religionen ist ein Weg des Friedens möglich. Der Ausgangspunkt muss der
84
Blick Gottes sein. Denn
»Gott schaut nicht mit den Augen, Gott schaut mit dem Herzen. Und
Gottes Liebe ist für jeden
Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion. Und wenn er Atheist
ist, ist es die gleiche
Liebe. Wenn der jüngste Tag kommt und es genug Licht auf der Erde gibt,
um die Dinge so zu sehen,
wie sie sind, werden wir viele Überraschungen erleben!«[278]
282 Ebenso »brauchen wir
Gläubigen Möglichkeiten zum Gespräch und zum gemeinsamen
Einsatz für das Gemeinwohl
und die Förderung der Ärmsten. Wir brauchen nicht irgendwelche
Abstriche zu machen oder
mit unseren eigenen Überzeugungen, die uns viel bedeuten, hinter
dem Berg zu halten, um
andersdenkenden Menschen begegnen zu können. […] Denn je tiefer,
solider und reicher eine
Identität ist, desto mehr wird sie andere mit ihrem spezifischen Beitrag
bereichern«.[279] Als
Gläubige sind wir herausgefordert, zu unseren Quellen zurückzukehren, um
uns auf das Wesentliche zu
konzentrieren: die Anbetung Gottes und die Nächstenliebe, damit
nicht einige Aspekte
unserer Lehren, aus dem Zusammenhang gerissen, am Ende Formen der
Verachtung, des Hasses, der
Fremdenfeindlichkeit und der Ablehnung des anderen fördern. Die
Wahrheit ist, dass Gewalt
keinerlei Grundlage in den fundamentalen religiösen Überzeugungen
findet, sondern nur in
deren Verformungen.
283. Die aufrichtige und
demütige Verehrung Gottes endet »nicht etwa in Diskriminierung, Hass
und Gewalt, sondern in der
Achtung vor der Unverletzlichkeit des Lebens, in der Achtung vor der
Würde und Freiheit anderer
und im liebevollen Einsatz für das Wohl aller«.[280] Es stimmt
nämlich: »Wer nicht liebt,
hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe« (1 Joh 4,8). Deshalb ist »der
verdammenswerte
Terrorismus, der die Sicherheit der Personen im Osten als auch im Westen, im
Norden als auch im Süden
bedroht und Panik, Angst und Schrecken sowie Pessimismus
verbreitet, […] nicht der
Religion geschuldet – auch wenn die Terroristen sie instrumentalisieren –,
sondern den angehäuften
falschen Interpretationen der religiösen Texte, den politischen
Handlungsweisen des
Hungers, der Armut, der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung, der
Anmaßung; deswegen ist es
notwendig, die Unterstützung für die terroristischen Bewegungen
durch Bereitstellung von
Geldern, Waffen, Plänen oder Rechtfertigungen und auch durch die
medizinische Versorgung
einzustellen und all dies als internationale Verbrechen anzusehen, die
die weltweite Sicherheit
und Frieden bedrohen. Man muss einen derartigen Terrorismus in all
seinen Formen und
Erscheinungen verurteilen«.[281] Religiöse Überzeugungen von der Heiligkeit
des menschlichen Lebens
ermöglichen es, »dass wir alle die Grundwerte des gemeinsamen
Menschseins anerkennen. Im
Namen dieser Werte kann und muss man zusammenarbeiten,
aufbauen und miteinander
reden, vergeben und wachsen und so es den verschiedenen Stimmen
möglich machen, einen edlen
harmonischen Gesang zu bilden anstatt fanatischen
Hassgeschreis«.[282]
284. Mitunter wird die
fundamentalistische Gewalt bei manchen Gruppierungen welcher Religion
auch immer durch die
Unklugheit ihrer Anführer entfesselt. Doch »das Gebot des Friedens [ist] tief
in die von uns vertretenen
religiösen Traditionen eingeschrieben [...] Als religiöse
Führungspersönlichkeiten sind wir dazu aufgefordert, wahre
„Dialogpartner“ zu sein und bei der
85
Arbeit für den Frieden
nicht bloße Mittelsmänner, sondern authentische Mittler zu sein.
Mittelsmänner pflegen allen
Beteiligten Begünstigungen einzuräumen, um am Ende selbst einen
Gewinn einzustreichen. Der
Mittler hingegen ist jemand, der nichts für sich selbst behält, sondern
sich bis zum Ende großzügig
hingibt, wissend, dass sein einziger Gewinn der Frieden sein wird.
Ein jeder von uns ist
aufgerufen, Friedensstifter zu sein, der einigend wirkt und nicht trennt, der
den Hass auslöscht und ihn
nicht aufrechterhält, indem er Wege des Dialoges öffnet und keine
neuen Mauern errichtet«.[283]
Aufruf
285. Bei dem brüderlichen
Treffen mit dem Großimam Ahmad Al-Tayyib, an das ich mich freudig
erinnere, »erklären wir mit
Festigkeit, dass die Religionen niemals zum Krieg aufwiegeln und keine
Gefühle des Hasses, der
Feindseligkeit, des Extremismus wecken und auch nicht zur Gewalt oder
zum Blutvergießen
auffordern. Diese Verhängnisse sind Frucht der Abweichung von den
religiösen Lehren, der
politischen Nutzung der Religionen und auch der Interpretationen von
Gruppen von religiösen
Verantwortungsträgern, die in gewissen Geschichtsepochen den Einfluss
des religiösen Empfindens
auf die Herzen der Menschen missbraucht haben […]. Denn Gott, der
Allmächtige, hat es nicht
nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass
sein Name benutzt wird, um
die Menschen zu terrorisieren«.[284] Deshalb möchte ich hier den
Aufruf für Frieden,
Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit, den wir gemeinsam gemacht haben,
wieder aufgreifen:
»Im Namen Gottes, der alle
Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher
Würde geschaffen hat und
der sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander
zusammenzuleben, die Erde
zu bevölkern und auf ihr die Werte des Guten, der Liebe und des
Friedens zu verbreiten.
Im Namen der unschuldigen
menschlichen Seele, die zu töten Gott verboten hat, wenn er sagt,
dass jeder, der einen
Menschen ermordet, so ist, als hätte er die ganze Menschheit getötet, und
dass jeder, der einen
Menschen rettet, so ist, als hätte er die ganze Menschheit gerettet.
Im Namen der Armen,
Notleidenden, Bedürftigen und Ausgegrenzten, denen beizustehen nach
Gottes Gebot alle
verpflichtet sind, insbesondere alle vermögenden und wohlhabenden
Menschen.
Im Namen der Waisen,
Witwen, Flüchtlinge und aller, die aus ihren Häusern und Heimatländern
vertrieben wurden, aller
Opfer von Krieg, Verfolgung und Ungerechtigkeit; im Namen aller
Schwachen, aller in Angst
lebenden Menschen, der Kriegsgefangenen und der Gefolterten überall
auf der Welt, ohne
irgendeinen Unterschied.
Im Namen der Völker, die
der Sicherheit, des Friedens und des gemeinsamen Zusammenlebens
86
entbehren und Opfer von Zerstörung,
Niedergang und Krieg wurden.
Im Namen der Brüderlichkeit
aller Menschen, die alle umfasst, vereint und gleich macht an Würde.
Im Namen dieser
Brüderlichkeit, welche durch die politischen Bestrebungen von Integralismus und
Spaltung sowie durch maßlos
gewinnorientierte Systeme und abscheuliche ideologische
Tendenzen, die die
Handlungen und Schicksale der Menschen manipulieren, entzweit wird.
Im Namen der Freiheit, die
Gott allen Menschen geschenkt hat, als er sie frei geschaffen und mit
dieser besonderen Würde
auszeichnet hat.
Im Namen der Gerechtigkeit
und der Barmherzigkeit, den Grundlagen des Wohlstands und den
Eckpfeilern des Glaubens.
Im Namen aller Menschen
guten Willens an allen Orten der Welt.
Im Namen Gottes und all
diesem […] [nehmen wir] die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine
Zusammenarbeit als
Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab
[an]«.[285]
* * *
286. Bei diesen
Überlegungen zur Geschwisterlichkeit aller Menschen habe ich mich besonders
von Franz von Assisi, aber
auch von nichtkatholischen Brüdern inspirieren lassen: Martin Luther
King, Desmond Tutu, Mahatma
Gandhi und viele andere. Zum Schluss möchte ich jedoch an
einen weiteren Menschen
tiefen Glaubens erinnern, der aus seiner intensiven Gotteserfahrung
heraus einen Weg der
Verwandlung gegangen ist, bis er sich als Bruder aller fühlte. Dies ist der
selige Charles de Foucauld.
287. Seine Vision einer
Ganzhingabe an Gott fand ihre Verwirklichung schließlich in seiner
Identifikation mit den
Geringsten und Verlassenen in den Weiten der afrikanischen Wüste. In
diesem Zusammenhang äußerte
Charles de Foucauld den Wunsch, sich als Bruder eines jeden
Menschen empfinden zu
können.[286]So bat er einen Freund: »Beten Sie zu Gott, dass
ich
wirklich der Bruder aller
Seelen […] sein kann«.[287] Er wollte letztendlich »der Bruder
aller«[288] sein.
Aber nur durch die Identifikation mit den Geringsten wurde er zum Bruder aller
Menschen. Möge Gott jeden
von uns zu dieser Vision inspirieren. Amen.
Gebet zum Schöpfer
87
Herr und Vater der
Menschheit,
du hast alle Menschen mit
gleicher Würde erschaffen.
Gieße den Geist der
Geschwisterlichkeit in unsere Herzen ein.
Wecke in uns den Wunsch
nach einer neuen Art der Begegnung,
nach Dialog, Gerechtigkeit
und Frieden.
Sporne uns an, allerorts
bessere Gesellschaften aufzubauen
und eine menschenwürdigere
Welt
ohne Hunger und Armut, ohne
Gewalt und Krieg.
Gib, dass unser Herz sich
allen Völkern und Nationen
der Erde öffne,
damit wir das Gute und
Schöne erkennen,
das du in sie eingesät
hast,
damit wir engere Beziehungen
knüpfen
vereint in der Hoffnung und
in gemeinsamen Zielen. Amen.
Ökumenisches Gebet
Herr, unser Gott,
dreifaltige Liebe,
lass aus der Kraft deiner
innergöttlichen Gemeinschaft
die geschwisterliche Liebe
in uns hineinströmen.
Schenke uns die Liebe, die
in den Taten Jesu,
in der Familie von Nazaret
und in der Gemeinschaft der ersten Christen aufscheint.
Gib, dass wir Christen das
Evangelium leben
und in jedem Menschen
Christus sehen können,
dass wir ihn in der Angst
der Verlassenen und Vergessenen dieser Welt
als den Gekreuzigten
erkennen
und in jedem Bruder, der
sich wieder erhebt, als den Auferstanden.
Komm, Heiliger Geist, zeige
uns deine Schönheit,
die in allen Völkern der
Erde aufscheint,
damit wir entdecken, dass
sie alle wichtig sind,
dass alle notwendig sind,
dass sie verschiedene Gesichter
der einen Menschheit sind,
die du liebst. Amen.
Gegeben zu Assisi, beim Grab des heiligen Franziskus, am 3.
Oktober,
88
Vigil vom Fest des „Poverello“, im Jahr 2020, dem achten meines
Pontifikats.
Franziskus
[1] Ammonizioni, 6, 1: Fonti Francescane 155.
[2] Ebd., 25: Fonti Francescane 175.
[3] Franz von Assisi, Nicht-bullierte Regel, 16,
3.6: Fonti Francescane 42-43.
[4] Éloi Leclerc OFM, Exil et tendresse, Marova,
Paris 1962, S. 205.
[5] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 8.
[6] Ansprache
beim ökumenischen und interreligiösen Treffen mit den Jugendlichen, Skopje,
Nordmazedonien (7. Mai
2019): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 20/21 (17. Mai
2019), S. 10.
[7] Ansprache
an das Europäische Parlament, Straßburg (25. November
2014): AAS 106 (2014),
996; L’Osservatore Romano
(dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 48 (28. November 2014), S. 13.
[8] Begegnung
mit Vertretern der Regierung und des öffentlichen Lebens sowie mit dem
Diplomatischen Korps, Santiago de Chile (16. Januar 2018): AAS 110
(2018), 256; L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 3 (19. Januar 2018), S. 7.
[9] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 19: AAS 101 (2009), 655.
[10] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25. März 2019), 181.
[11] Kardinal Raúl Silva Henríquez SDB, Predigt
zum Te Deum in Santiago de Chile (18.
September 1974).
[12] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 57: AAS
107 (2015), 869.
[13] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps (11.
Januar 2016): AAS 108
(2016), 120; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46 (2016), Nr. 2 (15. Januar
2016), S.10.
[14] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps (13.
89
Januar 2014): AAS 106
(2014), 83-84; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 3 (17.
Januar 2014), S.10.
[15] Vgl. Ansprache für die Teilnehmer an der Studientagung der Stiftung
„Centesimus Annus pro
Pontifice“ (25. Mai 2013): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 43
(2013), Nr. 23 (7. Juni 2013), S. 9.
[16] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 14: AAS 59 (1967), 264.
[17] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 22: AAS 101 (2009), 657.
[18] Ansprache
bei der Begegnung mit Vertretern des öffentlichen Lebens und des Diplomatischen
Korps, Tirana, Albanien (21. September 2014): L’Osservatore Romano
(dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 39
(26. September 2014), S. 7.
[19] Botschaft
an die Teilnehmer der internationalen Konferenz zum Thema „Die Menschenrechte
in der heutigen Welt: Errungenschaften, Versäumnisse,
Verleugnungen“ (10. Dezember 2018):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 51/52 (21. Dezember
2018), S. 8/9
[20] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 212: AAS 105 (2013),
1108.
[21] Botschaft
zum 48. Weltfriedenstag am 1. Januar 2015 (8. Dezember 2014), 3-4: AAS 107
(2015), 69-71;
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 51/52 (19. Dezember 2014), S. 4.
[22] Ebd., 5.
[23] Botschaft
zum 49. Weltfriedenstag am 1. Januar 2016 (8. Dezember 2015), 2: AAS 108
(2016), 49; L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 52/53 (25. Dezember 2016), S. 7.
[24] Botschaft
zum 53. Weltfriedenstag am 1. Januar 2020 (8. Dezember 2019), 1: L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 51/52 (20. Dezember 2019), S. 8..
[25] Ansprache
über Atomwaffen, Nagasaki, Japan (24.
November 2019): L’Osservatore Romano
(dt.), Jg. 49 (2019), Nr.
48/49 (29. November 2019), S. 14.
[26] Ansprache
an Dozenten und Studenten des Mailänder Kollegs „San Carlo“ (6. April 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 16 (19. April
2019), S. 9.
[27] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 8.
90
[28] Ansprache
an die Vertreter der Welt der Kultur,
Cagliari, Italien (22 September 2013):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 43 (2013), Nr. 40 (4. Oktober
2013), S. 9.
[29] Humana
communitas. Schreiben an den Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das
Leben zum 25. Jahrestag
seiner Gründung (6. Januar 2019), 2.6: L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 4, S. 10.
[30] Videobotschaft an die TED-Konferenz 2017 in
Vancouver, Kanada (26. April 2017):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 157 (2017), Nr. 101 (27. April
2017), S. 7.
[31] Besondere
Andacht in der Zeit der Epidemie
(27. März 2020): L’Osservatore Romano (dt.),
Jg. 50 (2020), Nr. 14/15
(3. April 2020), S. 6.
[32] Homilie
in der heiligen Messe, Skopje, Nord-Mazedonien
(7. Mai 2019): L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 19 (10. Mai 2019), S. 1.
[33] Vgl. Aeneis I, 462: »Sunt lacrimae rerum et
mentem mortalia tangunt«.
[34] »Historia […] magistra vitae« (Marcus Tullius
Cicero, De oratore, II, 36).
[35] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 204: AAS
107 (2015), 928.
[36] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25. März 2019), 91.
[37] Ebd., 92.
[38] Ebd., 93.
[39] Benedikt XVI., Botschaft zum 99. Welttag für den Migranten und Flüchtling 2013 (16. Oktober
2012): AAS 104 (2012), 908;
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 42 (2012), Nr. 45 (9. November
2012), S. 9.
[40] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25. März 2019), 92.
[41] Vgl. Botschaft zum 106. Welttag für den Migranten und Flüchtling 2020 (13. Mai 2020):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 50 (2020), Nr. 22/23 (29. Mai
2020), S. 7.
[42] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps (11.
Januar 2016): AAS 108
(2016), 124; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46 (2016), Nr. 2 (15. Januar
2016), S. 11.
[43] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps (13.
91
Januar 2014): AAS 106
(2014), 84; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 3 (17. Januar
2014), S. 10.
[44] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps (11.
Januar 2016): AAS 108
(2016), 123; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46 (2016), Nr. 2 (15. Januar
2016), S. 11.
[45] Botschaft
zum 105. Welttag für den Migranten und Flüchtling 2019 (27. Mai 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 26 (28. Juni 2019),
S. 10.
[46] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25. März 2019), 88.
[47] Ebd., 89.
[48] Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate (19. März 2018), 115.
[49] Aus dem Film Papst Franziskus – Ein Mann
seines Wortes. Die Welt braucht Hoffnung von
Wim Wenders (2018).
[50] Ansprache
bei der Begegnung mit Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft und dem
Diplomatischen Korps, Tallinn, Estland (25. September 2018):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 158
(2018), Nr. 231 (27.
September 2018), S. 7.
[51] Vgl. Besondere Andacht in der Zeit der Epidemie (27. März 2020): L’Osservatore Romano
(dt.), Jg. 50 (2020), Nr.
14/15 (3. April 2020), S. 6; Botschaft zum 4. Welttag der Armen 2020 (13.
Juni 2020), 6:
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 50 (2020), Nr. 26/27 (26. Juni 2020), S. 8.
[52] Grußwort
an die Jugendlichen des Kulturzentrums „Padre Félix Varela“, Havanna, Kuba (20.
September 2015):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 155 (2015), Nr. 233 (21./22. September 2015),
S. 6.
[53] Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil,
Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die
Kirche in der Welt von
heute, 1.
[54] Irenäus von Lyon, Adversus Haereses II, 25,
2: PG 7/1, 798-s; Fontes Christiani (hrsg. von
Norbert Brox et al.) Band
8/2, Freiburg 1993, S. 211.
[55] Talmud Bavli (Babylonischer Talmud), Schabbat
31a.
[56] Ansprache
an die Menschen, die in karitativen Einrichtungen der Kirche betreut werden,
Tallinn, Estland (25.
September 2018): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 41 (12.
92
Oktober 2018), S. 11.
[57] Videobotschaft an die TED-Konferenz 2017 in
Vancouver, Kanada (26. April 2017):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 157 (2017), Nr. 101 (27. April
2017), S. 7.
[58] Homiliae in Matthaeum, 50, 3: PG 58, 508.
[59] Botschaft
aus Anlass des Treffens der Volksbewegungen, Modesto, Vereinigte Staaten von
Amerika (10. Februar 2017):
AAS 109 (2017), 291; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 47 (2017), Nr.
9 (3. März 2017), S. 11.
[60] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 235: AAS 105 (2013),
1115.
[61] Johannes Paul II., Ansprache an Menschen mit Behinderungen, Angelus in Osnabrück,
Deutschland (16. November
1980): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 10 (1980), Nr. 47 (21.
November 1980), S. 10.
[62] Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil,
Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die
Kirche in der Welt von
heute, 24.
[63] Gabriel Marcel, Du refus à l’invocation, NRF,
Paris 1940, S. 50.
[64] Angelus(10. November 2019): L’Osservatore Romano (dt.),
Jg. 49 (2019), Nr. 46 (15.
November 2019), S. 1.
[65] Vgl. Thomas von Aquin, Scriptum super
Sententiis, lib. 3, dist. 27, q.1, a.1, ad 4: »Dicitur amor
extasim facere, et fervere,
quia quod fervet extra se bullit, et exhalat« (Man sagt, dass die Liebe
Ekstase und Lebhaftigkeit
hervorruft, weil das Sprudelnde aus sich heraustritt und erlischt).
[66] Karol Wojtyła, Liebe und Verantwortung. Eine
ethische Studie, Verlag Sankt Josef, Kleinhain
2010, S. 185.
[67] Karl Rahner, Kleines Kirchenjahr. Ein Gang
durch den Festkreis, Herder, Freiburg i. Br. 1981,
S. 30.
[68] Regula, 53, 15: »Pauperum et peregrinorum
maxime susceptioni cura sollicite exhibeatur«.
[69] Vgl. Summa Theologiae II-II, q. 23, art. 7;
Augustinus, Contra Julianum, 4, 18: PL 44, 748:
»Sie [die Geizigen]
enthalten sich der Freuden, sei es aus Gier, den Verdienst zu vermehren, sei
es aus Furcht, ihn zu
schmälern«.
93
[70] »Secundum acceptionem divinam« (Scriptum
super Sententiis, lib. 3, dist. 27, a. 1, q. 1, concl.
4).
[71] Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), 15:
AAS 98 (2006), 230.
[72]Summa Theologiae II-II, q. 27, art. 2, resp.
[73] Vgl. ebd., I-II, q. 26, a. 3, resp.
[74] Ebd., I-II, q. 110, a. 1, resp.
[75] Botschaft
zum 47. Weltfriedenstag am 1. Januar 2014 (8. Dezember 2013), 1: AAS 106
(2014), 22; L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 43 (2013), Nr. 51/52 (20. Dezember 2013), S. 4.
[76] Vgl. Angelus (29. Dezember 2013):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 1 (3.
Januar 2014), S. 1. Ansprache an die Mitglieder des beim Heiligen
Stuhl akkreditierten
Diplomatischen Korps (12. Januar 2015): AAS 107 (2015), 165; L’Osservatore
Romano (dt.), Jg.
45 (2015), Nr. 3 (16.
Januar 2015), S. 13.
[77] Botschaft zum Welttag der Menschen mit
Behinderungen (3. Dezember 2019): L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 50 (13. Dezember 2019), S. 18.
[78] Ansprache
bei der Begegnung zur Religionsfreiheit mit der hispanischen Gemeinde und
anderen Immigranten, Philadelphia, USA (26. September 2015): AAS
107 (2015), 1050-1051; vgl.:
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 41 (9. Oktober
2015), S.10.
[79] Ansprache
bei der Begegnung mit den Jugendlichen,
Tokyo, Japan (25. November 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 50 (13. Dezember
2019), S. 13.
[80] Bei diesen Überlegungen lasse ich mich von
den Gedanken Paul Ricœurs anregen, welche er
in seinem Aufsatz »Le
socius et le prochain« ausführt (in: Histoire et vérité, Le Seuil, Paris 1967,
S. 113-127).
[81] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 190: AAS 105 (2013),
1100.
[82]Ebd., 209: AAS 105 (2013), 1107.
[83] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 129:
AAS 107 (2015), 899.
[84] Schreiben zur Veranstaltung „Economy of
Francesco“ (1. Mai 2019): L’Osservatore Romano
94
(it.), Jg. 159 (2019), Nr.
113 (12. Mai 2019), S. 8.
[85] Ansprache
an das Europäische Parlament, Straßburg, (25. November 2014): AAS 106
(2014), 997; L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 48 (28. November 2014), S. 13.
[86] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 229:
AAS 107 (2015), 937.
[87] Botschaft
zum 49. Weltfriedenstag am 1. Januar 2016 (8. Dezember 2015), 6: AAS 108
(2016), 57-58;
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 52/53 (25. Dezember 2015), S. 9.
[88] Die Wörter Solidität und Solidarität sind
miteinander verwandt. In ihrer ethisch-politischen
Bedeutung, die sie im Lauf
der letzten beiden Jahrhunderte erlangt hat, ermöglicht die Solidarität
die Errichtung einer
sicheren und stabilen Gesellschaft.
[89] Homilie
in der heiligen Messe, Havanna, Kuba (20.
September 2015): L’Osservatore Romano
(dt.), Jg. 45 (2015), Nr.39
(25. September 2015), S.9.
[90] Ansprache
an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (28.
Oktober 2014): AAS 106
(2014), 851-852.
[91] Vgl. Basilius, Homilia 21. Quod rebus
mundanis adhaerendum non sit, 3.5: PG 31, 545-549;
Regulae brevius tractatae, 92: PG 31, 1145-1148; Petrus
Chrysologus, Sermo 123: PL 52, 536-
540; Ambrosius, De Nabuthe,
27.52: PL 14, 738s; Augustinus, In Iohannis Evangelium, 6, 25: PL
35, 1436s.
[92]De Lazaro Concio, II, 6: PG 48, 992D.
[93] Regula pastoralis, III, 21: PL 77, 87.
[94] Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 31: AAS 83
(1991), 831
[95] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 93:
AAS 107 (2015), 884.
[96] Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), 19: AAS 73 (1981),
626.
[97] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche,
172.
[98] Enzyklika Populorum progressio
(26. März 1967), 22: AAS 59 (1967), 268.
[99] Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 33: AAS 80 (1988),
95
557.
[100] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 95:
AAS 107 (2015), 885.
[101]Ebd., 129: AAS 107 (2015), 899.
[102] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 15: AAS 59 (1967), 265.;
Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 16: AAS 101 (2009), 652.
[103] Vgl. Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 93:
AAS 107 (2015), 884-885; Apostolisches
Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 189-190: AAS 105 (2013), 1099-1100.
[104]Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von
Amerika, Open wide our Hearts: The
enduring Call to Love. A Pastoral Letter against Racism (November
2018).
[105] Vgl. Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 51:
AAS 107 (2015), 867.
[106] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 6: AAS 101 (2009), 644.
[107] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 35: AAS 83 (1991), 838.
[108] Ansprache
über Atomwaffen, Nagasaki, Japan (24.
November 2019): L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 48/49 (29. November 2019), S. 14.
[109] Vgl. Die Katholischen Bischöfe Mexikos und
der Vereinigten Staaten von Amerika,
Hirtenbrief Strangers no
longer: Together on the Journey of Hope (Januar 2003).
[110] Generalaudienz (3. April 2019): L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 15 (12. April
2019), S. 2.
[111] Vgl. Botschaft zum 104. Welttag des Migranten und Flüchtlings (14. Januar 2018): AAS 109
(2017), 918-923.
[112] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 9.
[113] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps
(11. Januar 2016): AAS 108
(2016), 124; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46 (2016), Nr. 2 (15.
Januar 2016), S. 11.
[114] Ebd., 122; L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46
(2016), Nr. 2 (15. Januar 2016), S. 11.
96
[115] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25. März 2019), 93.
[116] Ebd., 94.
[117] Ansprache
an die Politiker, Sarajevo,
Bosnien-Herzegowina (6. Juni 2015): L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 24 (12. Juni 2015), S. 7.
[118] Latinoamérica. Conversaciones con Hernán Reyes
Alcaide, Planeta, Buenos Aires 2017, S.
105.
[119] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar
2019): L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 9.
[120] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 67: AAS 101 (2009), 700.
[121] Ebd., 60: AAS 101 (2009), 695.
[122] Ebd., 67: AAS 101 (2009), 700.
[123] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 447.
[124] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 234: AAS 105 (2013),
1115.
[125] Ebd., 235: AAS 105 (2013), 1115.
[126] Ebd.
[127] Johannes Paul II., Ansprache an die
Repräsentanten des Kulturlebens, Buenos Aires,
Argentinien (12. April
1987), 4: L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 17 (1987), Nr. 26 (26. Juni 1987),
S. 18.
[128] Vgl. ders., Ansprache an die Kardinäle (21.
Dezember 1984), 4: AAS 76 (1984), 506.
[129] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Querida Amazonia (2. Februar 2020), 37.
[130] Georg Simmel, Brücke und Tür. Essays des
Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst
und Gesellschaft, hrsg. von Michael Landmann, Koehler-Verlag,
Stuttgart 1957, S. 6.
[131] Vgl. Jaime Hoyos-Vásquez SJ, Lógica de
las relaciones sociales. Reflexión ontológica, in:
Revista Universitas Philosophica, 15-16 (Dezember 1990 - Juni
1991), Bogotá 1991, S. 95-106.
97
[132] Antonio Spadaro SJ, Die Spuren eines Hirten. Ein
Gespräch mit Papst Franziskus, in: Papst
Franziskus, Im Angesicht
des Herrn. Gedanken über Freiheit, Hoffnung und Liebe, Bd. 1, Herder,
Freiburg i. Br. 2017, S.
24; vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii
gaudium (24. November 2013),
220-221: AAS 105 (2013),
1110-1111.
[133] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 204: AAS 105 (2013),
1106.
[134] Vgl. ebd., AAS 105 (2013), 1105-1106.
[135]Ebd., 202: AAS 105 (2013), 1105.
[136] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015),
128: AAS 107 (2015), 898.
[137] Ansprache
an die Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps
(12. Januar 2015): AAS
(107) (2015), 165; vgl. Ansprache an die
Teilnehmer des Internationalen
Treffens der Volksbewegungen (28. Oktober 2014): AAS 106 (2014),
851-859.
[138] Etwas Ähnliches kann man über die biblische
Kategorie des „Reiches Gottes“ sagen.
[139]Paul Ricœur, Histoire et vérité, Le Seuil, Paris
1967, S. 122.
[140] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 129:
AAS 107 (2015), 899.
[141]Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate
(29. Juni 2009), 35: AAS 101 (2009), 670.
[142] Ansprache
an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (28.
Oktober 2014): AAS 106
(2014), 858.
[143] Ebd.
[144] Ansprache
an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (5.
November 2016):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 46 (2016), Nr. 47 (25. November 2016), S.8.
[145] Ebd., S. 9.
[146] Ebd.
[147] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 189:
AAS 107 (2015), 922.
[148] Ansprache
an die Mitglieder der UN-Generalversammlung, New York (25. September 2015):
AAS 107 (2015), 1037.
98
[149] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 175:
AAS 107 (2015), 916-917.
[150] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 67: AAS 101 (2009), 700-
701.
[151] Ebd., 67: AAS 101 (2009), 700.
[152] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 434.
[153] Ansprache
an die Mitglieder der UN-Generalversammlung, New York (25. September 2015):
AAS 107 (2015), 1037.1041.
[154] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 437.
[155] Johannes Paul II., Botschaft zum 37. Weltfriedenstag am 1. Januar 2004 (8. Dezember
2003), 5: AAS 96 (2004), 117.
[156] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 439.
[157] Vgl. Sozialkommission der Bischöfe
Frankreichs, Erklärung Réhabiliter la politique (17.
Februar 1999).
[158] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 189:
AAS 107 (2015), 922.
[159] Ebd., 196: AAS 107 (2015), 925.
[160] Ebd., 197: AAS 107 (2015), 925.
[161] Ebd., 181: AAS 107 (2015), 919.
[162] Ebd., 178: AAS 107 (2015), 918.
[163] Portugiesische Bischofskonferenz, Hirtenbrief
Responsabilidade solidária pelo bem comum
(15. September 2003), 20;
vgl. Enzyklika Laudato si’, 159: AAS 107 (2015), 911.
[164] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 191:
AAS 107 (2015), 923.
[165]Pius XI., Ansprache an die „Federazione
Universitaria Cattolica Italiana“ (FUCI) (18.
Dezember 1927):
L’Osservatore Romano (23. Dezember 1927), 3.
[166] Vgl. Ders., Enzyklika Quadragesimo anno (15.
Mai 1931), 89: AAS 23 (1931), 206.
99
[167] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 205: AAS 105 (2013),
1106.
[168] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate
(29. Juni 2009), 2: AAS 101 (2009), 642.
[169] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 231: AAS
107 (2015), 937.
[170]Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate
(29. Juni 2009), 2: AAS 101 (2009), 642.
[171] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 207.
[172] Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 16: AAS 71 (1979), 289.
[173] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 44: AAS 59 (1967), 279.
[174] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 207.
[175] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate
(29. Juni 2009), 2: AAS 101 (2009), 642.
[176] Ebd., 3: AAS 101 (2009), 643.
[177] Ebd., 4: AAS 101 (2009), 643.
[178] Ebd.
[179] Ebd., 3: AAS 101 (2009), 643.
[180] Ebd., 3: AAS 101 (2009), 642.
[181] Die katholische Morallehre folgt hier Thomas
von Aquin, der zwischen dem „actus elicitus“
und dem „actus imperatus“
unterscheidet (vgl. Summa Theologiae, I-II, q. 8-17; Marcellino Zalba
SJ, Theologiae moralis
summa. Theologia moralis fundamentalis. Tractatus de virtutibus
theologicis, BAC, Madrid 1952, Bd. 1, 69; Antonio Royo Marín,
Teología de la perfeccíon cristiana,
BAC, Madrid 1962, 192-196).
[182] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 208.
[183] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 42: AAS 80
(1988), 572-574; Ders.,
Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 11: AAS 83 (1991), 806-807.
[184] Ansprache
an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (28.
Oktober 2014): AAS 106
(2014), 852.
100
[185] Ansprache
an das Europaparlament, Straßburg (25. November
2014): AAS 106 (2014), 999.
[186] Ansprache
an die Vertreter des öffentlichen Lebens und des Diplomatischen Korps, Bangui,
Zentralafrikanische
Republik (29. November 2015): AAS 107 (2015), 1320.
[187] Ansprache
an die Mitglieder der UN-Generalversammlung, New York (25. September 2015):
AAS 107 (2015), 1039.
[188] Ansprache
an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (28.
Oktober 2014): AAS 106
(2014), 853.
[189] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 8.
[190] René Voillaume, Frère de tous, Éditions du Cerf,
Paris 1968, S. 12-13.
[191] Videobotschaft an die TED-Konferenz 2017 in
Vancouver, Kanada (26. April 2017):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 157 (2017), Nr. 101 (27. April
2017), S. 7.
[192] Generalaudienz (18. Februar 2015): L’Osservatore Romano (dt.),
Jg. 45 (2015), Nr. 9 (27.
Februar 2015), S. 2.
[193] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 274: AAS 105 (2013),
1130.
[194] Ebd., 279: AAS 105 (2013), 1132.
[195] Botschaft
zum 52. Weltfriedenstag am 1. Januar 2019 (8. Dezember 2018), 5: L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 51/52 (21. Dezember 2018), S. 7.
[196] Ansprache bei der
Begegnung mit Vertretern der Verantwortungsträger aus Politik und
Gesellschaft, Rio de Janeiro, Brasilien (27. Juli 2013): AAS 105
(2013), 683-684.
[197] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Querida Amazonia (2. Februar 2020), 108.
[198] Aus dem Film Papst Franziskus – Ein Mann
seines Wortes. Die Welt braucht Hoffnung von
Wim Wenders (2018).
[199] Botschaft
zum 48. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel (24. Januar 2014): AAS 106
(2014), 113.
101
[200] Konferenz der Katholischen Bischöfe
Australiens – Office for Social Justice, Making it real:
Genuine human encounter in our digital world (November 2019), 5.
[201] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015),
123: AAS 107 (2015), 896.
[202] Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 96: AAS 85 (1993), 1209.
[203] Wir Christen glauben zudem, dass Gott uns
seine Gnade schenkt, um als Brüder und
Schwestern handeln zu
können.
[204] Vinícius de Moraes, Samba
da Bênção, in dem Album Um encontro no Au bon Gourmet, Rio
de Janeiro (2. August
1962).
[205] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 237: AAS 105 (2013),
1116.
[206] Ebd., 236: AAS 105 (2013), 1115.
[207] Ebd., 218: AAS 105 (2013), 1110.
[208] Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (19. März 2016), 100: AAS 108
(2016), 351.
[209] Botschaft
zum 53. Weltfriedenstag am 1. Januar 2020 (8. Dezember 2019), 2: LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 51/52 (20. Dezember 2019), S. 8.
[210] Bischofskonferenz von Kongo, Message au
Peuple de Dieu et aux femmes et aux hommes
de bonne volonté (9. Mai 2018)
[211] Ansprache
beim großen Gebetstreffen zur nationalen Versöhnung, Villavicencio, Kolumbien
(8. September 2017): AAS
109 (2017), 1063-1064 und 1066
[212] Botschaft
zum 53. Weltfriedenstag am 1. Januar 2020 (8. Dezember 2019), 3: LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 51/52 (20. Dezember 2019), S. 8.
[213] Südafrikanische Bischofskonferenz, Pastoral
Letter on Christian Hope in the Current Crisis
(Mai 1986).
[214] Katholische Bischofskonferenz von Korea,
Appeal of the Catholic Church in Korea for Peace
on the Korean Peninsula (15. August 2017).
[215] Ansprache
bei der Begegnung mit Vertretern des öffentlichen Lebens, Quito, Ecuador (7.
102
Juli 2015): LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 29 (17. Juli 2015), S. 10-11.
[216] Interreligiöse
Begegnung mit den Jugendlichen, Maputo, Mosambik (5.
September 2019):
LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 37 (13. September
2019), S. 7
[217] Homilie
in der heiligen Messe, Cartagena de Indias,
Kolumbien (10. September 2017): AAS
109 (2017), 1086.
[218] Ansprache
bei der Begegnung mit Vertretern der Regierung und des öffentlichen Lebens
und mit dem Diplomatischen Korps, Bogotá, Kolumbien (7. September
2017): AAS 109 (2017),
1029.
[219] Bischofskonferenz von Kolumbien, Pore el bien
de Colombia: diálogo, reconciliación y
desarrollo integral (26. November 2019), 4.
[220] Ansprache
bei der Begegnung mit den Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft und
mit dem Diplomatischen Korps, Maputo, Mosambik (5. September
2019): L'Osservatore Romano
(dt.), Jg. 49 (2019), Nr.
37 (13. September 2019), S. 6.
[221] 5. Generalversammlung des Episkopats von
Lateinamerika und der Karibik,
Schlussdokument von Aparecida (29. Juni 2007), 398.
[222] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 59: AAS 105 (2013),
1044.
[223]Enzyklika Centesimus
annus (1. Mai 1991), 14: AAS 83
(1991), 810.
[224] Homilie
in der heiligen Messe für die Entwicklung der Völker, Maputo, Mosambik (6.
September 2019):
L'Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 37 (13. September 2019), S. 10.
[225] Ansprache
bei der Begrüßungszeremonie, Colombo, Sri Lanka (13.
Januar 2015):
L'Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2015), Nr. 3 (16. Januar 2015),
S. 1.
[226] Ansprache
bei der Begegnung mit den Kindern des Bethanien-Zentrums und mit Personen,
die von anderen albanischen Assistenzzentren betreut werden,
Tirana, Albanien (21. September
2014): Insegnamenti II,2
(2014), 288.
[227]Videobotschaft an die TED-Konferenz 2017 in
Vancouver, Kanada (26. April 2017):
L’Osservatore Romano (it.), Jg. 157 (2017), Nr. 101 (27. April
2017), S.7.
[228] Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15.
Mai 1931), 114: AAS 23 (1931), 213.
103
[229] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 228: AAS 105 (2013),
1113.
[230] Ansprache
bei der Begegnung mit Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft und mit
dem Diplomatischen Korps, Riga, Lettland (24. September
2018): LʼOsservatore Romano (dt.), Jg.
48 (2018), Nr. 41 (12.
Oktober 2018), S. 9..
[231] Ansprache
bei der Begrüßungszeremonie, Tel Aviv, Israel
(25. Mai 2014): Insegnamenti II,1
(2014), 604.
[232] Rede
an der Gedenkstätte von Yad Vashem, Jerusalem
(26. Mai 2014): AAS 106 (2014),
228.
[233] Rede
am Friedensdenkmal, Hiroshima, Japan (24.
November 2019): LʼOsservatore Romano
(dt.), Jg. 49 (2019), Nr.
48/49 (29. November 2019), S. 15
[234] Botschaft
zum 53. Weltfriedenstag 1. Januar 2020
(8. Dezember 2019), 2: LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 51/52 (20. Dezember 2019), S. 8.
[235] Kroatische Bischofskonferenz, Letter on the
Fiftieth Anniversary of the End of the Second
World War (1. Mai 1995).
[236] Homilie
in der heiligen Messe, Amman, Jordanien
(24. Mai 2014): LʼOsservatore Romano
(dt.), Jg. 44 (2014), Nr.
22 (30. Mai 2014), S. 4-5.
[237] Botschaft
zum 53. Weltfriedenstag am 1. Januar 2020 (8. Dezember 2019), 1: LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 51/52 (20. Dezember 2019), S. 8.
[238] Ansprache
vor den Vereinten Nationen, New York (25.
September 2015): AAS 107 (2015),
1041-1042.
[239] Nr. 2309.
[240]Ebd.
[241] Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 104: AAS
107 (2015), 888.
[242] Auch der heilige Augustinus, der eine Theorie
vom „gerechten Krieg“ ausgearbeitet hat, die
wir heute nicht mehr
vertreten, sagte: »Eine größere Ehre ist es, den Krieg mit dem Wort zu töten
und den Frieden mit dem Frieden
und nicht mit dem Krieg zu erreichen und zu erlangen, als ihn
den Menschen mit dem
Schwert zu geben« (Epistula 229,2: PL 33, 1020).
104
[243] Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963), 67: AAS
55 (1963), 291.
[244] Botschaft
an die UN-Konferenz für die Aushandlung eines rechtlich bindenden Instruments
zum Verbot von Nuklearwaffen (23. März 2017): AAS 109 (2017),
394-396.
[245] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 51: AAS 59 (1967), 282.
[246] Vgl. EnzyklikaEvangelium vitae (25. März 1995), 56:
AAS 87 (1995), 463-464.
[247] Ansprache
anlässlich des 25. Jahrestages der Veröffentlichung des Katechismus der
Katholischen Kirche (11. Oktober 2017): AAS 109 (2017), 1196.
[248] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Brief an die Bischöfe zur Neuformulierung von Nr.
2267 des Katechismus der Katholischen Kirche zur Todesstrafe (1.
August 2018): LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 32/33 (10. August 2018), S. 9.
[249] Ansprache
an eine Delegation der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (23. Oktober
2014): AAS 106 (2014), 840.
[250] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und
Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 402.
[251] Johannes Paul II., Ansprache an den
Italienischen Nationalen Richterverband (31. März
2000), 4: AAS 92 (2000),
633.
[252] Divinae Institutiones VI, 20,17: PL 6,
708.
[253] Epistula 97 (responsa ad consulta
bulgarorum), 25: PL 119, 991.
[254] Augustinus, Epistula ad Marcellinum 133, 1.2:
PL 33, 509.
[255] Ansprache
vor einer Delegation der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (23. Oktober
2014): AAS 106 (2014),
840-841.
[256] Ebd., 842.
[257] Ebd.
[258] Johannes Paul II., EnzyklikaEvangelium vitae (25. März 1995), 9: AAS 87 (1995), 411.
[259] Katholische Bischofskonferenz von Indien, Response
of the Church in India to the present
day Challenges (9. März 2016)
105
[260] Homilie
in der heiligen Messe, Domus Sanctae
Marthae (17. Mai 2020).
[261] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 19: AAS 101 (2009), 655.
[262] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 44: AAS 83 (1991), 849.
[263] Ansprache
an die Führer anderer Religionen und christlicher Konfessionen, Tirana, Albanien
(21. September
2014): LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 39 (26. September
2014),
S. 7.
[264] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 8.
[265] Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 256: AAS 105 (2013),
1123.
[266] Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), 28: AAS 98 (2006), 240.
[267] »Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen« [zoon
politikon]: Aristoteles, Politik 1253a 1-3.
[268] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 11: AAS 101 (2009), 648.
[269] Ansprache
an die katholische Gemeinschaft, Rakovski, Bulgarien (6.
Mai 2019):
LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 20/21 (17. Mai
2019), S. 8.
[270] Homilie
in der heiligen Messe, Santiago de Cuba (22.
September 2015): AAS 107 (2015),
1005.
[271] Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil,
Erklärung Nostra aetate über das Verhältnis
der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen, 2.
[272] Ansprache
bei der ökumenischen Begegnung, Riga, Lettland (24.
September 2018):
LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 48 (2018), Nr. 41 (12. Oktober
2018), S. 8.
[273] Lectio
Divina an der Päpstlichen Lateran-Universität (26. März 2019): L’Osservatore
Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 14 (5. April 2019), S. 10.
[274] Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam (6. August 1964), 44:
AAS 56 (1964), 650.
[275] Begegnung
mit Vertretern der Regierung und des öffentlichen Lebens Palästinas, Bethlehem
(25. Mai 2014): LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 44 (2014), Nr. 22 (30. Mai 2014), S. 5.
106
[276] Augustinus, Enarrationes in Psalmos, 130, 6:
PL 37, 1707.
[277] Gemeinsame
Erklärung des Heiligen Vaters Papst Franziskus und des Ökumenischen
Patriarchen Bartholomaios I., Jerusalem (25. Mai 2014), 5:
LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 44
(2014), Nr. 22 (30. Mai
2014), S. 16.
[278] Aus dem Film Papst Franziskus – Ein Mann
seines Wortes. Die Welt braucht Hoffnung von
Wim Wenders (2018).
[279] Apostolisches Schreiben Querida Amazonia (2. Februar 2020), 106.
[280] Homilie
in der heiligen Messe, Colombo, Sri Lanka
(14. Januar 2015): AAS 107 (2015), 139.
[281] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 9.
[282] Begegnung
mit Vertretern der Regierung und des öffentlichen Lebens, Sarajevo, Bosnien-
Herzegowina (6. Juni 2015):
LʼOsservatore Romano (dt.), Jg. 45 (2015), Nr. 24 (12. Juni 2015), S.
7.
[283] Ansprache
anlässlich des von der Gemeinschaft Sant’Egidio organisierten Internationalen
Friedenstreffens (30. September 2013): LʼOsservatore
Romano (dt.), Jg. 43 (2013), Nr. 41 (11.
Oktober 2013), S. 16.
[284] Dokument
über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der
Welt, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (4. Februar 2019):
L’Osservatore Romano (dt.), Jg.
49 (2019), Nr. 7 (15.
Februar 2019), S. 8-9.
[285] Ebd.
[286] Vgl. Charles de Foucauld, Méditation sur
le Notre Père (23. Januar 1897).
[287] Ders., Lettre à Henry de Castries (29.
November 1901).
[288]Ders., Lettre à Madame de Bondy (7. Januar
1902). So nannte ihn auch der heilige Paul VI.
und lobte sein Engagement:
Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 12: AAS 59 (1967),
263.
107
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